Statt ukrainische Städte angreifen 19. Apr 2024 Lesezeit: ca. 3 Minuten

Russische Bomber Tu-22: Dafür waren sie vorgesehen

Die russischen Bomber vom Typ Tu-22M, die aktuell die ukrainischen Städte und Kraftwerke angreifen, sollten in einem Dritten Weltkrieg Nato-Kriegsschiffe vernichten.

Tupolev Tu-22M mit einer F-14 Tomcat im Flug
Eine Tu-22M wird während des Kalten Krieges von einem US-Jagdflugzeug vom Typ F-14 Tomcat begleitet. Im Kriegsfall hätten die sowjetischen Bomber Nato-Geleitzüge im Atlantik angreifen sollen.
Foto: public domain

Das kurze Video wird intensiv in den sozialen Medien diskutiert: Ein brennendes Flugzeug, das trudelnd der Erde entgegenstürzt. Russische Behörden bestätigten mittlerweile, dass es sich dabei um einen Bomber vom Typ Tu-22 M3 handelte, der seit Beginn des russischen Angriffskrieges die ukrainische Bevölkerung mit seinen aus weiter Entfernung abgefeuerten Lenkwaffen terrorisiert. Während die Ukraine behauptet, das Flugzeug abgeschossen zu haben, beharren russische Offizielle darauf, es habe sich um einen Unfall gehandelt.

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Die Tu-22 sollte Nato-Geleitzüge auf dem Atlantik vernichten

Als die Tu-22M im Jahr 1975 von der Sowjetunion in Dienst gestellt wurde, hatte sie ganz andere Aufgaben als Städte in Schutt und Asche zu legen: Sie sollte im Falle eines Dritten Weltkrieges die Nachschublinien der Nato zwischen den USA und Europa unterbrechen. Für eine erfolgreiche Verteidigung gegen die vielfache Übermacht des Warschauer Paktes waren die westeuropäischen Staaten darauf angewiesen, dass Geleitzüge mit Nachschub zuverlässig den Atlantik überqueren konnten. Die sowjetische Überseeflotte war zu dieser Zeit immer noch zu schwach, um sich auf Gefechte mit Nato-Kriegsschiffen einzulassen. So besaß die Sowjetunion keinen einzigen Flugzeugträger, die USA allein hatten mehr als ein Dutzend im Dienst.  Alleine U-Boote und weitreichende Bomber hätten im Kriegsfall die Chance gehabt, die Seewege der Nato zu unterbrechen.

Die Tu-22 kann mehr als zweifache Schallgeschwindigkeit fliegen

Obwohl die Nato dem neuen Bomber mit dem Codenamen „Backfire“ (Fehlzündung – Codenamen von Bombern fangen grundsätzlich mit B an) belegte, war den Experten klar, dass die Bedrohung für die westlichen Schiffe erheblich gestiegen waren. Bis dahin waren die sowjetischen Marineflieger mit Unterschallflugzeugen ausgestattet gewesen, die relativ langsame Marschflugkörper mit primitiver Radartechnik trugen. Die Tu-22 dagegen erreichte zweifache Schallgeschwindigkeit. Mithilfe ihres Terrainfolgeradars konnte sie sich Nato-Kriegsschiffen knapp unter mach 1 in weniger als 100 m Höhe im Radarschatten der Erdkrümmung nähern.

Diese westlichen Flottenverbände wären das Ziel der Bewaffnung der Tu-22 gewesen: Der Marschflugkörper Raduga Ch-22 kann einen 1 t schweren Gefechtskopf mit dreifacher Schallgeschwindigkeit über rund 500 km ins Ziel bringen. Nach dem Abfeuern durch die Tu-22 wären die Ch-22 bis auf eine Höhe von 22 km aufgestiegen, hätten mit ihrem Radarsuchkopf die Ziele identifiziert und sich im Steilflug auf die Schiffe gestürzt.  In den 1970er verfügten die wenigsten Nato-Schiffe eine Flugabwehrbewaffnung, die Ch-22 hätte abschießen können.

Flugzeugträger USS Enterprise bei seiner Weltumrundung
Flugzeugträger wie die USS Enterprise wären im Weltkriegt die bevorzugten Angriffsziele der sowjetischen Tu-22 gewesen. Foto: Public domain

Tu-22 simulierten einen Angriff auf US-Flugzeugträger

Zu was die Backfire im Kriegsfall fähig sein würden, demonstrierte die sowjetischen Marineflieger im Jahr  1982: Acht Tu-22  „beleuchteten“ mit ihren Radargeräten die beiden US-Flugzeugträger Enterprise und Midway, die im Nordpazifik unterwegs waren. Sie näherten sich dem US-Verband bis auf 200 km, bevor sie abdrehten.

Der neue Bomber beschäftigte die westliche Öffentlichkeit so sehr, dass er in dem Roman „Im Sturm“ (Originaltitel: Red Storm Rising) des Bestsellerautors Tom Clancy eine wichtige Rolle spielt: Das Buch entwirft das Szenario eines Dritten Weltkriegs, dessen Ausgang davon abhängt, ob ein Geleitzug der Nato rechtzeitig in Europa eintrifft. Der erste Schiffsverband wird von Tu-22 zusammengeschossen, auch der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle wird versenkt. Ein zweiter Geleitzug dagegen kommt durch, weil von US-U-Booten gestartete Marschflugkörper die sowjetischen Bomber auf ihrer Basis auf der Kola-Halbinsel nahe der finnischen Grenze vernichten.

Die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger können nicht darauf hoffen, dass die Tu-22-Bestände Russlands auf diese dramatische Weise dezimiert werden. Die ukrainische Armee setzt auf  Sabotagetrupps, die russische Flugbasen tief in Russland angreifen, sowie auf Drohnenattacken gegen Flugzeugwerke. Doch die russischen Luftangriffe, die seit Wochen systematisch die Kraftwerke der Ukraine und Großstädte wie Dnipro und Odessa zerbomben.

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