Duisburger Tatort mit Horst Schimanski 09. Jul 2021 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 5 Minuten

Schimanski begleitete den Wandel im Ruhrgebiet

Vor 40 Jahren krempelte „Schimanski“ den Fernsehkrimi um. In den Tatort-Folgen standen Kämpfe und Konflikte im Mittelpunkt.

Götz George (li.) als Horst Schimanski und Eberhard Feik als sein Partner Christian Thanner posieren in der Drehpause vor dem Duisburger Hafen, einem typischen Drehort für Schimanski-Tatorte.
Foto: dpa Picture-Alliance / Martin Athenstädt

Nach dem 28. Juni 1981 ist im deutschen Fernsehkrimi nichts mehr wie vorher: Da kratzt sich ein muskelbepackter Mann sichtlich verkatert fast eine Minute lang am Hintern, während vor dem Fenster seines Hochhausapartments das Krupp-Hüttenwerk in Rheinhausen Rauch und Dampf ausstößt. Nur wenig später dann der legendäre Schrei aus dem Mund des neuen Tatort-Kommissars Horst Schimanski:

„Hotte, hör auf mit der Scheiße!“

Nicht nur in der Ausdrucksweise und Inszenierung unterschieden sich die Tatort-Folgen um das Ermittlerpaar Horst Schimanski und Christian Thanner von den gängigen biederen TV-Krimis, sondern auch in der Darstellung von Kriminalität.

Gegen Menschenhändler und Waffenschieber

So klärte damals Derrick regelmäßig am Freitag im ZDF Morde in Münchenern Vorortvillen auf, die Mimik genauso emotionslos wie die Dialoge: „Mord, sagen Sie?“ – „Ja, es war Mord“. Bei „Schimanski“ dagegen ging es um anonyme verbrecherische Strukturen. Bereits in der ersten Folge „Duisburg-Ruhrort“ geriet das neue Kommissarduo an Waffenschieber und den Untergrundkrieg zwischen türkischen Faschisten und Gewerkschaftern. In den nächsten Folgen ging es um Umweltkriminalität, Menschenhandel und Schutzgelderpressung. Diese Themen seien, erklärte Götz George, „mehr als Couleur für den Film“.

„Das Entscheidende ist, dass wir Themenkreise anreißen, die in anderen Kriminalserien gar nicht drin sind.“

Die konfliktgeladenen Atmosphäre in den Schimanski-Krimis entsprach den politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik: Der Protest gegen die atomare Aufrüstung hatte wenige Wochen vor der Ausstrahlung von „Duisburg-Ruhrort“ mit der Demonstration von einer halben Million Menschen auf den Bonner Rheinwiesen ihren Höhepunkt erreicht, Anfang des Jahres hatten sich bei einer Kundgebung gegen das Kernkraftwerk Brokdorf 100 000 Atomkraftgegner zusammengefunden. In West-Berlin lieferten sich währenddessen Hausbesetzer und Polizei erbitterte Auseinandersetzungen.

Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie

Die Menschen in Nordrhein-Westfalen kämpften währenddessen mit dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie, die einst die Garanten für Wohlstand und Fortschritt gewesen waren und nun dem internationalen Wettbewerbsdruck nicht mehr standhalten konnten. Hochöfen und Zechen wurden nach und nach geschlossen. Von Mitte der 1970er-Jahre bis Mitte der 1980er-Jahre gingen alleine in Duisburg 70 000 Arbeitsplätze verloren, die Arbeitslosenquote erreichte 15 %.

Ermittlungen in Ruinenlandschaften und Gewerbegebieten

Vor dieser düsteren Kulisse setzte Regisseur Hajo Gies „Duisburg-Ruhrort“ und weitere Folgen gekonnt in Szene.

Die Kommissare verhören dabei ihre Zeuginnen und Verdächtigen in schummrigen Bierkneipen und engen, fahl beleuchteten Wohnungen. Außenaufnahmen zeigen Ruinenlandschaften und trostlose Gewerbegebiete. Der 400-m-lange Matenatunnel unter dem Thyssen-Stahlwerk in Bruckhausen erwarb sich den inoffiziellen Namen „Schimanski-Tunnel“, weil er so marode aussah, dass er ganze fünfmal im Tatort auftauchte.

Digitalisierung wirkt: Die aufbereiteten Schimanski-Tatorte haben eine deutlich bessere Bildqualität als die zuvor ausgestrahlten Folgen. Foto: WDR/Bavaria/ D-Facto Motion (S2+)

Selbst auf den Fotos im Büro von Kriminalrat Königsberg, Schimanskis väterlichem Vorgesetztem, dampfen und qualmen die Kühltürme und Schlote. „Von Düsternis und Dämmerung abgesehen“, schreibt der George-Biograf Thomas Medicus, „herrscht fast durchgängig schlechtes Wetter, der Himmel ist grau, das Straßenpflaster ist nass, die Brachflächen sind deprimierend.“

„Einbruch der Wirklichkeit ins Fernsehen“

Pause machen die Kommissare an Pommesbuden, deren Kulinarik Christian Thanner so beschreibt:

„Hot Ketchup, Curry-Ketchup und Ketchup pur – und alle drei Wochen Ölwechsel.“

Und wenn sich der einsame Horst Schimanski auf der Parkbank am Rheinufer entspannt, dominiert hinter ihm das riesige Thyssen-Kraftwerk „Hermann Wenzel“ das Bild. „,Duisburg-Ruhrort‘ markiert den Einbruch der Wirklichkeit ins öffentlich-rechtliche Krimifernsehen“, würdigte der Fernsehkritiker Tilmann P. Gangloff die erste Schimanski-Folge.

Doch diese Wirklichkeit war für viele im Ruhrgebiet nur schwer erträglich: „Der Ruhrpott kocht: Sind wir alle Mörder und Trinker?“, beschwerte sich „Bild“ am Sonntag nach der ersten Folge.

Dem Schimanski-Macher passte der Aufruhr ins Konzept, wie Jahre später Regisseur Hajo Gies erklärte: „Wir waren auf Krawall aus.“ Der Plan ging auf: Regelmäßig versammelte sich für eine Schimanski-Folge ein Drittel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger vor dem Fernseher.

Meinungswandel des Oberbürgermeisters Krings

Auch vor Ort begriff man zunehmend, welchen Imagegewinn das darbende Duisburg aus der Schimanski-Welle ziehen konnte. Der damalige Oberbürgermeister Josef Krings schilderte den Anlass für seinen Meinungswandel so:

„Bei einer Dienstreise nach Berlin kam ich mit dem Taxifahrer ins Gespräch. Dem fielen zu Duisburg nur zwei Dinge ein: das König-Pilsener und Schimanski.“

Dreharbeiten wurden so selbstverständlich in der Stadt, dass Anwohner einer echten Schießerei seelenruhig zusahen, weil sie sie für Dreharbeiten hielten.

Arbeitslose und Polizisten empörten sich

Die Harmonie hielt bis 1987, als die Folge „Der Pott“ produziert wurde. Das Drehbuch machte den Arbeitskampf um die drohende Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen zum Thema – eben jener Industrieanlage, die in der ersten Schimanski-Folge als eindrucksvolle Kulisse in der Eröffnungsszene gedient hatte. In der Stadtverwaltung und in den Konzernen hätten sie zunächst eifrige Unterstützung gefunden, schilderten die Drehbuchautoren Axel Götz und Thomas Wesskamp. „Bis man unser Drehbuch las: eine erfundene Geschichte über wütende Arbeiter, hoffnungsfrohe Gewerkschaftsfunktionäre und von Sachzwängen geplagte Unternehmer. Da wurde uns plötzlich klargemacht, wir haben alles falsch gesehen.“

George demonstrierte mit den Stahlarbeitern

Die Stahlunternehmen zogen ihre Drehgenehmigungen zurück, die Stadt Duisburg entzog erstmals einem Tatort-Dreh die Unterstützung. Die Schimanski-Macher ließen sich trotzdem nicht in ihrer politischen Haltung beirren, erinnerte sich Götz George viele Jahre später:

„Wie haben wir damals mitgebrüllt gegen die Mächtigen von Thyssenkrupp, wir sind mit den Stahlarbeitern auf die Straße gegangen.“

In der Samstagabend-Show „Wetten, dass“ rief George sogar zu Spenden für die streikenden Arbeiter von Rheinhausen auf.

Doch nicht nur das Ruhrgebiet durchlitt seine Krise, sondern auch der Schimanski-Tatort. Die Münchner Produktionsfirma kürzte die Drehtage und ließ häufiger vor der eigenen Haustür drehen, Duisburg wurde immer seltener in Szene gesetzt. Fernsehkritiker und Götz George waren sich einig in ihren Klagen über die nachlassende Qualität der Drehbücher.

Das stimmige Milieu verkam zur Kulisse, immer wieder flimmerten dieselben verräucherten Bilder aus längst sanierten Vierteln über den Bildschirm“, beschrieb die Neue Ruhr Zeitung den Schimanski-Niedergang, während sich die FAZ in Ironie flüchtete: „Doch wo rein gar nichts mehr auf Logik, Kausalität und Wahrscheinlichkeit beruht, da ist endlich auch die Kunst frei geworden.“

1997 ließ der WDR die Figur des Horst Schimanski als Privatermittler wieder aufleben. Mit Hauptkommissar Thomas Hunger (M.), gespielt von Julian Weigend, hatte Schimanski einen neuen Partner, die Schauplätze blieben so trostlos wie früher. Foto: WDR/Uwe Stratmann

Nach zehn Jahren und 29 Folgen war am 29. Dezember 1991 mit den Tatorten aus Duisburg Schluss, auch wenn der WDR die Figur von 1997 bis 2003 in einer losen Serie wiederbelebte. Das Hüttenwerk in Rheinhausen überdauerte das Ende der Schimanski-Tatorte um zwei Jahre, bis es 1993 die Produktion einstellte, die Hochöfen wurden abgebaut und nach China verschifft. Auf dem Werksgelände steht heute das riesige Logistikzentrum Logport I für den Containerumschlag zwischen Schiff, Eisenbahn und Lkw.

Die FAZ übrigens wusste den Abschied vom Schimanski-Tatort mit dem großen historischen Wandel zusammenzubringen:

„Fast zeitgleich mit der Sowjetunion hat uns in Horst Schimanski der letzte proletarische Held verlassen.“

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