Ausstellung 27. Jun 2014 Evdoxia Tsakiridou Lesezeit: ca. 3 Minuten

Sticken, Weben oder Wickeln – die Kunst, Carbonfasern zu verarbeiten

Das Deutsche Museum in München hat in seinem Zentrum Neue Technologien dem Werkstoff Carbon eine Sonderausstellung gewidmet. Die Kuratoren zeigen, wie aus Kunststofffäden Komponenten für Automobilbau, Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik entstehen und welche anderen Lebensbereiche carbonfaserverstärkte Kunststoffe künftig erobern werden.

Die Karosserie des BMWi3 ist die erste automatisiert in Großserie hergestellte Fahrgastzelle aus Carbon.
Foto: Deutsches Museum

Fast jeder hat schon einmal mit Carbon (Kohlenstoff) zu tun gehabt: Es sind Pullover oder Decken, die unter anderem unter den Markennamen Dralon oder Dolan vertrieben werden. Inzwischen ist Carbon Ausgangsmaterial für weitere Alltagsgegenstände.

Harter Stoff: Carbon

Harter Stoff: Carbon – Das Material der Zukunft. Bis 10. 1. 2015, München, Deutsches Museum, Zentrum Neue Technologien, Museumsinsel 1, täglich von 9 Uhr bis 17 Uhr.

www.deutsches-museum.de

Den Anfang macht ein unscheinbarer schwarzer Faden aus Polyacrylnitril (PAN). Bei PAN handelt es sich um flüssigen Kunststoff, der aus Erdöl gewonnen wird und zu 68 % aus Kohlenstoff besteht – die Basis für Belebtes (vom Bakterium bis zum Menschen) und Unbelebtes (Diamant). Die restlichen PAN-Bestandteile sind Stickstoff (26 %) und Wasserstoff (6 %).

Während aber die Textilien nur Temperaturen bis 40 °C aushalten und keine Säuren vertragen, handelt es sich bei carbonfaserverstärkten Bauteilen um Hightech-Produkte, die zug- und biegefest, form-, hitze- und auch chemikalienbeständig sind.

Mit Spinnen, Waschen,Trocknen geht es in der Ausstellung los: Am Anfang entsteht ein Faden, dieser wird zu einer Faser, und schließlich werden die Fasern zu Bündeln zusammengefasst. Dann geht es weiter mit Spulen, Stabilisieren und Carbonisieren. Letzteres bedeutet, dass die Fasern kurzfristig Temperaturen zwischen 800 °C und 1500 °C ausgesetzt werden. Das hat zur Folge, dass sich die Molekülketten zu regelmäßigen leiterartigen Strukturen verfestigen: Die flüssigen PAN-Fäden haben sich in feste Carbonfasern verwandelt.

Wie aus diesem Material ein schicker schwarzer Mountainbike-Lenker entstehen kann, verdeutlichen eine Reihe von Schaukästen: Eine Flechtmaschine in Zusammenarbeit mit einem Roboter verarbeitet die Carbonfasern zu einem schlauchförmigen Textilgebilde.

Anschließend wird das Teil in eine Form gelegt und mit einem Trägermaterial getränkt bzw. umhüllt (Matrix). Dabei handelt es sich um flüssigen Kunststoff, der gehärtet und geformt wird: Fertig ist der Lenker, der nur noch geschliffen und poliert werden muss.

Die Besucher können die Eigenschaften von carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) an der nächsten Ausstellungsstation selbst testen: Drei Stäbe aus CFK, Stahl und Alu stehen bereit. Bei gleichem Gewicht ist CFK fester als die beiden klassischen Industriewerkstoffe. Das bedeutet, bei gleichem Gewicht können CFK-Bauteile mehr Last tragen, oder sie ersetzen andere Materialien und können so zur Gewichtsreduktion beitragen.

Weben, Sticken, Wickeln oder Legen – das Interesse an CFK hat dazu geführt, dass klassische Verarbeitungsmethoden aus der Textilbranche eine Renaissance erleben. Die Folge: „Ingenieure müssen lernen, nicht mehr mit Blechen, sondern mit Fasern umzugehen“, meint Rainer Kehrle, Geschäftsführer der Spitzenclusterinitiative „MAI Carbon“ des Carbon Composites e.V., die gemeinsam mit dem Deutschen Museum die Ausstellung konzipiert hat.

Die Eigenschaften des Verbundstoffes hängen von der Matrix ab und lassen sich auf die Bedürfnisse der Anwender zuschneidern: ob das die künftige Hilfsrakete ist (Booster), die der Ariane-Trägerrakete zusätzlichen Schub verschafft und dabei Temperaturen von 2000 °C standhalten muss, oder eine Fahrzeug-Bremse mit Keramikanteilen, die noch bei 1000 °C tadellos funktionieren muss. Luft- und Raumfahrt, Automobilindustrie, Medizintechnik oder Möbelbau – zahlreiche Branchen schätzen das Hightech-Material, weil es die Form hält, extrem leicht ist (das spart Kraftstoff) und nicht korrodiert. Die Medizintechnik profitiert ebenfalls von CFK. Am Modell einer Beinprothese lässt sich erkennen, wie Bauteile aus CFK mit hydraulischen Elementen kombiniert werden. Eine ausgeklügelte Elektronik erlaubt den Patienten, sich wie gewohnt zu bewegen.

Aber auch weniger komplizierte Hilfsmittel wie eine orthopädische Fußheberschiene lassen sich optimal an die Körperform von Patienten mit geschädigten Beinnerven anpassen.

Selbst der Möbelbau gewinnt durch CFK neue Impulse: Studierende des Studiengangs Produktgestaltung am Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden berechneten mithilfe eines neuen Computerprogramms die optimalen Strukturen für einen Sitzhocker. Eine Stickmaschine hat die Fasern verlegt und fixiert, bevor dann das Halbzeug zum Hocker geformt und mit Kunststoff umhüllt wurde. Den Kuratoren der Carbon-Schau ist wichtig zu zeigen, dass CFK-Werkstoffe neue Konstruktionen erlauben und Funktionen hergebrachter Materialien übernehmen können. „Das CFK-Zeitalter hat aber noch nicht begonnen. Die Industrie arbeitet noch an automatisierten Verfahren, um CFK in Großserie zu verarbeiten“, hebt Rainer Kehrle hervor.

Für die Ingenieure bedeutet dies, sie müssen bessere bzw. neue Methoden entwickeln, um die Produkte zu konstruieren bzw. die Festigkeit zu berechnen, ebenso wie geeignete Herstellungsverfahren, um beispielsweise Heizprozesse zu steuern.

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