Technikgeschichte: Die Kunst, Altes zu erhalten
Die Technikgeschichtliche Tagung des VDI in Kooperation mit der TU Berlin und dem Deutschen Technikmuseum beschäftigt sich mit dem „Reparieren, Improvisieren und Re-Arrangieren“.
Unter dem Motto „Reparieren, Improvisieren, Re-Arrangieren – eine Technikgeschichte des Unfertigen“ fand kürzlich die Jahrestagung 2022 des Interdisziplinären Gremiums Technikgeschichte im VDI in Kooperation mit dem Fachgebiet Technikgeschichte der TU Berlin und dem Deutschen Technikmuseum statt. Sie zeigte auf, wie sehr die wechselnden Konjunkturen des Reparierens verknüpft sind mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zuständen in einer Gesellschaft. Dies gilt auch für die großen Probleme unserer Zeit wie Klimawandel, Ressourcenverbrauch und nachlassende Qualität der technischen Infrastrukturen.
„Das Thema ist hochaktuell und man vergisst leicht, wie viel technische Expertise in die Wartung, die Pflege und den Erhalt von Technik fließt“, betont Heike Weber, Professorin für Technikgeschichte an der TU Berlin, im Vorgespräch zur Tagung. Die weitverbreitete Annahme, dass das Reparieren nachgelassen habe, dass wir kaum noch reparieren, sei nur begrenzt richtig. Aber die Prozesse des Reparierens hätten sich verlagert. Dabei sei unbedingt zu unterscheiden zwischen Konsumtechnik, Infrastrukturtechnik und Technik, die der Produktion dient.
Die Elektrifizierung der Rikschaflotte in Bangladesch: viel mehr als Bastelei
Jonas van der Straeten von der Eindhoven University of Technology referierte über „Elektromobilität als ,Bricolage‘ – Die Elektrifizierung der Rikschaflotte in Bangladesch“. Über 1 Mio. dieser Rikschas fahren auf den Straßen von Bangladesch. Genau weiß das keiner, denn nicht nur die Antriebe für die Fahrzeuge sind mehr oder weniger improvisiert, es gibt auch keinerlei politische Steuerung und Zulassungsverfahren greifen nicht. Bisher werden meist veraltete Bleisäurebatterien in vorhandene Fahrradrikschas eingebaut. Aus China kommen teurere, aber auch sichere Bausätze für Elektroantriebe. Entstanden ist zudem eine Infrastruktur an Werkstätten und Garagen, die Dienstleistungen für die wachsende Elektrorikschaflotte anbieten.
Jonas van der Straeten spricht inzwischen lieber nicht mehr von Bricolage, also Bastelei. Angemessen wäre, die Elektromobilität in Bangladesch nicht als Flickwerk zu exotisieren, sondern sie als eigenständig anzusehen und mit angemessenen Standards sicherer zu machen und zu legalisieren.
„Aus dem langen Leben des 1901 gebauten Dampfschiffes Kurt-Heinz“ auf den Berliner Wasserstraßen berichtete Arda Akkus vom Deutschen Technikmuseum. Es ist eine Geschichte des dauernden Reparierens, der laufenden Instandhaltung und Funktionserweiterung des Schiffes. Für ein technisches Objekt ist es förderlich, in Betrieb gehalten zu werden, fasst Arda Akkus zusammen. 56 Jahre war das Schiff in der DDR im Besitz der Familie Siebert, heute ist es ein zentrales Exponat zur Binnenschifffahrt im Deutschen Technikmuseum.
Nicht nur reparieren, sondern auch für eine andere Verwendung umnutzen
In der alten BRD wäre das Schiff wohl viel früher abgewrackt worden. Die lange Lebensdauer hat sicherlich mit der aus westdeutscher Sicht beschriebenen Mangelwirtschaft in der DDR zu tun, aber man sollte etwas genauer hinsehen. Reinhild Kreis, Professorin für Geschichte der Gegenwart an der Universität Siegen, stellte in ihrem Vortrag „Reparieren, umnutzen, entdecken – Zur Schnittstelle von (Wieder-)Herstellung, Umfunktionierung und Neuerfindung“ private Versorgungsstrategien den öffentlich vermittelten Denk- und Handlungsnormen gegenüber. Am Beispiel der unterschiedlichen Heimwerkerkulturen in den beiden deutschen Staaten zeigte sie, dass in der alten Bundesrepublik eher funktional, in der DDR dagegen multifunktional gedacht wurde. Es wurde nicht nur repariert, sondern aus einem Mixer konnte z. B. eine Bohrmaschine werden.
Als Sowjetunion und USA ihre Bomber mit Atomkraftwerken antreiben wollten
Jonathan Voges vom Historischen Seminar der Universität Hannover hatte zuvor bereits die Geschichte des Do it yourself in der BRD vorgestellt. Die Widersprüchlichkeit des Selbermachens zwischen vermeintlicher Kostenersparnis und tatsächlichen monetären Verlusten durch Überforderung und Ausblenden des Zeitaufwandes ist offensichtlich. Ein dagegen stehendes Motiv tauchte in sehr vielen Beiträgen auf und wurde auch in den Diskussionsrunden immer wieder genannt. Die Zufriedenheit und der Stolz auf das Erreichte, wenn sich Laien trauen, beispielsweise den Laptop für eine dann tatsächlich erfolgreiche Reparatur aufzuschrauben.
Während in den Vorträgen laufende Forschungsprojekte vorgestellt oder Beispiele für die mitunter sehr praktische Arbeit im musealen Kontext der Umnutzung von Technik gegeben wurden, gelang es in der Podiumsdiskussion am Abend des ersten Tages herauszuarbeiten, welche Bedeutung das Reparieren auch jenseits von individueller Selbstermächtigung hat.
Bei der Wiederverwertung von Kunststoffen wurden in 50 Jahren wenige Fortschritte gemacht
Zum Thema „Reparieren und die Circular Economy“ bemerkte Isabel Gomez von der NGO „Cradle to Cradle“, dass die bisherigen Recyclingpraktiken ja nicht der Idee einer tatsächlichen Kreislaufwirtschaft entsprächen, bei der es darum ginge, Rohstoffe so einzusetzen und zu be- und verarbeiten, dass sie in natürliche Kreisläufe zurückgeführt werden können. Heike Weber erläuterte, dass wir als Gesellschaft Recycling nur dann gut beherrschten, wenn es lange Erfahrungswerte mit Materialien gebe, beispielsweise beim Glas.
Bei der Wiederverwertung von Kunststoffen seien jedoch seit 50 Jahren erstaunlich wenig Fortschritte erzielt worden. Die Potenziale des Reparierens und der Umnutzung von bereits produzierten Dingen seien dagegen längst noch nicht ausgeschöpft oder gar nicht erkannt worden.
Cadillac: In den USA als Luxusmarke top, in Europa ein Flop
Markus Hecht, Professor für Schienenverkehr an der TU Berlin, erinnerte daran, wie hoch der Energieeinsatz bei den gegenwärtigen Recyclingverfahren ist. Angesichts der steigenden Gaspreise rufen die Glasproduzenten nun nach staatlicher Unterstützung in der Energiekrise.
Am Beispiel der Eisenbahn zeigte Hecht, dass wir heute unter den kurzsichtigen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen vor über 20 Jahren zu leiden haben, weil versäumte Investitionen in Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur und des Fuhrparks nun dazu führen, dass die Züge gar nicht oder nicht zuverlässig fahren können.