Wenn Norad das Rentier Rudolf auf dem Radar verfolgt
Mit „Norad tracks Santa“ trägt das US-Luftverteidigungskommando Norad auch dieses Jahr zur Weihnachtsstimmung bei. Der Countdown hat bereits begonnen.
Es begab sich aber zu der Zeit, dass von Präsident Harry S. Truman ein Gebot ausging, die Küsten der USA durch ein weitreichendes Netz von Radaranlagen gegen Bedrohungen aus der Luft zu schützen. Und so meldete die US-Luftwaffe am Heiligen Abend des Jahres 1948, ihr Frühwarnsystem habe einen „nichtidentifizierten Schlitten, angetrieben von acht Rentieren, in 14 000 Fuß“ Höhe entdeckt, der aus Richtung Norden eingeflogen war.
Über die Jahrzehnte entwickelte sich daraus die multimediale Aktion „Norad tracks Santa“, die weltweit Millionen Menschen anzieht. Die Idee dahinter: Das nordamerikanische Luftverteidigungskommando Norad (North American Aerospace Defense Command) mit seinen mächtigen Radaranlagen und Aufklärungssatelliten lauert einmal im Jahr nicht auf feindliche Bomber und Raketen, sondern verfolgt die Flugroute des Weihnachtsmanns rund um den Globus. Weil der Nikolaus in manchen Ländern die Geschenke bringt, während die Kinder schlafen, wissen sie dank Norad, wann es Zeit ist ins Bett zu gehen.
Kinder fragen, Soldaten antworten
Nach der einmaligen PR-Aktion zu Beginn des Kalten Kriegs blieb es einige Jahre still, bevor das Thema im Jahr 1955 Fahrt aufnahm. Damals rief ein Kind (ob Junge oder Mädchen, ist unter den Chronisten umstritten) den diensthabenden Offizier Harry Shoup an und fragte ihn, wo gerade der Weihnachtsmann unterwegs sei. Die Nummer hatte das Kind aus einer Anzeige der Kaufhauskette Sears mit der Aufforderung „Kinder, ruft mich an! Euer Santa Claus“. Angeblich aufgrund eines Tippfehlers war die Nummer des Offiziers angegeben worden. Der Legende zufolge, die von Shoup selbst bis zu seinem Tod gepflegt wurde, gab er freundlich Antwort und befahl seinen Soldaten, alle anrufenden Kinder mit den ersehnten Informationen zu versorgen.
Realistischer ist die zeitgenössische Darstellung der Tageszeitung „Pasadena Independent“, wonach der grimmige Oberst dem naiven Anrufer beschied: „Könnte sein, dass es einen Typen namens Santa Claus am Nordpol gibt, aber er ist nicht derjenige, weswegen ich mir aus dieser Richtung sorgen mache.“ Shoup, der Beschwerden wegen Fluglärms mit dem Argument entgegentrat, „der Krach von eigenen Jets ist nicht so laut wie der von feindlichen Bomben“, hatte ein publikumswirksames Thema gefunden. Seine Streitmacht verfügte zwar über hochkomplexe Radaranlagen und Kommunikationssysteme, konnte aber in den technikbegeisterten 1950er-Jahren im Gegensatz zu anderen Einheiten nicht mit überschallschnellen Jets, mächtigen Panzern oder atomgetriebenen U-Booten in der Öffentlichkeit auftrumpfen.
Fans auch außerhalb der USA
Shoups kaum verhüllte Drohung gegen die roten Heiden fand durch die Nachrichtenagenturen breites Echo: Sein Kommando werde „Santa Claus und seinen Schlitten orten und ihn vor möglichen Angriffen jener schützen, die nicht an Weihnachten glauben“, so Shoups düstere Warnung. Seitdem wiederholte sich das Ritual jährlich und fand immer mehr Fans auch außerhalb der USA. Bereits 1960 meldete etwa die kanadische Luftwaffe, ihre Flugzeuge hätten den Weihnachtsmann entdeckt, als er nach einer Notlandung den Vorderlauf von Rentier Rudolf bandagierte. Die britische Royal Air Force twitterte 2016 ein Foto, auf dem sich das Gespann hinter einem Tankflugzeug in Position bringt. Vor zwei Jahren sprang das Polizeipräsidium Freiburg auf den Schlitten auf, als es pünktlich zum ersten Advent meldete, es sei vom „Weltraumlagezentrum der Lufte über eine Anomalie im Luftraum der Region um den Feldberg informiert“ worden. Dort habe eine Streife einen „leicht verletzten Piloten eines havarierten, rentiergetriebenen Schwerlastschlittens“ gefunden.
Auch diese Jahr werden wieder Zigtausende Freiwillige an Telefonen und Bildschirmen sitzen, um die Anrufe und E-Mails zu beantworten. Die meisten sind Soldaten der kanadischen und US-Streitkräfte, da Norad von beiden Ländern gemeinsam betrieben wird. Aber auch Michelle Obama nahm sich in ihrer Zeit als First Lady Zeit für den Telefondienst bei Norad. Dabei zeigte sie deutlich mehr Empathie als Donald Trump, der im vergangenen Jahr einen siebenjährigen Anrufer auslachte, weil der noch an den Weihnachtsmann glaubte.
Santa-Suche auch auf dem Smartphone
Der Telefondienst wird längst von multimedialen Angeboten begleitet. Seit Anfang Dezember informiert wieder die Website www.noradsanta.org die ungeduldigen Fans in acht Sprachen, darunter auf Deutsch. 9 Mio. User aus mehr als 200 Ländern verfolgten im Jahr 2016 den Flug des Geschenkeschlittens. Eine App holt das Santa-Stalking aufs Smartphone, Twitter, Facebook und Youtube gehören dazu. In der Nacht des 24. auf den 25. Dezember können die User in einer Animation, den Weg des Weihnachtsmanns um den Erdball verfolgen. In Echtzeit rattern die Namen der überflogenen Städte, die Zahl der besuchten Kinder sowie der verteilten Geschenke herunter.
Das offizielle Video zur diesjährigen Aktion kommt als Mischung aus Oberst Shoups Paranoia und Trumps „America first!“-Politik daher: „ Wenn wir schon Flug des Weihnachtsmanns verfolgen können, stelle dir vor, wen wir sonst noch alles verfolgen können“, heißt es dort. „Unser Versprechen lautet: Immer werden wir unsere Heimat verteidigen, denn unsere größten Schätze liegen genau hier zuhause.“