Wie die Industrie sicherer wurde
Vor 150 Jahren wurde der erste Dampfkesselüberwachungsverein gegründet, aus dem die technische Überwachung und schließlich der TÜV hervorging.
Ein folgenschweres Unglück ereignete sich 1865 in einer Mannheimer Brauerei. Bei der Explosion eines Dampfkessels waren der Kesselwärter getötet und mehrere Beschäftigte schwer verletzt worden. Als Ursache stellten sich mehrere Fehlleistungen heraus: Wassermangel, zu hoher Druck und mangelhafte Wartung. Die daraus resultierenden Gefahren waren den Beschäftigten mangels Aufklärung und Ausbildung schlicht nicht geläufig.
Dieses Unglück war Anlass für die Anfang 1866 auch auf Betreiben des VDI vollzogene Gründung der „Gesellschaft zur Ueberwachung und Versicherung von Dampfkesseln mit dem Sitze in Mannheim“ durch 22 badische Unternehmer.
Unfälle dieser Art stellten im damaligen Zeitalter der rasant wachsenden Industrialisierung keineswegs eine Ausnahme dar. Durch vorsorgliche und regelmäßige Überwachung solche folgenschwere Unglücke zu verhindern, war das Kernziel der technischen Überwachung. Als erster hauptamtlicher Sachverständiger trat am 16. Oktober 1866 der 29 Jahre alte Ingenieur Carl Isambert seinen Dienst an. Schon bei seiner ersten Inspektionstour entdeckte er eine ganze Reihe gefährlicher Mängel an den untersuchten Dampfkesseln.
Die Idee der unabhängigen technischen Überprüfung fand schon bald Nachahmer. Sogenannte Dampfkessel-Revisionsvereine wurden beispielsweise 1870 in München, 1873 in Frankfurt/Main und Offenbach, 1875 in Stuttgart oder 1878 in Chemnitz gegründet. Seit 1873 gab es zwar bereits den Deutschen Verband der Dampfkessel-Überwachungsvereine, jedoch noch keine verbindlichen Standards für die Sicherheit. Erst im Sommer 1881 einigte sich der Verband mit dem Verein deutscher Eisenhüttenleute auf Grundsätze zur Materialprüfung beim Bau von Dampfkesseln. Mit diesen sogenannten Würzburger Normen setzte die technische Überwachung erstmals bereits bei Konstruktion und Bau des Kessels an, um das Unfallrisiko zu senken.
Die planmäßige Überprüfung trug schon bald Früchte. So berichtete 1877 der Chefingenieur des Bayerischen Dampfkessel-Revisionsvereins (BDRV), Walther Gyssling, dass seit fünf Jahren keiner der mehr als 1000 überwachten Dampfkessel explodiert sei. Von einer solchen Erfolgsbilanz konnten die staatlichen Prüfer, die parallel zu den BDRV-Prüfern kontrollierten, nur träumen: An den von ihnen untersuchten Anlagen in Bayern kam es 1878 zu zwei Explosionen. Auch der Stuttgarter Vereinsingenieur Heinrich Bellmer zog 1877 in seinem ersten Jahresbericht ein erfreuliches Fazit: In den zurückliegenden zwölf Monaten seien 172 schwerwiegende Mängel an Kesseln behoben worden.
Stand am Beginn der industriellen Revolution noch die Dampfmaschine, erwuchs ihr um die Jahrhundertwende immer stärkere Konkurrenz durch Elektroantriebe. Bereits 1900 gab es in Bayern einen Revisionsverein für elektrische Anlagen. Etliche seiner Mitglieder gehörten auch dem Dampfkessel-Revisionsverein an, da sie in ihren Betrieben beide Technologien einsetzten. Folgerichtig fusionierten die zwei Vereine 1903 zum Bayerischen Revisionsverein. Im selben Jahr eröffnete der Badische Dampfkessel-Revisionsverein eine elektrotechnische Abteilung. Von 1907 an überwachte sie elektrische Aufzüge. Ab Sommer 1912 schrieb die Landesregierung regelmäßige Kontrollen für Personenaufzüge im Abstand von zwei Jahren, an Lastenaufzügen von vier Jahren vor. Sämtliche Ingenieure des Badischen Revisionsvereins wurden per Ministerialerlass zu Sachverständigen für Fördertechnik erklärt.
Im September 1906 erließ das Großherzogtum Baden erstmals eine Verordnung zur Überprüfung von Kraftfahrzeugen und deren Fahrern. Mit der Durchführung wurde der Badische Dampfkessel-Revisionsverein betraut, der am 15. Oktober 1910 zu diesem Zweck eine eigene Abteilung zur „Prüfung von Fahrzeugen und ihren Führern“ gründete und die ersten zwölf Kesselingenieure bei Carl Benz in Mannheim zu Kraftfahrzeugsachverständigen ausbildete. Im März 1938 erfolgte eine grundlegende Umgestaltung der technischen Überwachung: Aus den bisherigen 37 Institutionen im Reichsgebiet gingen insgesamt 14 regionale Prüforganisationen hervor, die nun nicht länger als DÜV (Dampfkessel-Überwachungsverein), sondern erstmals als TÜV (Technischer Überwachungsverein) firmierten. Im selben Jahr wurde in der Straßenverkehrszulassungsordnung der noch heute gültige, inzwischen mehrfach modifizierte Paragraf 29 verankert, der die regelmäßige Vorführung von Kraftfahrzeugen zur Hauptuntersuchung vorschreibt.
Seit 1951 sind diese Überprüfungen in zweijährigem Turnus Pflichtprogramm für alle Fahrzeughalter. Damals bekamen sie noch von der Zulassungsstelle per Post die Aufforderung, sich mit ihrem Auto oder Motorrad bei der nächstgelegenen TÜV-Prüfstelle einzufinden. Weil in den ersten zehn Jahren nach Einführung der Prüfpflicht der deutsche Pkw-Bestand von 715 904 auf mehr als 4,2 Mio. Fahrzeuge hochschnellte und immer mehr Autofahrer trotz amtlicher Einladung ihren TÜV-Termin „vergaßen“, prangt seit 1. Januar 1961 eine Prüfplakette auf dem hinteren Kennzeichenschild, die Monat und Jahr der nächst fälligen HU anzeigt.
Längst sind zur Fahrzeugüberwachung für den TÜV zahlreiche weitere Geschäftsfelder hinzugekommen, beispielsweise die Prüfung von Aufzügen, Kernreaktoren, Rolltreppen, Skibindungen und Fahrgeschäften von Schaustellern oder dynamische Crashtests von Elektroautos, um nur einige wenige zu nennen.
Im Jubiläumsjahr investiert der TÜV Süd in digitale Kompetenzzentren in München und Singapur: „Die digitale Transformation wird nahezu alle Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft umfassen und tiefgreifend verändern und damit auch viele unserer angestammten Geschäftsmodelle“, stellt Vorstandsvorsitzender Axel Stepken fest. Eine zentrale Aufgabe für den TÜV wird künftig die IT-Sicherheit in der Industrie sein.