Topf & Söhne und die KZ-Krematorien 29. Okt 2021 Von Peter Steinmüller Lesezeit: ca. 6 Minuten

Wie die Krematorienbauer des Holocaust mit den Nazis paktierten

1941 schlossen die SS und Topf & Söhne das Geschäft über den Krematorienbau im KZ Auschwitz-Birkenau ab. Die willige Beteiligung des Erfurter Unternehmens am Völkermord bestürzt noch heute.

Die Krematorien von Topf & Söhne sind bis heute Monumente des Holocaust. Das Foto zeigt vier der Öfen im KZ Auschwitz-Birkenau im Sommer 1943.
Foto: gemeinfrei

Für Oberingenieur Kurt Prüfer war Routine, was er am 8. September 1942 in einer Telefonnotiz festhielt: „Ich gab an, dass zurzeit drei Stück Zweimuffelöfen mit einer Brennleistung von 250 in Betrieb seien. Ferner wären jetzt im Bau fünf Stück Dreimuffelöfen mit einer Leistung von 800.“ Doch in den dürren Worten dieses Dokuments aus dem Archiv der Erfurter Firma J. A. Topf & Söhne verbirgt sich das Ungeheuerliche. Gesprächspartner von Prüfer war ein SS-Offizier im Vernichtungslager Auschwitz gewesen. Ihm hatte der Ingenieur mitgeteilt, dass mit bereits installierten Krematorien („Muffelöfen“) täglich 250 ermordete Menschen verbrannt werden konnten, und die in Bau befindlichen Öfen zusätzlich bis zu 800 Leichen am Tag in Asche verwandeln sollten.

Mit KZ-Krematorien machte Topf & Söhne kaum Umsatz

Warum ein mittelständisches Unternehmen am Holocaust mitwirkte, ohne unter Druck oder aus Überzeugung zu handeln, beschäftigt und beunruhigt Wissenschaft und Öffentlichkeit noch heute. Auch wirtschaftliche Motive scheiden aus: Das Geschäft mit der SS trug nie mehr als 2 % zum Umsatz bei.

Das Krematorium IV im KZ Auschwitz-Birkenau während der Bauarbeiten. Dort war ein ein Achtmuffelofen von Topf & Söhne montiert, also ein Ofen mit acht Verbrennungskammern. Foto: auschwitz.org/public domain

Das KZ Buchenwald war der erste Topf-Kunde aus dem Terrorapparat des NS-Staates. Topf war zu diesem Zeitpunkt ein renommierter Hersteller von Mälzereianlagen, Silos sowie Be- und Entlüftungsanlagen. Nachdem in der Weimarer Republik die Feuerbestattung populär wurde, entwickelte sich das Thüringer Unternehmen zum Marktführer für Krematorien.

Als 1939 eine Epidemie viele Häftlinge in Buchenwald das Leben kostete und das städtische Krematorium in Weimar mit fast Tausend Leichen überfordert war, nutzte Prüfer die Chance. Er entwickelte einen fahrbaren Verbrennungsofen, der weitgehend den von Topf ebenfalls angebotenen Kadaververbrennungsanlagen entsprach. Bei der Konstruktion warf Prüfer, der einst gewarnt hatte, Feuerbestattung dürfe „nicht auf das Niveau der Kadaverbeseitigung sinken“, alle ethischen Grundsätze über Bord. Zu diesen Vorgaben der Feuerbestattung gehörte, dass die Asche der Verstorbenen sich nicht untereinander oder mit dem Brennstoff mischen durfte. Ebenso war es verboten, dass die Leichen mit Schürhaken auch nur berührt wurden.

Topf & Söhne als wichtigste Lieferanten von KZ-Krematorien

In der Folgezeit entwickelte sich die Unterabteilung „Spezialofenbau“ unter Leitung von Kurt Prüfer zum wichtigsten Lieferanten von Krematorien für das KZ-System. In Öfen aus Erfurt verbrannten die Opfer der Lager Buchenwald, Groß-Rosen, Dachau, Gusen, Mauthausen und Auschwitz-Stammlager. Damit besaß Topf & Söhne die entsprechenden Referenzen, um das KZ Auschwitz-Birkenau auszustatten, in dem die SS den Völkermord im industriellen Maßstab betreiben sollte.

Ein Foto der alliierten Luftaufklärung vom KZ Auschwitz-Birkenau im Sommer 1944. Die dunklen großen Gebäude rechts (jeweils mit einem Anbau zum unteren bzw. oberen Bildrand) zeigen zwei Krematorien mit Gaskammern. Foto: public domain

Am 4. November 1941 bestätigte die Geschäftsführung von Topf & Söhne den Auftrag über fünf Leichenöfen mit jeweils drei Verbrennungskammern. Der stets um Effizienz bemühte Prüfer hatte die Öfen so konstruiert, dass die mittlere Kammer ohne Brennstoffzufuhr auskam – die Hitze der in den Nachbarkammern brennenden Leichen sollte die Toten in der Mitte entzünden. Kalkuliert hatte er die Anlagen für das Verbrennen von insgesamt rund 2000 Leichen pro Tag. Bis Ende 1944 wurden in Auschwitz-Birkenau rund 1 Mio. Menschen ermordet und fast alle von ihnen in den Topf-Öfen verbrannt.

Mitarbeiter von Topf & Söhne waren Mitwisser des Holocaust

Mindestens ein Dutzend Mal reiste Prüfer nach Birkenau, Monteure von Topf waren im KZ mehr als ein Jahr beschäftigt. Den Massenmord verbargen sie keineswegs vor der Heimat. Eine Notiz, in der ein „Gaskeller“ erwähnt wird, trägt die Kürzel eines Geschäftsführers, des Betriebsdirektors, eines Prokuristen und des Einkaufsleiters.

Kurt Prüfers „Erfolge“ stachelten sogar den innerbetrieblichen Wettbewerb an: Sein Vorgesetzter Fritz Sander stellte 1942 einen Patentantrag für einen „kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofen für Massenbetrieb“, in dem über eine Rutsche eingeführte Leichen von bereits brennenden Körpern entzündet werden sollten.

Topf & Söhne als Partner der SS

Als Untergebene der SS verstanden sich Prüfer und sein Arbeitgeber keinesfalls, vielmehr als gleichberechtigte Partner. Das zeigen die Geschäftsbriefe deutlich. Immer wieder machte Prüfer Vorschläge, um den Massenmord zu perfektionieren. So entwickelte Topf ein Be- und Entlüftungssystem für die Gaskammern, das die Mordaktionen beschleunigte. Auf Prüfers Vorschlag wurden die Gaskammern aus der Abwärme der Krematorien vorgeheizt, damit das Giftgas Zyklon B schneller tödlich wirkte.

Ein Leichenverbrennungsofen im ehemaligen KZ Mauthausen. Er stammt von der Firma Kori, die mit Topf & Söhne bei den KZ-Krematorien in Konkurrenz stand. Foto: Paulus 2/public domain

Den Ehrgeiz von Prüfer und seinen Kollegen brachte Annegret Schüle, Leiterin des Gedenkortes Topf & Söhne, auf den Punkt:

„Sie standen mit Stoppuhren vor den Öfen in Auschwitz, um die Verbrennung zu messen und zu verkürzen. Sie nahmen an Vergasungen von Menschen teil, um ihre Lüftungstechnik zu testen.“

Weil die SS durch den beschleunigten Massenmord immer stärker auf Topf angewiesen war, konnte sich die Firma einiges gegenüber ihrem Kunden herausnehmen. Die Reklamation der SS-Bauleitung bei einem Aufzug beantwortete die Topf-Geschäftsführung barsch: Sie könne nicht verstehen, „dass Sie uns für eine nicht von uns ausgeführte Anlage haftbar machen“. Als Risse im Schamott eines Ofens auftraten, beschied Topf seinem Kunden fast arrogant, für die Inanspruchnahme der Gewährleistung sei es selbstverständlich Voraussetzung, „dass die evtl. aufgetretenen Mängel infolge fehlerhafter Ausführung entstanden sind und nicht etwa durch Überhitzung der Öfen (…)“.

Die Rolle von Topf & Söhne im Holocaust blieb verborgen

Nach Kriegsende blieb der Beitrag von Topf zum Völkermord weitgehend unbekannt. Kurt Prüfer starb in sowjetischer Haft. Dass in der DDR kein Interesse an einer Aufarbeitung des im VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau aufgegangenen Unternehmens bestand, lag auch an Heinrich Messing, einem der Topf-Monteure in Auschwitz.

Der kommunistische Widerstandskämpfer hatte dort unter anderem die Be- und Entlüftung der Gaskammern montiert. Als Betriebsratsmitglied von Topf und später als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit hatte Messing keinerlei Interesse, dass seine Rolle und die von Topf im Holocaust untersucht wurde.

Weil die Asche aus den KZ-Krematorien verscharrt oder in Flüsse gekippt wurde, gibt es für die Hinterbliebenen kein Grab, an dem sie trauern können. In der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem erinnert ein ehemaliger Güterwaggon der Reichsbahn an das Schicksal der im Holocaust Deportierten. Foto: Steinmüller

Doch was hat die Brüder Topf und ihre Mitarbeitenden dazu gebracht, an einem Menschheitsverbrechen mitzuwirken? Laut Volkhard Knigge, ehemaliger Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, hat zum Mitmachen neben der staatlichen Legitimation genügt, „dass es um technische Herausforderungen ging, die den Ehrgeiz der Ingenieure anstachelten“. Annegret Schüle formulierte es so:

„In Topf & Söhne begegnet uns das gewöhnliche Gesicht der Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz.“

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