Wie Menschen der Technik vertrauen
Vertrauen in Technik ist nicht erst in unserer Zeit zum Thema geworden, wie eine Tagung der Technikhistoriker im VDI zeigte. Auch in früheren Epochen musste für Akzeptanz geworben werden. Bisweilen kann der Versuch, Vertrauen herzustellen aber auch ins Gegenteil umschlagen.
Meist wird, wenn es um Technik geht, über Misstrauen und Risiken gesprochen. Auf der Tagung der Technikhistoriker im VDI Anfang März in Bochum sollte es dagegen darum gehen, wie sehr man der Technik vertrauen könne und was die Voraussetzung dafür sei. Vertrauen, so die These, sei ein historisch wandelbares Produkt und jeweils das Resultat sozialer Aushandlungsprozesse.
Mittelalterliche Kanonen zum Beispiel. Der Historiker Marcel-André Karpienski von der Universität Münster analysierte an zeitgenössischen Schriften, dass das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Waffen an das Expertentum der Geschützmeister und militärischen Fachleute gebunden war. Ihre individuelle Erfahrung, ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten sollten die Militärs von der Brauchbarkeit der Kanonen überzeugen. Manchmal wurden auch Techniken angepriesen, die gar nicht funktionieren konnten.
Das zeigt, dass eine Aufgabe dieser Traktate auch Werbung war – ein Aspekt, der in der Wahrnehmung von Technik eine große Rolle spielt, damals schon und umso mehr heute, in der Zeit von PR und Unternehmenskommunikation. Wie sehr Technikvertrauen auch mit gesteuerter Wahrnehmung zu tun hat, blieb in der Tagung jedoch eher unterbelichtet.
Einen interessanten Begriff prägte der Stuttgarter Historiker Thomas Schuetz, der sich mit der Weinverschönerung durch technische Verfahren befasste: Er sprach von der „Realitätsfiktion der Konsumenten“. Vertrauen in die Qualität der jeweiligen Weine sei davon abhängig, welche Erwartungshaltungen und Vorstellungen die Konsumenten selbst einbrächten.
In seiner Analyse verglich Schuetz zwei Verfahren: die Chaptalisation, das ist die Mostzuckerung, wie sie um 1800 in Frankreich eingeführt wurde, und die Umkehrosmose zur Mostkonzentration, die etwa um 1990 eingeführt wurde.
Die Mostzuckerung wurde seinerzeit begriffen als technischer Fortschritt. Winzer und Weinhändler beförderten die Technik und niemand machte ein Geheimnis daraus. Die Umkehrosmose dagegen, technisch aufwendig und teuer, wird heute von Winzern, die damit arbeiten, nicht an die große Glocke gehängt, so Schuetz. Die Konsumenten möchten doch an der Fiktion des ganz natürlich produzierten Kulturguts Wein festhalten.
Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung von Technik können Historiker auf fast allen Feldern finden. So gab es Kirmes-Loopings schon im 19. Jahrhundert, damals hießen sie „Centrifugal-Eisenbahnen“. Obwohl die Fahrten gefährlich waren, weil Wagen und Passagiere tatsächlich nur durch die Fliehkraft gehalten wurden, überließen die Passagiere sich voller Technikvertrauen dem Vergnügen. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts, so der Hamburger Historiker Stefan Poser, änderte sich die Sicht. Damals wurde begonnen, neue Sicherheitstechniken zu entwickeln, so dass die Besucher seither nicht mehr nur von der Fliehkraft gehalten wurden. Eine Mutprobe ist eine Loopingfahrt aber bis heute geblieben.
Von Paradigmenwechseln gekennzeichnet ist auch die Energietechnik – mit der Energiewende ist ja gerade ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Der Berliner Historiker Hendrick Ehrhardt analysierte die Konzernpolitik des Energiekonzerns RWE in den 60er- und 70er-Jahren. Damals wurden neue Anforderungen aus der Umweltpolitik laut, etwa in der Debatte um die Entschwefelung der Anlagen. Die Politik hat sich mit der TA Luft durchgesetzt.
Der Energiekonzern hatte zunächst geblockt. Er reagierte erst, als die Veränderung unvermeidlich wurde, und versuchte zugleich, sich selbst als umweltbewusstes Unternehmen darzustellen. Erhardt vermerkt ambivalentes Verhalten: „Energieversorger sind keine innovationsfreudigen Unternehmen.“
Der Paradigmenwechsel lässt sich an einigen Eckdaten markieren. Mitte der 70er-Jahre hatte sich das gesellschaftliche Umfeld für die Energiekonzerne stark verändert. Diskutiert wurde über Sauren Regen und Waldsterben. Bücher wie Rachel Carsons „Stummer Frühling“ von 1962 thematisierten das Konzept des ökologischen Gleichgewichts, der Club of Rome verkündete 1972″Das Ende des Wachstums“, die Ölkrise von 1973/74 ließ das handgreiflich werden.
Der Chaos Computer Club dagegen ist geradezu ein Produkt des Risikobewusstseins. Die Bochumer Historikerin Julia Gül Erdogan untersuchte die Rolle der Hacker im Spannungsfeld zwischen Chance und Risiko der neuen Techniken. Die Hacker gingen zunächst von Technikbegeisterung und einer technischen Zukunftsvision aus, knüpften an die Befürchtungen der Bevölkerung an und vertreten seit je explizit den Anspruch auf Aufklärung und Ausbildung.
Freilich auch mit einer Wendung ins Paradoxe. Indem Hacker mit ihrer Tätigkeit Vertrauen in die Technik herstellen wollen, schaffen sie gleichzeitig Misstrauen, indem sie in Computersysteme eindringen und Sicherheitslücken aufdecken. Auch hier gilt: Vertrauen in Technik ist wandelbar und wird sozial jedes Mal wieder neu ausgehandelt.