5G klopft an die Industrietore
In Deutschland wird ein Extra-Frequenzband für lokale Mobilfunkbetreiber reserviert. Die Industrie könnte so ihre Produktionen mit 5G versorgen.
Wer wissen will, wie 5G aussehen kann, sollte einen Blick über deutsche Grenzen hinaus wagen: in das wohl produktivste Bergwerk der Welt nach Schweden oder auf eine Fähre bei Helsinki. Da werden im schwedischen Erzbergwerk Garpenberg 1,2 km unter der Erde Menschen, Werkzeuge und Maschinen überwacht. Seit letzten Mittwoch wird eine finnische Fähre über Mobilfunk ferngesteuert.
Aber auch in Deutschland tut sich was. Roboter rollen in einem Werk von Osram in Schwabmünchen in einem Campusnetz: Heute werden sie noch mit LTE, mit 4G, gesteuert, demnächst mit 5G-Technik. Der Übergang ist fließend.
Die neue Mobilfunkgeneration und die Industrie – das ist in Deutschland eine Liaison ganz besonderer Art. Denn die produzierende Industrie soll hierzulande – wie sonst noch nirgends auf der Welt – ein ganz spezielles Frequenzspektrum erhalten.
Wenn im Frühjahr nächsten Jahres in Mainz erneut Frequenzen versteigert werden, geht es zunächst um Lizenzen rund um 2 GHz bzw. zwischen 3,4 GHz und 3,7 GHz. Ein Bereich, der durchaus attraktiv ist für 5-G-Anwendungen. Doch die Industrie wollte mehr und erhielt es nach den aktuellen Auflagen zur Versteigerung auch. Ein klein wenig höher im Bereich zwischen 3,7 GHz und 3,8 GHz wird die Bundesnetzagentur einen Bereich für lokale Frequenzen zur Verfügung stellen. Hier wird nichts versteigert. Die Lizenzen erhalten Unternehmen, vielleicht auch Städte, auf Antrag. Vielleicht, so mutmaßen Protagonisten, gegen eine Gebühr.
Noch sei das genaue Verfahren nicht ausgestaltet. Es soll kurz vor der Auktion der anderen Frequenzen verkündet werden. „Wir wissen, dass 5G für die Industrie hochinteressant ist und wollen das Innovationspotenzial nutzbar machen“, erklärt Agentursprecher Fiete Wulff. Die Behörde ist überzeugt davon, dass Deutschland – ähnlich übrigens wie bei der Versteigerung der 700-MHz-Frequenzen – mit diesem lokal reservierten Frequenzen Vorreiter ist.
„Wir brauchen uns als Deutschland nicht zu verstecken“, erklärt Thorsten Robrecht, Vice President Advanced Mobile Networks Solutions beim Netzausrüster Nokia, der die ganze Welt mit Mobilfunk ausstattet. Die Verteilung von lokalen Lizenzen für die Industrie könnte seiner Meinung nach Signalwirkung für die ganze Welt haben. „Ein Leuchtturm“, wie der 5G-Experte es formuliert. „Viele Länder schauen schon auf Deutschland.“ Solche wie die USA, die bereits rund um 3,5 GHz ein Band nutzen, um die Industrie mit LTE zu versorgen.
3,7 GHz bis 3,8 GHz, das weiß Techniker Robrecht, sind optimal für Anwendungsfälle in der Industrie: Die Abdeckung sei groß genug, das Investment überschaubar. Hinzu komme, dass diese Frequenzen auch noch funktechnische Herausforderungen wie Metall oder Flüssigkeiten meistern. Wer dann das lokale 5G-Firmennetz anbietet, ist offen. Große Unternehmen können das mit ihren IT-Abteilungen stemmen, aber auch Betreiber wie Telekom, Vodafone & Co. dürften eine Scheibe vom Kuchen abschneiden wollen.
Die Kunden jedenfalls sind heiß auf 5G, das weiß man bei Nokia. Vor allem die großen Automobiler und deren Zulieferer sind vorne dabei. Ein Werk von BMW in China stattet der Netzausrüster bereits mit 5G aus. Logistiker mit ihren Zentren, Flug- und Seehäfen wie Hamburg (s. VDI nachrichten Nr. 46/18) reihen sich in die Zahl der Frühstarter ein. Große Konzerne zeigen Interesse.
10 km² groß ist das Werk der BASF in Ludwigshafen. Es umfasst über 100 km Straßen und 230 km Schienenwege und über 2800 km Rohrleitungen. Hier von einer „lokalen“ Lizenz zu sprechen, ist schon beinahe untertrieben. BASF, das ist eine Stadt – vollgepackt mit Produktionsanlagen, Kraftwerken, Turbinen, Destillations- und Kühlanlagen.
Schon jetzt experimentieren die Ludwigshafener mit autonomen Fahrzeugen, die über LTE gesteuert werden. „Bis 2020 ist der Einsatz von 20 Fahrzeugen geplant“, erklärt Matthias Fankhänel, Abteilungsleiter Technical Expertise des Konzerns. Dann natürlich über 5G. Denn eines steht fest: BASF hat viel vor mit dem neuen Mobilfunkstandard.
„Augmented Reality, Assistenzsysteme für mobiles Arbeiten, der Einsatz von Drohnen, Remote Operation“ – die Liste scheint nicht enden zu wollen. Momentan sind auf dem Fabrikgelände in Ludwigshafen rund 600 000 Sensoren und Aktoren installiert. Durch die Digitalisierung könnten es zehnmal so viele werden, schätzt Fankhänel. Geräte, die teils ohne zwischengeschaltete Steuerung miteinander kommunizieren. Er weiß: „So viele Daten zu übertragen, kann weder 4G noch eine andere herkömmliche Technologie leisten. Dafür brauchen wir 5G.“
Ähnliches gilt für die Nutzung von Augmented Reality (AR). „Mit AR-Brillen können Mitarbeiter auch Kollegen auf der ganzen Welt bei der Instandhaltung von Maschinen anleiten, indem sie ihnen am Objekt in der virtuellen Realität zeigen, was zu tun ist – mit 5G geht das am besten.“
Die Technik benötigt die Bandbreite der fünften Generation und vor allem deren Zuverlässigkeit. Heute sind WLAN-Netze in den Anlagen auf dem riesigen Werksgelände verteilt – allerdings noch nicht flächendeckend. „Auch hinsichtlich Verfügbarkeit und Ansprechzeit können diese Netze nicht vollständig unsere Anforderungen erfüllen“, sagt Fankhänel.
Wenn einer genau weiß, was in der Industrie gefragt ist, dann ist das Detlef Zühlke, Initiator der Technologieinitiative Smartfactory Kaiserslautern und der Vater von Industrie 4.0. Geringe Verzögerungsraten (Latency) und millisekundengenaue Zeitstempel – das brauche Industrie 4.0.
„Echtzeit ist ein schwammiges Wort – bei einer Kläranlage oder Stahlwerken können das 10 s sein, bei einer schnelllaufenden Verpackungsmaschine 1 ms und weniger“, sagt Zühlke. Für beide Anwendungsfelder sei allerdings ein reproduzierbares und vorhersagbares Zeitverhalten entscheidend. „Das liefert uns im Drahtlosbereich 5G“.
Es gehe in der Industrie nicht nur um Schnelligkeit. Eine Antriebssteuerung brauche für das reine Steuern sehr schnelle kurze Informationen bei eher geringeren Datenmengen. Wenn aber Statistikdaten abgefragt würden, z. B. für die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance), so Zühlke, dann müssten eine Menge Daten in die andere Richtung übertragen werden. Die Netze müssen sich also anpassen können.
Schon heute haben die Pfälzer gemeinsam mit Huawei ein 5G-Netz aufgebaut. Es rollt bereits ein selbstfahrender Roboter mit 5G und WLAN durch die Hallen der Smartfactory, künftig wollen die Wissenschaftler dort auch AR-Brillen anschließen. „Wir haben bereits ein paar Erfahrungen sammeln können“, sagt er und freut sich zugleich: „Im Frühjahr kommen dann die Vorserienprodukte – stationäre und mobile Funkzugangssysteme – raus, die ‚close to market‘ sind.“ Dann werde es interessant, aber auch höchste Zeit, die Technologie fabriktauglich zu machen.
Zühlke weiß auch, dass 5G in der Industrie von den Großen getrieben wird. „Der typische Mittelständler tut sich schwer und ist auf der Suche. Dem müssen wir helfen – ähnlich wie bei Industrie 4.0.“ Zumal die Mittelständler gerade aktuell unter der Überlast leiden. Sie machten gute Geschäfte, aber es blieben keine Freiräume, um sich um 5G zu kümmern. Grund genug, in Kaiserslautern ein Testzentrum für die fünfte Mobilfunkgeneration aufzubauen.
Noch sind viele Fragen offen, die bei solch einem Technologiewechsel anstehen. Wer richtet die Netze ein, wer betreibt sie? Welche Rolle spielen künftig die klassischen Netzbetreiber? Brauchen wir vielleicht für autonomes Fahren eine Extra-Frequenz oder reicht das Slicing, bei dem einzelne Stückchen aus dem Gesamtnetzwerk herausgeschnitten und für spezielle Nutzungen verfügbar gemacht werden? Ist es vorstellbar, dass z. B. ein Presswerk mit all seinen unterschiedlichen Komponenten von verschiedenen Herstellern eine lokale Lizenz erhält – ähnlich wie beim Campusmodell? In den nächsten Monaten dürfte genau das in vielen Chefetagen und Expertenrunden diskutiert werden.
Bei Phoenix Contact ist man entspannt. Die Ostwestfalen haben bereits viel Erfahrung mit Mobilfunkprodukten aller Generationen – 2G, 3G, 4G. Das alles bietet das Unternehmen seinen Kunden an. „Mit 5G entstehen für uns Möglichkeiten, neue Produkte für die Anlagen- und Maschinenautomatisierung zur Verfügung zu stellen“, erklärt Frank Hakemeyer, Leiter der Produktlinie Communication Interfaces in der Phoenix Contact Electronics GmbH. Er schätzt besonders Eigenschaften wie geringe Latenz, Skalierbarkeit durch Network Slicing, aber auch die garantierte Servicequalität bei 5G. „Unsere Kunden werden aber durchaus Interesse haben, lokale Netze zu nutzen und gegebenenfalls selbst zu betreiben“, da ist sich Hakemeyer sicher.
Industrieverbände wie die 5G Acia, in der sich Automatisierer gemeinsam mit Mobilfunkern engagieren, haben sich frühzeitig für das lokale Extra-Frequenzband engagiert (s. VDI nachrichten Nr. 26/18). Ihr Vorsitzender Andreas Müller ist vom 5G-Potenzial überzeugt, auch vom „disruptiven“, wie er betont. „Die Art und Weise wie ich eine Fabrik aufbaue, kann mit 5G in seiner vollen Güte ganz anders aussehen als heute“, erklärte er unlängst auf der SPS/IPC/Drives. Flexibilität, Wandelbarkeit: „Was wir mit Industrie 4.0 erreichen wollen, können wir mit 5G zum Äußersten treiben.“ Dem jedenfalls dürfte zwischen 3,7 GHz und 3,8 GHz nur noch wenig im Wege stehen.