„5G wird das zentrale Nervensystem in der Fabrik“
Die Automatisierer haben sich in der 5G-Acia zusammengeschlossen. Gunther Koschnick, Geschäftsführer des ZVEI-Fachverbands Automation, erklärt, was sich die Industrie von 5G verspricht.
VDI nachrichten: Was will die 5G-Allianz für die Industrie tun? Was haben Sie sich für Ziele gesetzt?
Koschnick: Wir sehen überall, dass die WLAN-Technologie, wie wir sie heute haben, an ihre Grenzen stößt. Auf einer Messe beispielsweise wird das überdeutlich. Denn jeder Smartphone-Nutzer ist permanent online, viele Produkte senden ihre Informationen ins Internet der Dinge über WLAN. Unter dieser Last ist in drahtlosen Netzen eine qualitative und verlässliche Kommunikation immer schwieriger.
5G-Acia
Die 5G Alliance for Connected Industries and Automation, kurz 5G-Acia, wurde im April gegründet. Sie ist ein globales Forum, in dem Automatisierer, Anwender aus dem Maschinenbau und der Prozessindustrie, Netzanbieter und -ausrüster gemeinsam mit wissenschaftlichen Instituten zusammenarbeiten.
Der Zentralverband der Elektroindustrie (ZVEI) koordiniert die Aktivitäten.
Das gemeinsame Ziel der 5G-Acia: den neuen Mobilfunkstandard in der industriellen Produktion zu etablieren und von vornherein industriefähig zu gestalten.
Zu den Gründungsmitgliedern zählen u. a. Bosch, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Ericsson, Fraunhofer-Gesellschaft, Infineon, Institute Industrial IT (inIT), Institut für Automation und Kommunikation e. V. (ifak), Intel, Mitsubishi, Siemens, Deutsche Telekom, Trumpf und Vodafone.
In der Fabrik haben wir zwar nicht so viele Menschen und nicht so viele Störungen. Aber wir nutzen auch dort die Technik, die für den Consumer-Markt entwickelt wurde. Damit müssen wir bestimmte Restriktionen, z. B. nicht garantierte Latenzzeiten, in Kauf nehmen. In der WLAN-Standardisierung haben wir mit unseren wenigen Netzeinheiten wenig Gestaltungsspielraum. Wir wollen aber Regelkreise in Echtzeit fahren. Wir brauchen nicht immer Mikrosekunden, aber eine garantierte Zykluszeit. Das ist in der heutigen Technik nicht mehr so einfach möglich.
Gunther Koschnick leitet seit März 2014 die Geschäftsstelle des ZVEI-Fachverbands Automation. Bevor er im Jahr 2013 zum ZVEI kam und die Leitung des Fachverbands Elektrische Antriebe übernahm, war Koschnick über 20 Jahre für Unternehmen der Automation tätig gewesen – zuletzt als Leiter Vertrieb und Marketing in der Antriebstechnik bei ABB. Er studierte Elektrotechnik an der Fachhochschule Gießen und der Lancashire Polytechnic Preston im Nordwesten Englands.
Was wird sich mit der kommenden Mobilfunktechnik verbessern?
5G wird das zentrale Nervensystem in der Fabrik der Zukunft sein. Wir gehen davon aus, dass der neue Mobilfunkstandard viel von dem ablösen wird, was wir heute haben. 5G bietet Technologien, die Automatisierer nicht von Hause aus kennen, aber die hohe Performance versprechen. Mit Network Slicing beispielsweise, einer Technik, bei der einzelne Netzabschnitte für bestimmte Anwendungen reserviert werden, stehen gesichert viel mehr Kapazitäten in einem engeren Frequenzband zur Verfügung.
Daher formulieren wir Automatisierer jetzt erst mal, was wir alles brauchen. Wenn wir wirklich etwas beim Standardisierungsgremium 3GPP erreichen wollen, dann müssen wir zusehen, dass uns zugehört wird. Da reicht es nicht aus, wenn wir uns als Fachverband Automation des ZVEI alleine engagieren, das muss in größeren Dimensionen geplant werden.
Inwieweit haben Sie dann Einfluss?
Die deutsche Politik hört uns an: Wir haben eine große Hebelwirkung, hinter uns stecken Tausende von Arbeitsplätzen. Und natürlich stehen wir für eine moderne und zukunftsträchtige Industrie. Mit der industriellen Nutzbarmachung von 5G benötigen wir den Schulterschluss mit der 5G-Industrie, denn aktuell kommen nur weniger als 5 % aller Produkte im Internet der Dinge, die drahtlos angebunden sind, von uns.
Deshalb haben wir uns Verbündete gesucht und geschaut, wer die Stakeholder sind. Das sind zunächst die Endanwender, z. B. aus der Chemie- und Automobilindustrie, mit dem Bedarf an flexibler Fertigungstechnologie. In Zukunft wird das Auto selbstständig durch die Fabrik fahren und sich eine Produktionsstrecke suchen. Dafür ist viel Kommunikation vonnöten. Aber auch die 5G-Industrie, Chiplieferanten, Netzausrüster und Netzbetreiber sind in der 5G-Acia dabei.
Wieso sind Frequenzen so wichtig?
Der massiv steigende Bedarf an drahtloser Konnektivität erfordert qualitativ gestaltbare Spektrumsressourcen. Deshalb sind die im 3,6-GHz-Band vorgesehenen 100 MHz für die regionale Nutzung bei der Modernisierung der Fabriken unerlässlich. Erst mit der 5G-Technologie in einem qualitativen Spektrum werden Anwendungen für eine vernetzte Industrie 4.0 möglich.
Tritt dann der ZVEI als Bieter bei der Auktion der 5G-Frequenzen auf?
Ein klares Nein. Die Auktion betrifft den bundesweiten Ausbau von 5G und adressiert nur bundesweit agierende Netzbetreiber. Die regionale Frequenzvergabe wird über das sogenannte Antragsverfahren der Bundesnetzagentur umgesetzt und unser Weg für eigenes Spektrum sein.
Und das sollte für die Industrie reserviert sein?
Das Antragsverfahren für die regionale Frequenzvergabe wird 2018 und gegebenenfalls bis 2019 noch vom Regulierer ausgestaltet. Der Industrie ist es wichtig, dass das regional verfügbare Spektrum für den Produktivdatenverkehr reserviert wird und nicht noch mehr kostbares Spektrum für Consumer-Anwendungen bereitgestellt wird.
Könnte es auch sein, dass einzelne Player aus der Industrie bei der Frequenzversteigerung mitbieten? Und wenn ja, wer?
Die Frequenzversteigerung betrifft Frequenzen im Bereich von 3,4 GHz bis 3,7 GHz und diese sind an Auflagen wie den bundesweiten Ausbau gebunden und ganz klar das Geschäftsmodell der bundesweiten Netzbetreiber und nicht der Industrie. Wir versprechen uns aber Flexibilität im Spektrum, um z. B. Kapazitäten der Netzbetreiber regional mitnutzen zu können.
Netzbetreiber wie die Telekom wollen Geld verdienen. Trennen sich da die Welten der Mitglieder der 5G-Acia?
Wir sehen dies nicht im Widerspruch − im Gegenteil, die kommende 5G-Technologie verspricht eine hohe Einsatzflexibilität und mit dem jetzt vorliegenden Frequenzvergabedesign der Bundesnetzagentur ergeben sich zusammen große Gestaltungsspielräume, die wir als Industrie mit unserer Komplexität dringend benötigen. Es öffnen sich Synergien z. B. beim gemeinsamen Aufbau eines privaten Netzes mit einem öffentlichen Netzbetreiber, beim Zusammenschalten von Kapazitätsressourcen oder aber in manchen Fällen, wo ein dediziert autark betriebenes Netz notwendig ist – mindestens eine Anbindung in das öffentliche 5G-Netz für den Datenverkehr entlang der Wertschöpfungskette.
In den Fabriken wollen Sie dann die Netze selbst betreiben und damit ein abgeschlossenes System haben?
Diese Option wird sicher notwendig sein, um z. B. hochsensible Datenbereiche zu schützen oder sicherheitskritische Kommunikation aus Haftungsgründen in Eigenregie betreiben zu können.
Und draußen?
Die Pipeline eines Chemiewerks geht in der Regel aus dem Gelände raus, dort soll sie auch überwacht werden. Bis dato mussten immer viele Kabel an der Pipeline entlang gezogen werden. Das könnten dann auch 5G-Netze übernehmen – auch in Form von öffentlichen Netzen, die dann von Telekom & Co. betrieben werden.
Jede Fabrik wird Lkw nach draußen fahren lassen, Logistikkomponenten, mit denen kommuniziert werden soll. Wir möchten ja in Industrie 4.0 die komplette Wertschöpfungskette einbinden. Ein spannendes Thema für die Automobilindustrie, deren Lager sich mit „just in time“ auf der Straße befindet und damit Staus ausgesetzt ist.
Sind die geringen Verzögerungsraten das Hauptthema für die Industrie? Mit 5G könnte sie beinahe in Echtzeit agieren.
Die Geschwindigkeiten würden wir auch mit Glasfasern oder Kupferkabel hinkriegen. Das eigentliche Thema ist die Flexibilisierung der Produktion. Wir werden viel mehr mobile Einheiten in der Fabrik haben, vielleicht Produkte, die miteinander kommunizieren, und kommen daher nur mit neuen Funktechniken zu schnelleren Umrüstzeiten. Wenn es beispielsweise eine Störung an einer Stelle gibt, dann lässt sich einfach ein Sensor im Netz integrieren.
Wir gehen davon aus, dass wir mit 5G auf eine softwaregestützte Technik setzen, die mindestens die nächsten zehn Jahren den Standard prägen wird. Das ist in der IT-Industrie schon eine Menge.
Wann rechnen Sie mit ersten Anwendungen?
In den nächsten zwei Jahren werden wir Testbeds ausrollen und werden unsere Anforderungen gegenüber den dann verfügbaren 5G-Standards testen. Damit schaffen wir eine Grundlage zur schrittweisen Überführung in den industriellen Wirkbetrieb.
Welche Tücken erwarten Sie in nächster Zeit?
Wir haben ja erst angefangen. Seit Herbst 2017 treffen wir uns in Arbeitsgruppen. Große Plenary-Meetings finden sechsmal pro Jahr statt und wir arbeiten daran, eine weltweite Themenabdeckung zu erreichen, indem wir globale Schwergewichte der IKT-Branche für die 5G-Acia-Mitgliedschaft zu gewinnen.
Das wird jetzt eine sehr spannende Zeit mit viel, viel Arbeit. Schließlich hat bislang nicht jeder Automatisierer Kompetenz in der Mobilfuntechnik. Das ist eine Technik, die sie nicht selbst entwickelt haben, die sie aber dennoch in ihre Abläufe integrieren müssen. Viele lernen jetzt erst diese neue Welt kennen und auch die Sprache, die dort gesprochen wird.
Sind die deutschen Automatisierer führend in diesem Prozess, 5G zu integrieren?
Wir haben in Deutschland eine gewisse Kultur zur Zusammenarbeit verinnerlicht und wissen, dass wir Automatisierer bei großen Themen gemeinsam mehr bewegen können als jeder individuell. Hier arbeiten Mittelständler und Konzerne zusammen, um konzeptionelle Lösungen zu erarbeiten und diese zu standardisieren. Konzerne sind regional breit aufgestellt, gut vernetzt und bringen ihre Experten ein. Mittelständler, spezialisiert in ihrem Portfolio, mit ihren domänenspezifischen Experten zeichnet oft eine starke Flexibilität aus. Diese gemeinsame Innovationskraft macht den Erfolg aus.