Bye-bye SIM-Karte, willkommen eSIM
Die eSIM steht vor dem Durchbruch bei Smartphone & Co. Hardwarehersteller wollen die neue Technik möglichst schnell durchsetzen. Doch für Mobilfunker bleibt die Einführung nicht ohne Risiken.
Die Geschichte der Chipkarte begann mit zwei deutschen Ingenieuren: Im September 1968 meldeten Jürgen Dethloff und Helmut Gröttrup den „Identifikand mit integrierter Schaltung“ zum Patent an, einen elektronisch auslesbaren Datenspeicher, der sich in eine Plastikkarte integrieren ließ.
50 Jahre später könnte die eSIM den Datenaustausch erneut revolutionieren: Nachdem die GSM Association (GSMA), der 800 Mobilfunkbetreiber und 300 weitere Unternehmen angehören, den endgültigen Standard für den Nachfolger der milliardenfach bewährten SIM-Karte verabschiedet hat, steht der Einführung des Nachfolgers nichts mehr im Wege.
Dabei steht das „e“ für „embedded“: Die neue SIM wird als winziger Chip fest im Gerät fixiert – nicht nur in Smartphones oder Smartwatches, sondern auch in vernetzten Fahrzeugen und Maschinen. Der größte Vorteil der eSIM: Sie ermöglicht es, die Profile verschiedener Netzbetreiber auf einem Gerät zu speichern und zwischen diesen zu wechseln. So weit die vielversprechende Theorie.
Die Realität sieht etwas anders aus: So erlaubt es zum Beispiel die eSIM der Deutschen Telekom nicht, das Profil eines anderen inländischen Anbieters zu laden, obwohl dies technisch möglich wäre. Dann könnten die Kunden online einen Tarif aussuchen und die zugehörigen SIM-Daten als Download auf dem Handy empfangen. Außerdem wäre ein Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern möglich, um den jeweils günstigsten Tarif zu nutzen.
Doch offensichtlich fiel die geplante Duo- oder Quatro-SIM-Funktion bei den GSMA-Verhandlungen den wirtschaftlichen Interessen der Branche zum Opfer. Nur auf Auslandsreisen darf ein lokaler Anbieter gewählt werden, um Gebühren zu sparen. Dennoch erwarten Experten wie Bernd Theiss, Test- & Technikchef beim Fachmagazin Connect, dass sich die eSIM „eher früher als später durchsetzen wird“. Dann allerdings bestünde die Gefahr, „dass die Mobilfunk-Carrier schneller Kunden verlieren, weil diese wechseln können, ohne eine neue SIM in den Händen halten zu müssen“.
Aktuell sind die Preise für die eSIM-Nutzung mit monatlichen Gebühren von 5 € bis 30 € pro (Extra-)Karte noch hoch. Zudem beschränkt sich das Angebot auf Direktverträge der Anbieter Deutsche Telekom und Vodafone. Bei Vodafone steht doe eSIM-Vermarktung für Smart-Uhren von Apple und Samsung im Vordergrund. Der dritte Mobilfunkanbieter Telefonica will erst in den nächsten Monaten nachziehen.
Die Netzbetreiber haben es also nicht besonders eilig, den neuen Standard im Markt zu etablieren. Aufs Tempo drücken vor allem prominente Smartphone- und Tabletproduzenten, „weil diese Unternehmen generell Produkte auf den Markt bringen, die sehr an der Nutzererfahrung des Kunden orientiert sind“, so Theiss. Schließlich sei es keine gute Erfahrung, für eine SIM-Karte einen Shop aufsuchen zu müssen oder auf deren Versand zu warten. Auch die fummeligen Nano-SIM-Schlitten seien ein Ärgernis. Mit der eSIM erhöhe sich die Bequemlichkeit. Dann könnte der gewünschte Netzbetreiber einfach aufs Gerät „geladen“ werden – ähnlich wie man es von Musik- und Videoangeboten gewöhnt sei.
Neben Apple (für die jüngst präsentierten iPhones und die Apple Watch 4 soll die entsprechende Funktion ab Ende Oktober per Update verfügbar sein) setzen auch Huawei und Samsung bei den aktuellen Smart-Uhren auf die eSIM. Amazon will künftige Kindle-Tablets ebenfalls damit ausstatten. Die Kunden sollen mit den Touch-Computern auch ihre smarten Leuchten, Haushaltsgeräte und Thermostate über das Web steuern können.
Schon seit Jahren verdienen die mächtigen digitalen Player im Markt viel Geld mit Internetdiensten, obwohl sie kein eigenes Netz betreiben. Die Milliardenkosten dafür müssen die Mobilfunk-Netzbetreiber schultern. Werden diese durch die eSIM womöglich bald zu reinen Leitungslieferanten degradiert? Connect-Experte Theiss glaubt eher das Gegenteil: „Den Carriern eröffnet die eSIM die Möglichkeit, den Kunden mit exzellenten Leistungen, niedrigen Preisen oder zusätzlichen Services zu überzeugen.“
Wie sich der Markt in den nächsten Jahren verändern könnte, zeigt Google mit einem internationalen Mobilfunkangebot („Project Fi“), das derzeit aber nur US-Kunden mit einem Nexus- oder Pixel-Smartphone des Konzerns zur Verfügung steht. In Ländern, für die Google ein Abkommen mit einem Anbieter abgeschlossen hat (in Deutschland ist das beispielsweise die Telekom), kann der Nutzer für 20 US-Cent/min telefonieren. 1 GByte Daten wird in den Partnerländern mit 10 $ berechnet, SMS sind kostenlos. Im Grundpreis von 20 $ ist zudem eine Flatrate für Telefonate und SMS in den Vereinigten Staaten enthalten, eine feste Vertragslaufzeit gibt es nicht.
Während die neuen Lösungen im Consumer-Markt noch wenig verbreitet sind, feiern sie in anderen Bereichen bereits große Erfolge – etwa im Fahrzeugbau, wo die Technik die Datenübertragung für den europäischen Unfallnotruf „eCall“ und zahlreiche weitere Diagnose- und Infotainment-Dienste übernimmt, die einen schnellen Datenaustausch über das Internet erfordern.
Für Maschine-zu-Maschine-Anwendungen bietet der SIM-Nachfolger wichtige Pluspunkte, weil er erheblich unempfindlicher gegen Erschütterungen, Staub und Temperaturschwankungen ist als bisherige Chipkarten. „Wir erwarten vom eSIM-Konzept einen entscheidenden Durchbruch für M2M-Lösungen“, berichtet Andreas Buchinger, Chief Sales Officer der Liechtensteiner Firma Datamobile, die als einer der führenden europäischen Anbieter im M2M-Bereich gilt. „Durch ihre unproblematische Handhabung ist die eSIM ein Schlüsselelement für die Vernetzung der Industrie 4.0. Im Jahr 2020 werden über 25 Mrd. Geräte weltweit mit dem Internet verbunden sein – ein Großteil per eSIM.“
Und wie steht es um deren Sicherheit? Die Tatsache, dass sich die eSIM von außen programmieren lässt und als Identitätsausweis von Maschinen oder Mobilgeräten im Netz dient, könnte potenzielle Angreifer anlocken. Die Anbieter geben jedoch Entwarnung: Das eSIM-Profil wird während der Installation verschlüsselt. Asymmetrische Verfahren sollen Ende-zu-Ende die Übertragung zwischen den Servern des Netzbetreibers und dem Modul sicherstellen und jedes Gerät kann lediglich das Profil entschlüsseln und installieren, das ihm zugewiesen wurde.