Mit 5G in die Industriezukunft
Die fünfte Mobilfunkgeneration (5G) und potenzielle Anwendungen dominierten vergangene Woche die Messe in Barcelona.
Der junge Japaner lacht verschmitzt hinter seiner Brille: „Kennen Sie unsere Roboter?“, fragt er frech und ergänzt sofort: „Sie sind klein, kaum 4 kg schwer und mobil.“ Und genau das macht die Winzlinge von Denso so attraktiv für die fünfte Mobilfunkgeneration. Sie sind transportabel, so lassen sich Fertigungsstrecken leicht umbauen. In Zeiten, wo schnelle Umrüstzeiten in Fabriken gefragt sind, ist die allgegenwärtige Verkabelung ein Anachronismus.
Die jungen Denso-Forscher demonstrieren gemeinsam mit dem chinesischen Netzausrüster Huawei in der Innovation City des Mobile World Congress ein Stück Produktionszukunft. Hier bauen die Roboter keine Autoteile zusammen, sondern kleine, personalisierte Kugelschreiber. Gelenkt, gesteuert und kontrolliert durch Befehle aus einem 5G-Netz.
Nur ganz selten fällt ein Teil der Kuli-Hülle vom Band. In einem Großteil der Fälle klappt es mit der Beinahe-Echtzeitübertragung der Signale oder, wie Mobilfunkexperten sagen, mit der „low latency“. Die Vorteile der fünften Generation hängen hinter dem jungen Japaner auf einem Bildschirm an der Wand: Weniger als 4 ms Verzögerung, Datenraten von 20 Gbit/s und mehr.
„5G kommt, und es kommt schneller, als wir alle erwartet haben.“ Diese Formulierung von Nokia-Chef Rajeev Suri trifft die Stimmung der Branche in Barcelona. Kaum ein Stand auf dem MWC, der nicht auf die magischen zwei Buchstaben hinwies. Roboter, Baumaschinen, Automobile – sie alle stehen und arbeiten emsig in den Messehallen. Sie sollen die Einsatzgebiete der kommenden Technik präsentieren. Noch in diesem Jahr erwartet Suri erste kommerzielle Netze – in den USA und in Asien. Mitte nächsten Jahres dürften die Geräte folgen.
Stolz hält Suri daher den eigens von den Bell Labs entwickelten Chipsatz für 5G-Basisstationen in der Hand: Er soll nicht nur die Bandbreite verdreifachen, sondern auch den Energieverbrauch um 64 % reduzieren und darüber hinaus eine um 50 % kompaktere Bauweise der Antennen zulassen.
Die fünfte Generation, so viel macht auch Suris Kollege Volker Ziegler deutlich, ist weit mehr als nur eine Weiterentwicklung von 4G, also LTE. „Wir orchestrieren über die Grenzen hinweg“, erklärt Nokias Chief Architect in Sachen 5G. Er meint damit die Vielzahl von Techniken wie WLAN, 4G, Satellitenkommunikation und mehr ebenso wie die der Frequenzbänder von 700 MHz bis hin zu 28 GHz – 5G kann all das miteinander verbinden.
„Denken Sie an Industrie 4.0“, so eines der Credos von Ziegler. Er wird nicht müde, die Vorzüge für die Produktion zu betonen. Aber auch das Testfeld Hamburger Hafen, das die Finnen gemeinsam mit der Deutschen Telekom, der Hamburg Port Authority (HPA) und verschiedenen Universitäten aufbauen, hat es ihm angetan. Hier im Norden dürfte in den nächsten Monaten ein deutsches Vorzeigeobjekt für den Einsatz von 5G in der Logistik entstehen.
Auch bei Ericsson hat man schon Verträge für den Aufbau kommerzieller Netze Ende 2018 unterzeichnet. Und das überall auf der Welt. Die Schweden wissen genau, dass allein schon die Menge an Daten neue mobile Infrastrukturen erfordert. Der jüngste Ericsson Mobility Report prognostiziert innerhalb der nächsten sechs Jahre einen massiven Ansturm auf das mobile Datennetz. Pro Monat sollen 2023 rund 110 Exabyte über die Datenautobahnen von 4G und 5G huschen. Dies würde einem HD-Videostream gleichkommen, der 5,5 Mio. Jahre läuft. Da sind Mengen, die mit aktueller Infrastruktur gar nicht mehr zu bewältigen sind. Schon 2023, so der Report, würde 1 Mrd. Menschen weltweit die neue Mobilfunktechnik 5G nutzen. „Aus dem Schlagwort 5G ist jetzt Realität geworden“, betont Borje Eckholm. Doch der Ericsson-CEO weiß, es geht um mehr als nur um die reine Bandbreite.
Die Chinesen bauen Smart Citys auf, die mit 5G versorgt werden sollen. Sie experimentieren mit dem Internet der Dinge, Energie- und Lichtanwendungen, Vernetzung von Müll- und Versorgungsdienstleistungen. 17 Städte, elf verschiedene Dienste und Anwendungen, so verkündet es der Cheftechniker der Mobilfunksparte von China Mobile auf dem MWC. „Wir werden Live-Streams mit 4K, Telemedizin und vernetzte Drohnen testen“, so Liu Guangyi. Tests, die oft auf der grünen Wiese stattfinden und zugleich ganz praktisch unter Beweis stellen sollen, dass sich mit 5G auch Geld verdienen lässt und sich die Investitionen amortisieren.
„Unsere Kunden in China wollen aber auch alles über das Industrial Internet wissen“, verrät Eckholm. Er spricht von den vielen Sensoren, die in der digitalisierten Produktion eine entscheidende Rolle spielen. „In einer Fabrik mit mehr als einem Sensor pro 1 m² kommt es zu Interferenzen“, analysiert der Ericsson-CEO nüchtern. „Da wird WLAN kritisch.“ Das passiere im lizenzierten Spektrum, also im Mobilfunk, nicht.
Nur im Ansatz kann das heutige 4G-Netz die für die Industrie nötige Stabilität erfüllen. Eine kurze Netzschwankung kann einen Produktionsstopp und hohe Produktionsausfälle zur Folge haben. Das führt zu einer technischen Raffinesse von 5G, in der aktuell viele Experten eine Art Schlüssel für geschäftliche Anwendungen wittern: das sogenannte „Network-Slicing“.
Der Schweizer Ruben Merz steht vor seinem Exponat in der Halle. Der leitende 5G-Experte der Swisscom erklärt hier Besuchern die Idee hinter dem „Network-Slicing“: Die bestehende Mobilfunkinfrastruktur wird in mehrere Bereiche – sogenannte Slices – unterteilt. Nicht physikalisch, sondern virtuell entstehen so Netze auf Basis einer gemeinsamen Infrastruktur. Entscheidend: Diesen „Scheiben“ können bestimmte Merkmale zugeordnet werden – hohe Bandbreite, hohe Verfügbarkeit, geringe Latenz etc. Für kritische Anwendungen dürften speziell die letzten beiden Attribute infrage kommen.
Damit arbeitet auch die Swisscom gemeinsam mit der Schweizer Bundesbahn in ihrem Ericsson-Testnetz. Fein säuberlich wird hier etwa zwischen kritischen Missionen wie der Fahrzeugleitung und dem Bandbreitenhunger beim Entertainment von Fahrgästen unterschieden. Notfalls – beispielsweise bei Rettungseinsätzen – können beim Network-Slicing Dienste priorisiert, andere Slices heruntergefahren werden. Das zeigt Bell-Labs-Forscherin Cinzia Sartori am Beispiel eines Lkw-Unfalls eine Halle weiter.
Dominierten Automobile in den letzten Jahren den Kongress, so ist es um sie in Sachen 5G stiller geworden. „Noch brauchen wir 5G nicht“, erklärt Ralf Lenninger, Leiter der Continental-Sparte Intelligent Transportation Systems (ITS). Autonome Fahrzeuge, so viel steht fest, müssen sich ohne kritische Funkverbindungen im Verkehr bewegen können. Dennoch sind Daimler, BMW, Seat, Conti & Co. in Barcelona vertreten – schließlich wandeln sich Hersteller und Zulieferer zu mobilen Dienstleister, erweitern ihre Portfolios um Services, die durchaus auf Mobilfunk basieren.
Viele Spieler im Mobilfunkmarkt wirken in diesen Tagen hektisch, ja beinahe atemlos. Geht es doch gerade bei den Netzausrüstern um den großen Kuchen. Wer macht wo wie viele Feldtests? Wer unterschreibt die ersten Verträge für kommerzielle Netze? Und wer arbeitet mit welchen Industrien zusammen?
In diesem Ringen wirkt die quirlige Claudia Nemat, Vorstandsfrau der Deutschen Telekom, beinahe gelassen. Ende 2018 werden die Bonner kommerzielle Versuche starten, 2020 kommen erste 5G-Netze. Von Autos und Straßen spricht sie dabei weniger; lieber von der Energiewende, von vernetzten Ladestationen für E-Mobile und von der medizinischen Versorgung, die mit 5G so viel reicher werden kann. Die fünfte Generation werde nicht mehr und nicht weniger als unser aller Leben verändern.