Social Media ist das neue Rauchen
Martin Eisenlauer beschreibt sich selbst als Nerd. In seiner Kolumne für VDI nachrichten verspricht der erfahrene Techredakteur, die skurrilen und häufig missverstandenen Aspekte der technologischen Welt auf humorvolle Art zu beleuchten.
Mal ehrlich: Nutzen Sie Social Media wirklich für Aktivitäten, die das Wort sozial verdienen? Ich habe in den vergangenen Wochen mal einen kritischen Blick auf mein Nutzungsverhalten bei Instagram, X (wie jeder über 20 hatte ich hier erst Twitter getippt, dann genervt geschnaubt und es durch den dämlichen Buchstaben ersetzt), Linkedin, Tiktok & Co. geworfen und fühle mich dort ziemlich asozial.
Was waren das für tolle Ideen, mit denen Facebook, Myspace & Co. einst angetreten waren. Das Web 2.0 sollte die Welt vernetzen, Wissen transferieren, Grenzen überwinden, einfach alles schöner und besser machen.
Passiert ist ziemlich genau das Gegenteil: Auf X sagen mir Menschen, wie dumm ich bin. Linkedin gaukelt mir vor, dass ich neben einer 60-Stunden-Woche noch glücklich lächelnd Kinder großziehen und ehrenamtlich ein Social-Impact-Start-up gründen könnte. Instagram zeigt mir neben den Dekolletés junger Frauen Rezepte für zuckrige Kuchen oder Tipps für effektiveres Training. Und so lande ich am Ende verwirrt und überfordert bei Tiktok, wo ich selig lächelnd Hundevideos anschaue, während ich meine Hütehündin Lina ignoriere.
Keine Luft zum freien Denken in der Echokammer
Die soziale Bilanz von Social Media ist verheerend. Auf der persönlichen Ebene sind Angststörungen, Verunsicherung und Depressionen bis hin zum Suizid häufig diskutierte Folgen. Gesellschaftlich kommen soziale Spaltung, eine Verrohung der Diskussions- und Toleranzkultur sowie das Erstarken extremistischer Parteien hinzu. Dazu verschlingen die Netze wahnsinnig viel Zeit und die darin aufgebauten Echokammern sind so dicht, dass sie einem die Luft zum freien Denken rauben.
„Und warum hörst du dann nicht einfach auf?“, fragen Sie jetzt vielleicht (nicht ganz zu Unrecht). Weil ich mir bis heute vormache, dass es zwischen all den Belanglosigkeiten und dem toxischen Unsinn doch auch wertvolle Inhalte gibt. Und weil ich wie so viele Süchtige das Gift liebe, das mir schadet.
Wir fallen alle darauf herein, gieren nach Likes und Zerstreuung
Social Media ist das neue Rauchen: Wir wissen, dass es schlecht für uns ist – und nutzen es trotzdem. Die Betreiber der Netzwerke beschäftigen Heerscharen von Psychologen, die dafür sorgen, dass die jeweiligen Apps unser Belohnungszentrum triggern. Und wir fallen darauf herein, gieren nach Likes, zustimmenden Kommentaren und geistloser Zerstreuung wie ein Junkie nach dem nächsten Schuss.
Was am Ende bleibt, ist ein leeres Gefühl des Ärgers über sich selbst, wenn man mal wieder Stunden sinnlos weggescrollt hat. Und die profunde Erkenntnis, dass Social Media nichts mit sozialem Verhalten zu tun hat.