Der Bienen-Ingenieur von Augsburg
Richard Rossa kämpft mit einem „Sauna“- Apparat gegen das Bienensterben.
Das Gelände in dem Industriegebiet von Augsburg ist etwas unübersichtlich. Das ehemalige Kesselhaus mit Schornstein ist bunt angemalt, in zahlreichen Hallen und Gebäuden werden Autos repariert oder Metall bearbeitet. Früher produzierte hier eine der größten Textilfabriken der schwäbischen Industriemetropole, heute haben sich diverse Start-ups in den Gebäuden angesiedelt. So auch Richard Rossa. Im ersten Stock eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes produziert der Elektroingenieur ein sehr spezielles Gerät, eine „Bienensauna“. „Damit haben wir die Möglichkeit, das Bienensterben effektiv zu bekämpfen“, sagt der 58-Jährige. Und: „Ohne Bienen keine Blumen und ohne Pflanzen keine Menschen.“
Bedrohte Populationen
Die Biene spielt eine wichtige Rolle im Kreislauf der Natur. Sie trägt auf ihrer Nahrungssuche die Pollen von Blüte zu Blüte weiter, bestäubt so über 80 % aller landwirtschaftlichen Nutz- und Wildpflanzen und sorgt für die Verbreitung von Hunderttausenden an Pflanzen, auf die wiederum unzählige Tierarten als Nahrung angewiesen sind.
Das weltweite Bienensterben erscheint da umso bedrohlicher. In Europa werden laut Naturschutzbund Deutschland rund 10 % weniger Bienen als noch vor einigen Jahren gezählt. In den USA ist sogar ein Rückgang von 30 % zu verzeichnen.
Um Insekten ist es generell schlecht bestellt. Einer neuesten Studie zufolge, die in der Fachzeitschrift „Plos one“ veröffentlicht wurde, hat in den vergangenen 27 Jahren die Gesamtmasse der Insekten in Deutschland um mehr als 75 % abgenommen. Die Gründe sind noch nicht erforscht. Experten geben jedoch vor allem der Landwirtschaft die Schuld, die zu viel mähe, dünge und spritze.
Die VDI-Gesellschaft „Technologies of Life Sciences“ koordiniert ein auf sechs Jahre angelegtes Forschungsprojekt, das untersuchen soll, wie die Ökosystemleistung der Wildbienen gesichert und wieder gesteigert werden kann. Gemeinsam mit der Uni Ulm soll im Projekt
Wir stehen in der Werkstatt des kleinen Betriebs. Auf den Arbeitstischen sind die Bestandteile der Bienensauna verstreut: elektronische Bauteile, Lüfter, Aluminiumplatten. In einem Regal an der Wand lagern weitere Bauteile, mitten im Raum stehen zwei der Geräte fertig für den Versand.
Von außen sehen sie unspektakulär aus: Es handelt sich um Holzkästen in der Größe von etwa 50 cm x 50 cm, 152 mm hoch. Vorne sind die Kästen mit einer Metallplatte verblendet. Doch innen drin steckt jede Menge an Tüftelei, Sachverstand, Experimentierwissen und Überlegung. Es geht, um es in einer Kurzfassung vorwegzunehmen, um die kontrollierte Erwärmung von Bienenstöcken. Dadurch soll der gefürchtete Bienenschädling, die Varroamilbe, absterben. Und die Bienen überleben.
Richard Rossa trägt eine randlose Brille, hat einen grau melierten Bart und er schmunzelt gerne. Jetzt zeigt er an einem der Arbeitstische auf eine halb zusammengebaute Bienensauna und erläutert die Funktion. Da ist der Lüfter, der völlig lautlos die erwärmte Luft im Bienenstock verteilt. Dieser Lüfter arbeitet ohne jede Schwingung, denn die würde die Kommunikation der Bienen stören, für die Insekten wäre das wie ein Hintergrundrauschen.
Erwärmt wird die Luft von Lastwiderständen aus militärischer Produktion, sie haben eine lange Lebensdauer und funktionieren ohne Abstrahlung. Betrieben wird das Gerät wiederum mit Gleichstrom, damit Magnetfelder eine bestimmte Stärke nicht übersteigen. Alles Einflüsse, die die Bienen stören könnten.
Szenenwechsel. Wenn der Ingenieur nicht in seiner Firma am Gerät tüftelt, ist er im Lande unterwegs, um es vorzuführen. Zum Beispiel in Pullach vor den Toren Münchens. Hier hält sich Gärtner Gerhard Hoheneder elf Bienenvölker mit je rund 45 000 Bienen. Von seinem Garten aus geht der Blick weit über das Isartal, in der Mitte steht ein alter Obstbaum und neben dem Schuppen hat er seine Bienenstöcke aufgestellt. Das ist Hoheneders Hobby, der sich vergangenes Jahr eine Bienensauna gekauft hat.
„Ich bin sehr zufrieden damit“, sagt der Imker, der damit gegen die Varroamilbe in den Bienenstöcken vorgeht. 300 kg Honig hat er vergangenes Jahr geerntet. Heute hat er den Ingenieur in seinen Garten eingeladen, auf dass der seine Erfindung auch anderen Imkern vorstellen kann. Während Rossa von den Bienen umschwärmt wird, erläutert er den Zuhörern die Funktion des Geräts.
Der Hintergrund ist, dass es vielen Bienen nicht gut geht. Das Bienensterben ist auf der ganzen Welt ein Thema. Warum sich die Zahl der Bienenvölker in den vergangenen Jahren teilweise drastisch reduziert hat, ist noch nicht völlig geklärt. Man geht von einer Mixtur verschiedener Ursachen aus, dazu gehören etwa der Anbau von Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden sowie der Klimawandel mit vorgezogenen Blütenphasen und Wärmeperioden im Winter. Und: die Varroamilbe.
Das ist ein winziger Parasit, der sich auf der Brut vermehrt und sich vom Blut der Bienen ernährt. Dabei überträgt der Schädling über die Bisswunden weitere Krankheitserreger, so dass sich besonders gefährliche Virenvarianten verbreiten. Die Folge: Viele Bienenvölker werden ausgelöscht.
Bei der Bekämpfung dieser Milbe setzt nun die Bienensauna von Erfinder Richard Rossa an. 2005 hatte sich der Ingenieur beruflich neu orientiert, er wurde Berufsimker. Das heißt, er lebte vom Ertrag seiner 70 Bienenvölker, die er sich in Zentralschweden zugelegt hatte. Sein Interesse an der Imkerei wurde geweckt, als er mit Kindern in seinem damaligen Wohnort Landsberg am Lech eine Bienenschule besuchte. Diese Schulen für Imker werden vom bayerischen Staat eingerichtet, um das Wissen über die Bienen zu verbreiten und so auch dazu beizutragen, das Bienensterben aufzuhalten.
Rossa jedenfalls entdeckte seine Leidenschaft für die fleißigen Insekten und legte sich eigene Bienenstöcke zu. Ihm wurde bald klar, dass die Varroamilbe eine ernsthafte Bedrohung für die Bienenvölker darstellt. Und: „Es gab kein Gerät zur Milbenbekämpfung, das meinen Ansprüchen als Ingenieur genügen konnte“, erinnert er sich.
Da dem Ingenieur bekanntlich nichts zu schwer ist, begann er selbst nach Lösungen zu suchen. Zugute kam ihm seine bisherige berufliche Praxis als Spezialist für statistische Versuchsplanung. So entwickelte er Messtechniken für die Textilindustrie, um die Gleitflüssigkeit für Spinnfäden, die immerhin mit einer Geschwindigkeit von 300 km/h bewegt werden, genau zu dosieren.
Um das Verfahren genau testen zu können, schaffte sich Rossa in Zentralschweden mitten in der Wildnis etliche Bienenstöcke an. So erntete er immerhin an die 10 t Honig im Jahr. Mittlerweile hat er die Völker wieder verkauft, denn der Aufbau der Firma lässt ihm für die Imkerei momentan keine Zeit mehr. Die Biene ist übrigens nach dem Rind und dem Schwein das drittwichtigste Nutztier in Deutschland.
Die von Rossa konstruierte Bienensauna besteht aus vier quadratischen Metallplatten, die durch darunterliegende Widerstände erwärmt werden. Die Heizvorrichtung wird unter dem Bienenstock angebracht und als Folge steigt die Temperatur im Inneren des Bienenhauses. So entsteht dort eine Temperatur von 42 °C. „Die Bienen fühlen sich dabei wohl“, meint Rossa. Ja, die Insekten würden sogar noch wesentlich leistungsfähiger. Die Flugreichweite einer Biene würde sich von 1,5 km gar auf 15 km vervielfachen, auch die Lebensdauer würde sich von 25 Tagen auf das Doppelte verlängern.
Dem Schädling im Bienenstock, der Varroamilbe, geht es durch den Temperaturanstieg hingegen an den Kragen. Da die jungen Milben wärmeempfindlich sind, werden sie irreparabel geschädigt und die erwachsenen Milben haben keine Fluchtmöglichkeit, weil die Wärme im Bienenstock überall über 40 °C beträgt.
Zurück in Pullach bei München. Für Imker Hoheneder liegt der Vorteil der Methode auf der Hand: „Die Milben werden bekämpft, ohne dass es zu einem Einsatz von Chemie, von Säure kommt.“ Zweimal im Jahr – im Frühling und im Herbst – behandelt Hoheneder seine Bienen mit der rund drei Stunden dauernden Prozedur. Dabei wird die Luft im Bienenstock nur ganz langsam erwärmt. So gewöhnen sich die Bienen daran und die Milben werden nicht vorgewarnt. Wenn sie die gestiegenen Temperatur bemerken, ist es für sie bereits zu spät.
Bereits in den 1970er-Jahren gab es Überlegungen zur Bekämpfung der Milbe durch Wärme, in den 1980er-Jahren entwickelte der damals junge Imker Manfred Borgstädt eine „Thermo-Box“ zur Behandlung der Varroa mit Warmluft und in den 1990er-Jahren forschte ein Tübinger Team weiter an der Hyperthermiebehandlung. Sieben Jahre lang tüftelte Rossa an einer Weiterentwicklung, der Bienensauna.
Seit drei Jahren gibt es das Gerät – zum Preis von 2000 € ist es für die Imker im Handel erhältlich. Finanziert hat Rossa die Produktion zu Beginn durch Crowdfunding, statt der angesetzten 10 000 € kamen sogar 80 000 € zusammen. Der Ingenieur gründete eine Firma und ließ sich das Gerät patentieren, mittlerweile gebe es bereits acht Raubkopien. Im September 2016 wurde die Bienensauna mit dem Innovationspreis der Aktion „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet. Und an der TU München wird inzwischen anhand von mehreren Abschlussarbeiten die Wirkung von Wärme auf Bienenvölker wissenschaftlich untersucht.
Auch an der Universität Jena interessiert man sich für die Bienensauna. Im Rahmen eines sogenannten „Citizen Science“-Projekts, als eines wissenschaftlichen Projekts mit Bürgerbeteiligung, sollen Imker künftig auf einer Internetplattform Daten über ihre Bienen, zum Beispiel den Erfolg der Milbenbekämpfung, eingeben können. Denn in Jena forscht Kai Uwe Totsche vom Institut für Hydrogeologie an Indikatoren für Umwelteinflüsse. Und dazu gehören auch Bienen. In Augsburg schiebt derweil Richard Rossa seine Brille zurecht und stöbert wieder im Regal nach Lüftern und anderen Teilen. Neben der eigentlichen Bienensauna tüftelt er schon längst wieder an weiteren Anwendungen in Sachen Bienen. Zum Beispiel an einer App, mit der sich per Handykamera die Zahl der toten Milben in einer Wabe feststellen lassen. Bisher mussten die Imker selbst zählen.
Und manchmal packt eine Bienenkönigin ihr Volk zusammen und haut ab – „Schwärmen“ nennt das der Fachmann. „Für dieses Schwärmen gibt es Vorwarnsignale“, weiß Ingenieur Rossa, „und diese könnten wir über Sensoren und per E-Mail an den Imker senden, der vielleicht gerade an seinem Arbeitsplatz im Büro sitzt.“ Der könnte dann per Fernbedienung die Zugangstore zum Bienenstock schließen. Und damit hätte es sich im vernetzten Bienenstock erst mal ausgeschwärmt.