Klimaschutz 11. Nov 2016 Von Stephan W. Eder und Heinz Wraneschitz Lesezeit: ca. 6 Minuten

Der CO2-Entzug

Bisher geht es beim Klimaschutz darum, weniger Treibhausgase zu emittieren und Energie effizienter zu nutzen. Doch das wird nicht reichen – wir brauchen Technologien, die langfristig der Atmosphäre Treibhausgase entziehen.

Aufforstung gilt als eine der Techniken, mit denen sich direkt der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre verringern lässt. Im Bild eine Baumschule zur Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern auf den Philippinen.
Foto: Romeo Gacad/AFP/Getty Images

Die Weltgemeinschaft hat im Klimavertrag von Paris 2015 vereinbart: Sie will „die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C begrenzen. Ziel ist sogar, die Erderwärmung unter 1,5 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten“, schreibt die Bundesregierung. Im Sommer dieses Jahres hat der Bundestag den Vertrag ratifiziert. Nun geht es konkret ums CO2-Senken. Doch wie?

Die aktuelle Debatte mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks – die ihr Klimaschutzprogramm derzeit in der Bundesregierung offenbar nicht durchsetzen kann – zeigt, wie schwierig es ist, weniger Treibhausgase freizusetzen. Nicht technisch, aber gesellschaftlich und politisch. Und das in einem Land, dem eine Vielzahl von Technologien dafür zur Verfügung steht und das als wohlhabend gilt.

Klimaschutz ist mehr, als nur erneuerbare Energien auszubauen

Viel größer ist die Herausforderung für all jene Länder, deren Entwicklung noch am Anfang steht – und die sich trotzdem im Vertrag von Paris zum Klimaschutz bekannt haben. Der Weltklimavertrag beinhaltet daher sowohl Mechanismen, wie jene Staaten in Sachen Klimaschutz die benötigten Technologien bezahlen können, als auch, wie sie unabhängig dazu beraten werden können, wie und mit welchen Technologien sie zu mehr Klimaschutz kommen und sich dem Klimawandel anpassen können.

Hinter dem Begriff „Technologie“ steht in der Klimaschutzpolitik der Vereinen Nationen ein sehr weiter Bereich. Das Climate Technology Centre and Network (CTCN) berät und hilft Staaten dabei; zum Beispiel, wie ein Klimaschutzprogramm institutionell aufgesetzt sein sollte, oder mit einer konkreten Evaluation anlässlich der Einführung oder Entwicklung spezifischer Technologien. So finanzierte das CTCN für Kolumbien ein Planungswerkzeug, mit dessen Hilfe sich Kommunen – abhängig von ihrer geografischen und ökonomischen Lage – besser an die Folgen des Klimawandels anpassen können.

Ähnlich laufen die Mechanismen für die Nutzung sogenannter Vermeidungstechnologien, sei dies der Einsatz erneuerbarer Energien oder von Effizienztechnologien – schließlich sollen alle ihrem Vermögen nach zum Klimaschutz beitragen. Doch während in Marrakesch auf der 22. Vertragsstaatenkonferenz des Klimarahmenvertrags (COP 22) derzeit die weiteren Schritte zur Umsetzung der nationalen Klimaschutzpläne debattiert werden, steckt in den Szenarien des Weltklimarats IPCC seit Jahren eine Zeitbombe versteckt, die bislang kaum jemand zur Kenntnis nehmen will.

Negative Emission Technologies sollen CO2 aus der Atmosphäre entfernen

Die Klimaschutzszenarien, die berechnen, wie ein 2-Grad-Ziel oder ein 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann, gehen davon aus, dass spätestens Mitte der 2030er-Jahre massiv die Treibhausgasemissionen gesenkt werden. Der Atmosphäre Treibhausgase aktiv zu entziehen, ist zwingender Bestandteil dieser Szenarien. Weniger zu emittieren, also energieeffizienter zu werden, reicht allein dann nicht mehr aus. Diese CO2-Entzugskur sollen sogenannte Negative Emission Technologies (NETs) sicherstellen: Am bekanntesten ist CCS (Carbon Capture & Storage), also das Abscheiden von CO2 aus dem Rauchgas von fossil befeuerten Kraftwerken (Capture) und das Verpressen (Storage) des Gases in eine geologische Speicherformation.

Im Gegensatz dazu entziehen die Verfahren des Direct Air Capturing (DAC) der Atmosphäre direkt die Treibhausgase. Sie gehen aber mit großen Kosten oder hohem Energieaufwand einher, der auch nur dann zu rechtfertigen ist, wenn die aufgewendete Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Andere Verfahren sind die Aufforstung und das Binden von Treibhausgasen durch Verwitterungsprozesse in Böden.

Klimaschutz durch CO2-Entzug wird politisch nicht beachtet

Bisher aber stehen diese Technologien so gut wie nicht auf der politischen Agenda. „Die Klimaziele werden immer ambitionierter werden – aber die Bereitschaft, sich mit der dazu nötigen Technologie zu beschäftigen, ist zumindest in Europa minimal. Das ist grotesk“, sagt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Die NETs haben unterschiedliche Potenziale, wie viel Treibhausgase sie jährlich der Atmosphäre entziehen könnten (s. Grafik). NETs sind vergleichsweise komplex, teuer oder auch mit Nachteilen behaftet. „Bei allen Technologien, die direkt die Treibhausgaskonzentration verringern, ist eine ‚low hanging fruit‘ nicht in Sicht“, sagt Edenhofer, und ergänzt: „Aufforstung mag billig sein, aber dadurch werden Agrarflächen der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Das könnte zu steigenden Nahrungsmittelpreisen führen.“

Klimaschutz braucht auch Carbon Capture & Storage, kurz CCS

Alle NETs – mit Ausnahme von DAC – sind landnutzungsintensive Technologien. Wenn man sie im großen Maßstab einsetzt, sind auch entsprechende Produktivitätsfortschritte im Agrarsektor nötig, um die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen. „Land wird im 21. Jahrhundert wieder ein knapper Produktionsfaktor“, so der PIK-Chefökonom. Mit Blick auf die Klimaschutzszenarien bleibt also bis Mitte der 2030er-Jahre ein Zeitkorridor von etwa 20 Jahren, um die NETs einsatzreif zu entwickeln. Das ist gerade genug, um aufwendige chemische Verfahrenstechniken aus dem Bereich der NETs zur großtechnischen Einsatzreife zu bringen. „Wir haben noch die Zeit, Pilotanlagen zu entwickeln, aber man muss jetzt beginnen“, drängt Edenhofer.

Bisher hat die große Politik auf den Weltklimakonferenzen NETs fast komplett ausgeblendet. „Vor den Klimaverhandlungen in Paris haben wir Wissenschaftler immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig negative Emissionen sind. Aber viele Politiker wollten davon nichts wissen“, erzählt Edenhofer. Eine breit angelegte Forschungsoffensive für NETs ist bislang nicht in Sicht. „Derzeit sehe ich keine klare Strategie“, sagt Edenhofer, „Aber Ingenieure denken darüber nach, zum Beispiel im Rahmen der Acatech.“

CCS war einst als blühender Zukunftsmarkt gedacht

Das war einst anders. Vor knapp zehn Jahren sah das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) aus Karlsruhe einen blühenden „Zukunftsmarkt CO2-Abscheidung und -Speicherung“. Im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) waren die ISI-Forscher zu dem Ergebnis gekommen: „Es bestehen durchaus realistische Chancen, dass die Technologie CCS in Europa und dort in Deutschland zum Durchbruch kommt, da mit dem Emissionshandel wirtschaftliche Anreize bestehen und wichtige Akteure bei Technologieherstellern und -nutzern hier angesiedelt sind.“

UBA-Experte Michael Golde betreute die ISI-Studie damals; heute bekennt er frank und frei: „Es ist relativ wenig draus geworden.“ Drei Gründe sieht er dafür vor allem: „Der Emissionshandel hat sich nicht so entwickelt wie damals vorausgesehen. Die erneuerbaren Energien haben sich sehr gut gemausert. Und damals wusste man noch nicht, dass die öffentliche Akzeptanz sehr gering sein würde.“

Deutsche CCS-Großprojekte wurden alle wieder eingemottet

Zu den angeschobenen Forschungsinvestitionen in Deutschland im Bereich CCS gehört das mit großem Tamtam 2009 eingeweihte Projekt „Schwarze Pumpe“ von Vattenfall, das das schwedische Unternehmen 2014 sang- und klanglos einstellte. Ein dafür vorgesehenes Versuchskraftwerk wurde gar nicht erst gebaut. Nach Firmenbekundungen sollen die Forschungserkenntnisse in Kanada weiter genutzt werden.

RWE begründete 2010 das Scheitern des „RWE-eigenen klimafreundlichen CCS-Projekts“ mit „unzureichenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen“. Aktuell erklärt ein RWE-Sprecher gegenüber den VDI nachrichten: „Die CO2-Speicherung ist in Deutschland kein Thema. Es gibt kein Bundesgesetz, sondern die Verantwortung wurde an die Länder geschoben. Und da ist CCS politisch auf Eis gelegt.“ Forschen werde RWE aber weiterhin.

CO2-Entzug durch CCS ist vor allem wichtig, wenn Biomasse verbrannt wird

Es gilt, bei CCS zwei Dinge zu unterscheiden: Zum einen gibt es CCS bei Kohle und Gas. Hier ist im Saldo im besten Fall eine Nullemission erreichbar (s. Grafik). Zum anderen gibt es Biomasse-CCS, wenn also Biomasse verfeuert wird: Wenn sie gut ist, also wenn die Biomasse selbst emissionsneutral ist und man den Kohlenstoff einlagert, dann hat man negative Emissionen.

Zudem gibt es den weiteren Bereich von Industrie-CCS, wo es um Prozessemissionen geht. Dadurch kommt eine weitere Komponente hinzu, CCU (Carbon Capture & Usage) genannt: Hier geht es darum, das eingefangene CO2 nicht einzulagern, sondern zu nutzen, zum Beispiel für Baustoffe, die Carbonfasern enthalten.

„CCS ist eine unverzichtbare Technologie, vor allem in Verbindung mit Bioenergie“, betont Klimaökonom Edenhofer. „Diese Technologie hat das Potenzial für negative Emissionen. Es wäre daher nicht gut, jetzt die Lagerstätten alle mit CO2 vollzupumpen, das an Kohlekraftwerken abgeschieden wurde.“

CCS mit Biomasse kann zu real negativen Emissionen führen

Politisch kam Biomasse-CCS, das in den ehrgeizigeren Klimaschutzszenarien eingepreist ist, durch das faktische Aus für CCS bei fossilen Kraftwerken gar nicht erst ins Spiel – zumindest in Deutschland. Edenhofer kann es nicht nachvollziehen, dass die Biomasse-CCS direkt von Anfang an schon auf die schwarze Liste gesetzt worden sei, bevor man sie überhaupt exploriert habe.

Das australische Global CCS Institute kennt hierzulande derzeit kein einziges Projekt, das CO2 in großem Stil aus Kraftwerksprozessen absondert, komprimiert und speichert – weder mit Biomasse nach fossil befeuert. Auch das IZ Klima in Berlin bestätigt: „Deutschlandweit gibt es gar nichts, keine Demoprojekte auf größerer Basis.“

Frühestens übernächstes Jahr dürfte sich abzeichnen, ob sich dies in Deutschland ändert. Dem heute geltenden Kohlendioxid-Speicherungsgesetz zufolge berichtet die Bundesregierung dem Parlament bis zum 31. Dezember 2018 „über die Anwendung dieses Gesetzes sowie über die international gewonnenen Erfahrungen“. So lange dürfte es dabei bleiben, dass die zuständigen Landesbehörden Herr des Verfahrens sind.

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