STADTPLANUNG 04. Jul 2019 Monika Etspüler Lesezeit: ca. 4 Minuten

Die nachhaltige Stadt und der Weg dorthin

Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Auch was Städte betrifft, ist ein Wandel zu nachhaltigen Strategien zu erkennen. Doch ist eine solche Stadt überhaupt machbar? Steffen Braun, Teamleiter im Bereich Stadtgestaltung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), ist überzeugt: Es kann funktionieren.

The Crystal nennt Siemens sein Zentrum für nachhaltige Stadtentwicklung in London. Auf 2000 m2 Ausstellungsfläche werden Besucher durch die urbane Infrastruktur der Zukunft geführt.
Foto: Siemens

VDI nachrichten: Herr Braun, eine Stadt planerisch umzugestalten, bedeutet einen massiven Eingriff in gewachsene Strukturen. Woraus ergibt sich überhaupt die Notwendigkeit zu solchen Maßnahmen?

Braun: Es geht nicht darum, gewachsene Strukturen abzuschaffen, sondern die Städte fit für zukünftige Anforderungen zu machen. Die Notwendigkeit dafür lässt sich schon an ein paar Zahlen festmachen. Man geht davon aus, dass 2050 weltweit doppelt so viele Menschen in den Städten leben, als das heute der Fall ist. Nicht 3,4 Mrd., sondern 6,8 Mrd. Menschen werden sich dann in den Metropolen drängen. Will man einen Kollaps vermeiden, sind deshalb neue Strategien erforderlich, um zum Beispiel die Kohlendioxidemissionen zu senken, die Ressourcen effizienter zu nutzen oder eine flexiblere Anpassung an klimatische Veränderungen zu erzielen.

Wie soll aus den heutigen Städten so ein nachhaltiges Gebilde werden?

Bisher stand im Fokus der Stadtentwicklung die Bereitstellung von Wohnraum sowie der Ausbau der technischen und sozialen Infrastruktur, wobei die technische Entwicklung oft hinten anstehen musste. Ohne Technik wird es eine nachhaltige Stadt jedoch nicht geben, denn erst sie bietet die Möglichkeit, einzelne Segmente eines Stadtgefüges zu einem Ganzen zusammenzuführen und sie miteinander zu vernetzen, um dann die Synergien auch sinnvoll nutzen zu können. Wenn wir nur weiter versuchen, einzelne Sektoren wie Gebäudesanierung oder Verkehr zu optimieren, werden wir scheitern. Das lässt sich bereits heute ohne Weiteres erkennen.

An welchem Punkt befinden wir uns momentan auf dem Weg zur nachhaltigen Stadt?

In den letzten zehn Jahren sind viele Lösungen auf den Markt gekommen, die neue Potenziale bieten. So konnte gezeigt werden, was technisch alles machbar ist.

Um nur zwei Beispiele zu nennen: Durch die Digitalisierung ist es heute möglich, intelligente Energienetze aufzubauen, die mit dem Endnutzer kommunizieren. Durch alternative Energiesysteme sind Städte und Stadtwerke in der Lage, selbst eigene virtuelle Kraftwerke aufzubauen. Im Moment gibt es unglaublich viele Pilotprojekte. Jede Kommune macht da ihre eigenen Erfahrungen. Was aber fehlt, sind skalierbare Lösungen, also der Transfer auf die Fläche. Genau dafür bleibt uns aber nicht mehr viel Zeit. Erste Maßnahmen müssen noch in diesem Jahrzehnt umgesetzt werden.

Warum ist es schwierig, eine Stadt zu einem umweltfreundlichen Organismus umzubauen?

Über Jahrzehnte hinweg wurden Infrastrukturen geschaffen, die die Gesellschaft heute teuer zu stehen kommen. London beispielsweise hat eine Kanalisation, die zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert stammt und so schwere Schäden aufweist, dass täglich bis zu 30 % des Brauchwassers im Erdreich versickern. Eine Sanierung ist nicht möglich, weil sich darüber die Stadt erstreckt. Mit diesen Altlasten müssen die Menschen leben. Aus dieser Situation Alternativen aufzubauen, ist ein schwieriges Unterfangen.

Das dürfte aber nur ein Teilaspekt sein, der den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit erschwert.

Sicher, man muss natürlich auch die traditionelle Seite berücksichtigen. In Europa wurde immer so gebaut, als müssten die Städte die nächsten 200 Jahre überleben. Das Resultat, überall das gleiche Bild: Vorrang hat das Automobil im Stadtraum, die Fußgänger werden quasi auf eine Restfläche zurückgedrängt. Wieso bauen wir Städte nicht mehr um den Menschen und seine Bedürfnisse herum? Eine Stadt muss wandlungsfähig sein und das ist nur möglich, wenn solche Strukturen veränderbar sind. Die Technik – solange sie nicht dem Selbstzweck dient – bietet die Chance, den Menschen wieder stärker in den Vordergrund zu rücken und Städte humaner zu gestalten.

Bei der Umsetzung solcher Vorhaben dürften vor allem wirtschaftliche Aspekte der limitierende Faktor sein.

Natürlich müssen Entwicklungen rentabel sein. Es ist zum Beispiel theoretisch machbar, alle Altbauten in Deutschland energetisch zu sanieren. Bei einem Kostenansatz von 800 €/m2 und Gesamtausgaben für alle Gebäude in Höhe von insgesamt 1200 Mrd. € stellt sich allerdings die Frage, ob das wirtschaftlich sinnvoll ist. Das heißt, wir brauchen Lösungen, die sich von selbst am Markt durchsetzen, weil sie wirtschaftlich sind und unseren Bedürfnissen entgegenkommen.

Haben Sie solche Beispiele parat?

Als Gegenbeispiel kann man das Smartphone anführen. Um Zusatzleistungen zu bekommen, muss der Nutzer nicht erst warten, bis die nächste Gerätegeneration auf den Markt kommt. Durch das Herunterladen der Apps bestimmt er selbst, welche Funktionen für ihn wichtig sind. Das Innovative daran sind die Lösungsansätze, die auf digitaler Ebene angeboten werden, ohne dadurch althergebrachte Infrastrukturen, wie in dem Fall das traditionelle Telefon, zu verdrängen.

Welche Aufgaben wird der Stadtplaner in der nachhaltigen Stadt haben?

Ich gehe davon aus, die gleichen wie heute auch. Er wird aber voraussichtlich in einem viel größeren Netzwerk agieren und über bessere Werkzeuge verfügen. Die Art, wie heute am Computer entworfen wird, erinnert in vielerlei Hinsicht noch an die Reißbrettzeichnungen der Vergangenheit, nur eben digital. Ich denke, im Bereich der Visualisierung, der Simulierung urbaner Prozesse und komplexer Planungsentscheidungen stecken noch große Optimierungspotenziale.

Besteht nicht die Gefahr, dass gerade ältere Menschen sich von dieser Rundum-Technisierung überfordert und abgeschreckt fühlen?

Das würde ich so nicht verallgemeinern. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass sich gerade durch die Digitalisierung für ältere Menschen ganz neue Erfahrungshorizonte öffnen. Sie haben die Möglichkeit über soziale Netzwerke zu kommunizieren oder von zu Hause aus Bestellungen vorzunehmen. Dadurch sind sie plötzlich wieder mehr ins gesellschaftliche Leben integriert. Aspekte wie Telemedizin oder Videoberatungen mit dem Arzt unterstützen diese Entwicklung. Die Technik wird in Zukunft auch immer einfacher zu bedienen sein. Die Skepsis, mit der man ihr heute begegnet, betrachte ich eher als ein vorübergehendes Phänomen. Und die Generation, die heute aufwächst, verwendet diese Technik ja schon und wird sie voraussichtlich auch in 30 Jahren nutzen.

Der Trend „raus aufs Land“ galt in Deutschland jahrzehntelang als Inbegriff von Lebensqualität. Jetzt kehrt sich dieser Prozess um in Richtung Stadt. Handelt es sich dabei um eine Modeerscheinung?

Die Reurbanisierung bringt dem Einzelnen jede Menge Vorteile. Ohne lange Wege zurücklegen zu müssen, findet er im näheren Umkreis alles, was er braucht. Die Stadt ist auch nach wie vor der Ort, wo Wissen entsteht und wo Wissen ausgetauscht wird. Gerade für eine Dienstleistungsgesellschaft ist dieser Austausch von unschätzbarem Wert. Außerdem sind Städte umso effizienter in ihrem Energie- und Ressourcenverbrauch pro Kopf, je größer sie sind. In 20 Jahren werden es sich nur noch wenige leisten können, auf dem Land zu leben. Diese Tendenz lässt sich schon heute anhand steigender Spritpreise festmachen.

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