ABWASSER 22. Jun 2017 Bettina Reckter Lesezeit: ca. 3 Minuten

Die vierte Reinigungsstufe

Sie sind winzig und doch äußerst gefährlich. Weil Mikroschadstoffe viele Gewässer belasten, stehen Klärwerke mittlerweile vor großen Problemen.

Georg Hiller vom Zweckverband Klärwerk Steinhäule in Ulm am Kontaktreaktor, in dem das Abwasser mit Aktivkohle vermischt wird.
Foto: Susanne Hartwein

Für Georg Hiller, stellvertretender Technischer Geschäftsführer des Zweckverbands Klärwerk Steinhäule in Ulm, ist die Lage eindeutig: „Die vierte Reinigungsstufe ist Gesundheitsvorsorge.“ In dem Klärwerk an der Donau wird seit zwei Jahren das Adsorptionsverfahren mit Pulveraktivkohle (PAK) zur Entfernung von Mikroschadstoffen aus dem Abwasser eingesetzt. Unter den insgesamt fast 10 000 Kläranlagen in Deutschland gibt es nur 17 weitere, die sich aus freien Stücken für eine solche Maßnahme entschieden haben.

Fakt ist, dass der moderne Lebensstil Folgen für die Umwelt hat. So auch im Fall der Mikroschadstoffe: Human- und Tierarzneimittel, Rückstände von Körperpflegeprodukten, Pflanzenschutzmittel, Biozide sowie Industrie- und Haushaltschemikalien und Stoffe mit hormonähnlichen Wirkungen aus Kunststoffen lassen sich in den Gewässern nachweisen. Arzneimittel wie der Stimmungsaufheller Carbamazepin, das entzündungshemmende Schmerzmittel Diclofenac oder das Röntgenkontrastmittel Iopamidol finden sich nicht nur im Zu- und Ablauf von Kläranlagen, sondern auch im Grund- und Trinkwasser. Nach derzeitigem Wissensstand geht von den Mikroschadstoffen für den Menschen keine unmittelbare Gesundheitsgefahr aus. Die Lebewesen in den Gewässern aber werden nachweislich geschädigt. Hinzu kommt die Sorge, dass sich die Spurenstoffe in der Nahrungskette von den Algen über Fische bis hin zum Menschen anreichern.

In der Kläranlage Steinhäule an der Donau wird das Abwasser der Städte Ulm und Neu-Ulm sowie umliegender Kommunen mit insgesamt 440 000 Einwohnerwerten gereinigt. Im Anschluss an die übliche mechanische, biologische und chemische Reinigung des Abwassers folgt dort die Eliminierung der Spurenstoffe: Im Kontaktreaktor wird dem Abwasser Pulveraktivkohle zudosiert und beides miteinander vermischt. Dabei lagern sich die Spurenstoffe an die Aktivkohlepartikel an. Anschließend wird das Gemisch ins Sedimentationsbecken geleitet. Dort wird die Aktivkohle wieder vom Abwasser getrennt. Durch die Zugabe von Aluminiumsalzen als Fällmittel und Polymeren als Flockungshilfsmittel wird dieser Prozess verbessert.

Um die restlichen Aktivkohlepartikel und organischen Substanzen nahezu vollständig aus dem Abwasser zu entfernen, ist die Nachbehandlung in einer Filteranlage erforderlich. Dazu stehen in zwei Filterstraßen je 10 Filterkammern bereit, die über Rohrleitungen mit dem Abwasser beschickt werden. Darin befindet sich ein Zweischichtfilter aus Hydroanthrazit und Quarzsand. Die Zugabe von Aluminiumsalzen als Fällmittel erhöht die Ausbeute der im Filter zurückgehaltenen Partikel.

Über Ablaufleitungen gelangt das gereinigte Abwasser in die Donau. Das Schmutzwasser wird wieder der biologischen Reinigungsstufe zugeführt, ebenso der Aktivkohleschlamm aus dem Sedimentationsbecken. Klärschlamm und Aktivkohleschlamm werden entwässert, vorgetrocknet und auf der Kläranlage in einem Wirbelschichtofen bei 850 °C verbrannt.

Mit der PAK-Adsorptionsstufe auf dem Klärwerk Steinhäule werden über 80 % der Arzneimittelwirkstoffe und nicht-ionischen Röntgenkontrastmittel aus dem Abwasser entfernt; die endokrine, also hormonell wirksame Gesamtaktivität wird um insgesamt 98 % reduziert und eine östrogene Wirkung des Abwassers auf Fische ist nicht mehr nachzuweisen.

Die Investitionskosten für die Adsorptionsstufe, also für den Kontaktreaktor und das Sedimentationsbecken, sowie für die Filteranlage betrugen 44 Mio. €. Von der EU gab es Zuschüsse in Höhe von 5 Mio. €, vom Bundesland Baden-Württemberg 3 Mio. €. Die Bürger im Einzugsgebiet der Kläranlage kostet der laufende Betrieb der vierten Reinigungsstufe 5 €/Person und Jahr.

Das auch als „Ulmer Verfahren“ bekannte Prinzip der vierten Reinigungsstufe ist mittlerweile in elf weiteren deutschen Kläranlagen installiert worden. Auf vier Kläranlagen wird granulierte Aktivkohle zur Spurenstoffentfernung eingesetzt. Zwei weitere Kläranlagen verwenden hierfür eine Ozonierung. Mit solchen „End-of-Pipe“-Lösungen lässt sich ein Großteil der Mikroschadstoffe aus dem Abwasser entfernen. Noch besser wäre es, wenn sie durch entsprechendes Verbraucherverhalten oder Verbote der relevanten Produkte gar nicht erst dorthin gelangten. Unter Berücksichtigung dieses Spannungsfeldes arbeitet das Bundesumweltministerium (BMUB) derzeit an einer Spurenstoffstrategie.

Die Schweiz ist das einzige Land, in dem die Entscheidung über den Umgang mit Mikroschadstoffen nach einem breiten politischen Diskurs bereits gefallen ist: Bis zum Jahr 2040 werden dort 100 der 700 Kläranlagen mit einer vierten Reinigungsstufe ausgerüstet und so 62 % der Abwässer erfasst. Der Investitionsbedarf von 1,2 Mrd. CHF wird bis zum Jahr 2040 über eine landesweite Abwasserabgabe finanziert, die pro Einwohner und Jahr maximal 9 CHF beträgt.

Johannes Pinnekamp vom Institut für Siedlungswasserwirtschaft an der RWTH Aachen beziffert die Kosten für eine vierte Reinigungsstufe auf Basis der Zahlen von bestehenden Anlagen auf 2,50 € bis 7,50 €/Einwohner und Jahr. Der zusätzlich benötigte Energiebedarf beträgt 5 % bis 15 %.

Zur Bewertung der aktuellen State-of-the-Art-Verfahren – Ozonung mit einer biologischen Filterstufe, Adsorption an Pulveraktivkohle mit vielen unterschiedlichen Varianten der Abtrennung, Aktivkohlefilter mit granulierter Aktivkohle (GAK) als Schnellfiltervarianten oder mit nachgeschaltetem biologischem Abbau, Ozonung in Kombination mit GAK-Filtern – gibt es in Deutschland verschiedene Pilotprojekte. Martin Jekel, Leiter des Fachgebiets Wasserreinhaltung am Institut für Technischen Umweltschutz der TU Berlin, empfiehlt bei der Bewertung der verschiedenen Methoden genau hinzuschauen, mit welchem Verfahren sich welche Effekte auf die konkret vorhandenen Spurenstoffe erzielen lassen.

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