Erderwärmung verändert auch das Risiko von eisgestauten Gletscherseen
Wenn von Eisplatten aufgestaute Gletscherseen plötzlich ausbrechen, kann das dramatische Naturkatastrophen nach sich ziehen. Ein Forschungsteam aus Potsdam hat jetzt untersucht, wie sich das Risiko solcher Fluten abschätzen lässt.
Gletscher bauen sich auf und schmelzen wieder. Das Schmelzwasser staut sich häufig in Gletscherseen direkt unter der Gletscherzunge irgendwo im Hochgebirge – vor allem dann, wenn Eisplatten den Abfluss blockieren. Taut eine solche Platte weg, entleert sich der See schlagartig. Für die dahinter liegenden Ortschaften sowie für die Infrastruktur kann das eine ernsthafte Bedrohung werden.
Das Risiko für solche Fluten wollen Forschende um Georg Veh an der Universität Potsdam und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) abschätzen. Dafür untersuchten sie, ob und inwieweit sich die Aktivität dieser Gletscherseen in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Ihr Fazit: Seit 1900 finden solche Ausbrüche eisgestauter Gletscherseen seltener statt, sie erfolgen früher im Jahr und in höheren Lagen.
Seit 1900 gab es weltweit mehr als 1500 Ausbrüche von Gletscherseen
Wenn Gletscherseen ausbrechen, entstehen daraus meist katastrophale Überschwemmungen. Wann und wo eine solche Naturgewalt auftritt, ist aber extrem schwierig vorherzusagen. Dies ist auch der Grund, warum Menschen häufig davon überrascht werden und sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen können, warum Infrastruktur und Ackerland zerstört und wichtige Verkehrswege blockiert werden.
„Wir wollten herausfinden, ob die beschleunigte Gletscherschmelze der letzten Jahrzehnte die Größe, den Zeitpunkt und die Höhenlage dieser Seen verändert haben könnten“, erklärt der Geomorphologe und führende Autor der Studie, Georg Veh. „Seit 1900 wurden weltweit mehr als 1500 Gletscherseeausbrüche aufgezeichnet, die größten hauptsächlich in den Anden und im nordwestlichen Nordamerika, einschließlich Alaska und British Columbia. Wir haben diese Überschwemmungen anhand des Wasservolumens, des Spitzenabflusses, des Zeitpunkts und der Höhe des Quellsees charakterisiert, sodass wir ihre Entwicklung im Laufe der Zeit abschätzen konnten.“
Der Gornersee in der Schweiz bricht etwa vier Monate früher aus
Was das Forschungsteam herausfand: Gletscherseeausbrüche nehmen in Bezug auf Volumen und Abfluss ab. In den Hochgebirgen Asiens finden sie im Schnitt elf Wochen früher statt als um das Jahr 1900 herum, in den Alpen sind es zehn Wochen und im nordwestlichen Nordamerika etwa sieben Wochen früher.
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„Der Gornersee in der Schweiz, ein europäisches Beispiel für einen Gletschersee mit wiederholten Ausbrüchen, bricht heute etwa vier Monate früher im Jahr aus als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts“, sagt Gletscherexperte Veh. „Diese zeitlichen Veränderungen zu kennen, könnte nützliche Informationen liefern, um beispielsweise Straßen oder Brücken entlang von Flüssen vorübergehend zu sperren und so Schäden zu vermeiden.“ Außerdem stellte sein Team fest, dass sich die Seen mit dokumentierten Ausbrüchen in höheren Lagen sammeln. Von Gletschern aufgestaute Seen in den Anden, Island und Skandinavien liegen jetzt im Durchschnitt 250 m bis 500 m höher als vor 120 Jahren.
Klimawandel und Erderwärmung sind die wichtigsten Ursachen im Geschehen der Gletscherseen
Das Abschmelzen und Ausdünnen der Gletscherdämme hängt den Fachleuten zufolge wahrscheinlich mit der Erwärmung der Atmosphäre zusammen. Der Klimawandel könnte die von Gletschern aufgestauten Seen sogar völlig verschwinden lassen, so ihre Vermutung. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts könnten Regionen mit kleinen Gletschern wie die Alpen, Skandinavien und British Columbia größtenteils eisfrei werden.
Lesetipp: „Alle Gletscher zu überwachen ist nicht zu stemmen“
Andere Regionen, wie Patagonien oder Alaska, könnten noch über das Jahr 2100 hinaus über große Gletscher verfügen und daher weiterhin in der Lage sein, Schmelzwasser anzusammeln. Die Autoren empfehlen, in diesen Regionen die von Gletschern aufgestauten Seen genau zu überwachen und die flussabwärts gelegenen Flussabschnitte mit Frühwarnsystemen auszustatten, um künftige Katastrophen zu verhindern oder zumindest abzumildern.