Türkei: Starke Beben in benachbarten Regionen möglich – auch in Istanbul
Nach dem großen Erdbeben am frühen Montagmorgen im Südosten der Türkei und Regionen in Syrien könnten es laut dem Deutschen Geoforschungszentrum in nächster Zeit ähnlich große Beben in nahen Regionen geben – auch in der Hauptstadtregion Istanbul. Helfen könnten eventuell hochkomplexe Frühwarnsysteme.
Nach dem großen Erdbeben am frühen Montagmorgen im Südosten der Türkei und Regionen in Syrien könnten es in nächster Zeit ähnlich große Beben in nahen Regionen geben. „Das war vermutlich nicht das letzte starke Erdbeben in dieser Region. Weitere können folgen, insbesondere in Richtung Nordosten weiter ins Landesinnere“, sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. Ursache seien Spannungsumlagerungen an der Plattengrenze infolge des Bebens vom Montag. „Die Gefahr ist für die Region leider nicht gebannt.“
Die Gefahr in der Region sei nicht gebannt, prognostizierte heute (9. 2. 2023) auch Heiner Igel, Geophysiker am Lehrstuhl für Geophysik des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) „Es wird in der Epizentralregion in den nächsten Wochen bis Monaten Nachbeben geben, die Magnituden erreichen, die wiederum zu Schäden führen können. Leider muss sich die Bevölkerung dort darauf einrichten.“ Igel erforscht an der LMU vor allem die durch Erdbeben verursachten seismischen Wellen.
Weitere Beben auch Richtung Istanbul möglich
Womöglich, so LMU-Forscher Igel, sei auch das Risiko für die besonders dicht besiedelte Region Istanbul weiter gestiegen. Man kenne einen Spannungstransfer, der Erdbeben in einiger Entfernung, die überfällig sind, wahrscheinlicher machen oder deren Auftreten aber auch verzögern könne.
„Ein starkes Erdbeben entlang der Nordanatolischen Blattverschiebung in diesem Bereich ist überfällig“, weiß Anke M. Friedrich, Inhaberin des Lehrstuhl Geophysik des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften der LMU. Für diesen Fall rechnet sie mit verheerenden Auswirkungen: „Es ist dabei mit dem massenhaften Einstürzen von Bauten zu rechnen, die nicht verstärkt oder erdbebensicher gebaut wurden. Zusätzlich sind Tsunamiszenarien nicht unwahrscheinlich.“
Über Jahrhunderte aufgebaute Spannungen wurden nur in der Zone des Hauptbebens gelöst
Lediglich für die Stelle des Hauptbebens sei davon auszugehen, dass die Spannung dort erst mal weg sei, sagte Bohnhoff. Auch die Wahrscheinlichkeit für Nachbeben sinke. „Die Nachbebenaktivität ist am stärksten unmittelbar nach dem Hauptbeben.“
So klappte der Alarm am Warntag 2022
Das Beben betraf demnach die sogenannte Ostanatolische Verwerfungszone zwischen der Anatolischen und der Arabischen Erdplatte. Sie habe schon lange als stark erdbebengefährdet gegolten, weil es dort über viele Jahrhunderte seismisch ruhig gewesen sei, während sich an der Plattengrenze immer mehr Spannung aufgebaut habe. An der Stelle sei ein großes Erdbeben daher überfällig gewesen.
Beben nahe an der maximalen Stärke für eine Plattenrandstörung
Mit 7,8 sei das Beben dann letztlich sehr stark ausgefallen. „7,8 ist fast das stärkste, was an so einer kontinentalen Plattenrandstörung auftreten kann“, erklärte Bohnhoff. „7,8 bedeutet, dass sich auf einer Länge von 200 oder mehr Kilometern von der Oberfläche bis in etwa 20 km Tiefe die Erdplatten quasi innerhalb von Sekunden – oder hier bis zu 2 min lang – gegeneinander verschieben. Und zwar um einige Meter.“ Entsprechend viel Energie werde freigesetzt.
Frühwarnung vor dem Erdbeben wäre in der Türkei nicht möglich gewesen
Eine Frühwarnung wäre im konkreten Fall unabhängig vom eingesetzten System nicht möglich gewesen, erklärte Bohnhoff auch. Die betroffene dicht besiedelte Region liege in unmittelbarer Nähe des Epizentralgebiets, womit es keinen Zeitraum für Warnungen gegeben hätte, da die Schockwellen unmittelbar nach dem Beben die Siedlungen erreichen. Ein Frühwarnsystem könne in einem Fall wie diesem nur eine sehr begrenzte Wirkung entfalten, weil zwischen Erkenntnis der Ursache und ihrer Wirkung kaum Zeit vergeht. Zwar werde bereits an sogenannten prognosebasierten Frühwarnsystemen gearbeitet, mit denen man eventuell schon vor einem Erdbeben erhöhte Warnstufen ausrufen könnte. Solche Systeme seien aber hochkomplex.
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Mit Material von dpa