Auslöser für Asthma, Lungenentzündung und Krebs 22. Mrz 2021 Von Bettina Reckter Lesezeit: ca. 4 Minuten

Feinstaub noch gefährlicher als gedacht

Welche Prozesse im Feinstaub ablaufen, haben Forscher am Paul Scherrer Institut mithilfe von Synchrotronstrahlung untersucht. Sie konnten beobachten, dass sich auch bei normalen Wetterbedingungen im Innern der Partikel durch das Zusammenspiel von Eisen und organischen Verbindungen zusätzlich gefährliche Radikale bilden, die das Lungengewebe schädigen.

Peter Aaron Alpert analysiert die Vorgänge in feinsten Partikeln in der Luft. Bereits in der Atmosphäre bilden sich darin gesundheitsschädliche Substanzen, nicht erst im menschlichen Körper.
Foto: Markus Fischer/Paul Scherrer Institut

Als Feinstaub bezeichnet die Wissenschaft Partikel mit einem Durchmesser von maximal 10 µm. Damit sind sie lungengängig und können sich tief im zarten Lungengewebe festsetzen. Ihre schädigende Wirkung geht auf reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS), die sogenannten Sauerstoffradikale, zurück. Das Risiko für den Menschen steigt dabei mit der Anzahl der Partikel, die in der Luft schweben.

Zwar gibt es auch natürliche Quellen für Feinstaub, der etwa aus Wäldern oder Vulkanen freigesetzt wird, der größte Teil aber stammt aus menschlichen Aktivitäten, etwa aus der industriellen Fertigung und dem Straßenverkehr. Hier werden regelmäßig so große Mengen freigesetzt, dass diese bedenkliche Konzentrationen erreichen.

Metalle und organische Verbindungen im Feinstaub

Bereits bekannt war, dass einige ROS im menschlichen Körper entstehen, wenn sich Feinstaubpartikel in der Flüssigkeit auf der Oberfläche des Lungengewebes auflösen. Normalerweise finden sich im Feinstaub Metalle wie Kupfer und Eisen sowie bestimmte organische Verbindungen. Wenn sie mit anderen Molekülen Sauer­stoffatome austauschen, bilden sich sehr reaktionsfreudige Verbindungen: Wasserstoffperoxid (H2O2), Hydroxyl (HO) oder Hydroperoxyl (HO2).

Diese Substanzen sind dafür bekannt, dass sie oxidativen Stress verursachen. Sie greifen beispielsweise ungesättigte Fettsäuren an, die dann nicht mehr als Bausteine der Zellen zur Verfügung stehen. Mediziner meinen, dass dies ursächlich für Lungenentzündung, Asthma und andere Atemwegserkrankungen sei. Es könne sogar Krebs entstehen, weil die radikalen Sauerstoffverbindungen auch die DNA in den Zellen schädigen.

Einmalige Gerätekombination liefert neue Erkenntnisse

Zwar ist bereits bekannt, dass bestimmte Formen von ROS bereits im Feinstaub zu finden sind und eingeatmet werden können, anstatt sich dort erst zu bilden. Doch hatte man vorher wohl nicht genau genug hingesehen: „Bisherige Studien haben mit Massenspektrometern analysiert, woraus Feinstaub besteht“, erklärt Peter Aaron Alpert, Erstautor der neuen PSI-Studie. „Dabei erhält man aber keine Informationen über die Struktur der einzelnen Partikel und darüber, was in ihrem Inneren vorgeht.“

Alpert hingegen gelang ein exakterer Einblick in die Materie: „Mit dem brillanten Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS konnten wir solche Partikel nicht nur einzeln mit einer Auflösung von unter 1 µm betrachten, sondern sogar in sie hineinschauen, während Reaktionen darin ablaufen.“

Atmosphärische Umweltbedingungen nachgestellt

Eine neuartige, extra am PSI entwickelte Zelle half ihm bei seinen Untersuchungen. Darin lassen sich atmosphärische Umweltbedingungen dadurch simulieren, dass Temperatur, Feuchte und Gasexposition exakt eingestellt werden. Eine UV-LED-Lichtquelle imitiert dabei die Sonneneinstrahlung. „Diese Kombination – hochauflösendes Röntgenmikroskop und Zelle – gibt es nur einmal auf der Welt“, sagt Alpert. Die Studie sei deshalb nur am PSI möglich gewesen.

Die Forschung entstand in enger Zusammenarbeit mit Markus Ammann, Leiter der Gruppe Oberflächenchemie am PSI, sowie Forschenden um die Atmosphärenchemiker Ulrich Krieger und Thomas Peter an der ETH Zürich, die zusätzliche Experimente mit in der Schwebe gehaltenen Partikeln machten, sowie Experten um Hartmut Hermann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig.

Bildung der gefährlichen Verbindungen beobachtet

Im Fokus der Forschenden standen Partikel mit organischen Bestandteilen und Eisen. Das Eisen stammt aus natürlichen Quellen wie Wüstenstaub oder Vulkanasche sowie aus den Emissionen von Industrie und Verkehr. Ebenso haben die organischen Bestandteile natürliche und anthropogene Quellen. Bereits in der Luft entstehen aus diesen Bestandteilen Eisenkomplexe, die im Sonnenlicht zu Radikalen reagieren. Diese wiederum binden allen verfügbaren Sauerstoff und produzieren so die ROS.

Eigentlich bewirkt die Sonnenwärme, dass ein Großteil dieser ROS aus den Partikeln entweicht. Unter bestimmten Bedingungen aber reichern sie sich im Inneren der Teilchen an und verbrauchen dort binnen Sekunden den gesamten verfügbaren Sauerstoff. Verantwortlich dafür ist die Viskosität: Feinstaub kann fest wie Stein, flüssig wie Wasser oder je nach Temperatur und Feuchte auch zähflüssig wie Sirup sein. „Dieser Zustand des Partikels, so haben wir festgestellt, sorgt dafür, dass die ROS im Partikel gefangenbleiben“, sagt Alpert. In dieser Form kann auch kein Sauerstoff von außen mehr in die Partikel gelangen.

Bei Raumtemperatur spielt sich der Prozess ab

Die Schweizer Forscher fanden heraus, dass die gefährliche Reaktion vor allem bei alltäglichen Wetterbedingungen abläuft: bei mittlerer Luftfeuchte von 50 % und Raumtemperaturen um die 20 °C. „Früher dachte man, dass ROS in der Luft – wenn überhaupt – nur dann entstehen, wenn die Feinstaubteilchen vergleichsweise seltene Verbindungen wie Chinone enthalten“, sagt Alpert. Chinone sind eigentlich oxidierte Phenole, die in Farbstoffen von Pflanzen und Pilzen vorkommen. Heute aber weiß man, dass viele weitere ROS-Quellen im Feinstaub vorliegen. „Wie wir nun feststellten, können diese bekannten ROS-Quellen unter völlig alltäglichen Bedingungen deutlich verstärkt werden.“ Etwa eines von 20 Teilchen ist organisch und enthält Eisen.

„Wir gehen davon aus, dass die gleichen fotochemischen Reaktionen auch in anderen Feinstaubpartikeln ablaufen“, sagt Forschungsgruppenleiter Markus Ammann.

Markus Ammann an einer der Apparaturen, mit deren Hilfe die Feinstaubuntersuchugen durchgeführt wurden. Foto: Markus Fischer/Paul Scherrer Institut

„Wir vermuten sogar, dass nahezu alle Schwebeteilchen in der Luft auf diese Weise zusätzliche Radikale ausbilden“, ergänzt Alpert. „Wenn sich dies in weiteren Studien bestätigt, müssen wir dringend unsere Modelle und Grenzwerte bezüglich der Luftqualität anpassen. Womöglich haben wir hier einen zusätzlichen Faktor dafür gefunden, dass so viele Menschen scheinbar ohne konkreten Anlass an Atemwegserkrankungen oder Krebs erkranken.“

Zusammenhang mit Covid-19

Die Forscher haben aber auch einen positiven Aspekt ausgemacht. Ihre Studie legt nahe, dass die ROS auch Bakterien, Viren und andere Pathogene angreifen, die auf den Aerosolen sitzen. Diese werden dadurch unschädlich gemacht. So ließe sich erklären, warum das Sars-CoV-2-Virus in der Luft bei Raumtemperatur und mittlerer Feuchte die kürzeste Überlebensrate hätte, meinen die Forscher.

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