Klimaneutralität auf See ist das Ziel
Der Umstieg von Schweröl und Marinediesel auf klimaneutralere Kraftstoffe muss laut Gunnar Stiesch von MAN gut geplant sein. Denn das ist eine billionenschwere Entscheidung.
VDI nachrichten: Wie sieht es im Moment antriebstechnisch auf See aus?
Stiesch: Seit Jahrzehnten ist die Schifffahrt klassisch mit Dieselmotoren unterwegs, die Schweröl verbrennen. Doch die Schifffahrt hat im letzten Jahrzehnt angefangen, auf Gas- bzw. Dual-Fuel-Motoren zu wechseln, die wahlweise mit Erdgas oder mit Flüssigkraftstoff betrieben werden können. Durch den Betrieb mit Gas ist im Prinzip kein Schwefel mehr im Kraftstoff, die Stickoxide werden auch um 80 % bis 90 % reduziert und Partikelemissionen sind quasi nicht mehr vorhanden.
Dann kommt das Thema CO2 und Treibhausgase. Historisch wurde das in sehr kleinen Schritten durch eine kontinuierliche Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs verbessert. Das waren kleine Schritte im einstelligen Prozentbereich. Nun folgt der Umstieg von Dieselkraftstoffen auf fossiles Erdgas. Damit reduziert man je nach Motortyp 10 % bis 25 % der Treibhausgasemissionen.
Jetzt steht der nächste Schritt an: Wir brauchen vollständig klimaneutrale Kraftstoffe.
Wie viele gasbetriebene Schiffe sind denn derzeit auf den Weltmeeren unterwegs?
Der Anteil der gasbetriebenen Schiffe in der Flotte ist noch sehr gering, aber bei den heute neu in den Verkehr gebrachten Schiffen ist der Marktanteil von Gasmotoren ca. 25 %, drei Viertel sind weiterhin mit konventionellen flüssigen Dieselkraftstoffen unterwegs.
Das hört sich doch erst mal gut an. Oder?
Wie man es nimmt. Die Lebensdauer eines Schiffes beträgt etwa 20 bis 25 Jahre. Rund 4 % bis 5 % der Hochseeschiffe werden pro Jahr erneuert oder ersetzt. Aber: Wenn von diesen 4 % bis 5 % der Flotte, die erneuert werden, ein Viertel Gasmotoren hat, bedeutet das, dass nur 1 % bis 1,5 % der bestehenden Flotte von Hochseeschiffen pro Jahr von Diesel auf Gas umgestellt werden. Das ist viel zu wenig und zu langsam, um die avisierten Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen. Wir benötigen daher deutlich mehr Retrofit-Projekte, um bestehende Schiffe auf Gasbetrieb umzurüsten.
Werden Reeder sich nicht fragen, ob sich Retrofit lohnt oder ein neues Schiff besser wäre?
Das Alter des Schiffs spielt eine große Rolle. Je neuer das Schiff ist, desto eher lohnt sich eine Umrüstung. Bei einem Schiff, das eh in fünf Jahren stillgelegt bzw. abgewrackt wird, rechnet sich das eher nicht.
Der zweite Faktor, der massiven Einfluss darauf hat, ob ein Reeder sich für eine Umrüstung entscheidet oder nicht, ist der Preis des konventionellen Kraftstoffs. Je günstiger der ist, desto weniger rechnet sich für den Reeder eine Umrüstung. Das ist ein Dilemma, das eigentlich nur durch eine höhere CO2-Bepreisung fossiler Kraftstoffe zu lösen ist. Das würde die Umrüstmotivation deutlich erhöhen, zunächst fossiles Erdgas als Zwischenlösung einzusetzen, das später von klimaneutralen Power-to-X-Kraftstoffen abgelöst werden kann.
In einem Interview von 2013 waren Sie noch ein glühender Verfechter der Dieseltechnologie.
Das bin ich nach wie vor, weil ich diese Technologie nicht an dem fossilen Kraftstoff festmachen will. Dieseltechnologie bedeutet, den Kolbenmotor nach dem Dieselbrennverfahren zu betreiben, was enorm effizient ist, enorm robust und tolerant gegenüber leicht schwankenden Brennstoffqualitäten. Das hat enorme Vorteile gegenüber einer Brennstoffzelle, die sehr sensibel gegenüber Schwankungen in der Kraftstoffqualität reagiert.
Der Dieselmotor, so nenne ich ihn mal, auch wenn er in Zukunft keinen Dieselkraftstoff mehr verbrennen wird, ist wirtschaftlich, hat eine hohe Leistungsdichte, kann mit sauberen Kraftstoffen klimaneutral betrieben werden und Schadstoffe wie Partikel nahezu vollständig eliminieren. Insofern sind wir, ich persönlich als auch das Unternehmen, starke Verfechter der Dieseltechnologie, und zwar mit dem Nebensatz: Der Kraftstoff bleibt nicht fossil, sondern wird ersetzt durch klimaneutrale Kraftstoffe.
Was kommt da infrage?
Ohne eine Wertung reinzubringen: LNG als Zwischenschritt, dann auf längere Sicht synthetisches Erdgas, also Methan, was auf synthetischem Power-to-X-Weg hergestellt wird. Des Weiteren gibt es Biokraftstoffe und es gibt Methanol, was langfristig auch synthetisch klimaneutral hergestellt werden kann. Beim Power-to-X-Verfahren kann man jedes beliebige Molekül aus Kohlenwasserstoffen darstellen. Ammoniak ist ein völlig kohlenstofffreier Kraftstoff und die entsprechende Infrastruktur bereits vorhanden.
Beim Wasserstoff ist das große Problem nicht die Umsetzung im Motor, sondern die Speicherung auf dem Schiff. Um dieselbe Reichweite darzustellen wie mit Flüssigkraftstoffen, braucht man in etwa die fünf- bis siebenfache Tankgröße.
Bei dem, was Sie aufgezählt haben, sind mir drei Begriffe durch den Kopf gegangen. Kosten, Kapazitäten, Infrastruktur …
Zuerst zu den Kosten. Die Technologien, um diese Power-to-X-Kraftstoffe herzustellen, sind verfügbar und die laufen als Pilotanwendungen bereits seit mehreren Jahren sehr robust. Doch die Verfahren sind noch nicht so industrialisiert und skaliert, als dass man Größenordnungen mit Skaleneffekten erreichen könnte, um weitere Kostenreduktionen zu erzielen.
Wenn man mit der heutigen Technologie Power-to-X-Kraftstoffe herstellt, dann würden die wahrscheinlich in der Größenordnung Faktor drei teurer sein als Marinediesel. Man rechnet damit, wenn man Skaleneffekte bei Power-to-X-Kraftstoffen erreicht, dass man dann vielleicht auf den Faktor zwei kommt. Das heißt aber auch, es wird teurer bleiben. Also muss die Politik die günstigeren fossilen Kraftstoffe anders bepreisen als bisher, um die Preisunterschiede weiter zu verringern. Erst dann wird es den entscheidenden Schub für klimaneutrale Power-to-X-Anwendungen geben – von alleine tut sich da nichts.
Einer wartet quasi, dass der andere sich bewegt?
Genau. Jetzt kommen wir zum Thema Infrastruktur, das Sie ansprachen. Es gibt einige Studien, die besagen, wenn man die ganze Marine im Kraftstoff umstellt, dann sind Investitionen in Billionenhöhe notwendig. 15 % bis 20 % dieser Investitionen wären dafür nötig, um die Schiffsflotten zu modernisieren. 80 % bis 85 % sind notwendig, um weltweit die Infrastruktur an Land umzurüsten. Das führt zu folgenden Überlegungen: Welcher Kraftstoff ist in einem langfristigen Szenario nachhaltig und jederzeit verfügbar? Welcher bietet die besten Kosten-, Umwelt- und Klimaauswirkungen? Das muss dringend geklärt werden. Denn wer investiert schon ins Blaue hinein? Die Infrastruktur investiert nicht, wenn es die Motoren und Schiffe noch nicht gibt. Die Motor- und Schiffbauer investieren nicht, solange es die Hafeninfrastruktur noch nicht gibt.
Wie kommt man aus einem solchen Dilemma heraus?
Man kann in einer Art Übergangsphase mit sogenannten Drop-in-Kraftstoffen arbeiten. Das bedeutet, dass man die zukünftigen klimaneutralen Kraftstoffe zu einem gewissen Prozentsatz in die bisherigen fossilen mischt, um eine schrittweise Transformation zu schaffen. Das muss nicht auf der ganzen Welt gleichzeitig geschehen, sondern man kann das schrittweise tun.
Das ist auch der Grund, warum wir das Thema Erdgas, heute noch überwiegend als fossiles Erdgas, als Zwischenschritt sehen, weil es ermöglicht, dass man schrittweise das synthetisch, klimaneutral hergestellte Synthetic Natural Gas, das SNG, dazwischen blenden kann, und der Motor merkt diese Veränderung gar nicht. Das ist völlig ohne Einfluss auf die Motorleistung. So kann man sehr gleichmäßig den Anteil der erneuerbaren Energien hochfahren und CO2-Emissionen reduzieren.
Kann man ältere Motoren auf Ammoniak umrüsten oder ist das unmöglich?
Nein, das ist aus Motorensicht durchaus denkbar. Das wird in das Design einfließen, dass der Umrüstaufwand am Motor so gering wie möglich und überschaubar ist und sich später auch rechnet. Natürlich gilt auch da wieder: Das Tanksystem am Schiff ist dann auch umzurüsten. Da sind dann auch andere Sicherheitsmechanismen einzubauen als beim Dieselkraftstoff.
Muss Ammoniak auch gekühlt gelagert werden?
Ja, aber mit weniger Aufwand. Bei Umgebungsdruck wird es bei minus 33 °C flüssig, das ist erheblich leichter, als es auf minus 160 °C zu kühlen, wie beim Erdgas. Beim Wasserstoff wären es sogar minus 250 °C. Minus 33 °C sind durchaus noch in der Nähe. Wenn man es dagegen bei normaler Temperatur hat, muss man den Druck steigern, damit es flüssig wird, da braucht man 8 bar bis 9 bar Druck. Und auch dieser Druck ist noch beherrschbar im technischen System. Es ist also relativ leicht, Ammoniak flüssig zu halten.
In wie vielen Schiffen sind weltweit MAN-Motoren, was schätzen Sie?
Man geht davon aus, dass es 80 000 bis 100 000 weltweit seegehende Schiffe gibt. Eine grobe Daumenschätzung ist, dass wir ungefähr 50 % des Weltwarenverkehrs mit unseren Motoren abdecken. Wir sind bei den größeren, leistungsstärkeren Motoren stärker vertreten als bei den kleineren.
Was liegt Ihnen noch auf der Seele?
Die Transformation kann nur schrittweise gelingen, um dieses Henne-Ei-Problem zwischen Infrastruktur, Investition und Motorentechnologie zu verhindern. Dafür ist dieser Gedanke der Drop-in- oder Blend-in-Fuels als Zwischenschritt enorm wichtig. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir das Thema Erdgas als Zwischenschritt haben, und es nicht kaputtreden, weil es ja „nur 25 %“ CO2-Vorteil hat gegenüber Dieselkraftstoff und weil es immer noch fossil ist, sondern dass wir es als den Türöffner sehen, um dann im zweiten Schritt darauf aufsetzen zu können.
Und wie sieht es mit Batterie-Hybridisierung aus?
Das ist ein interessantes Thema für die küstennahe Seefahrt, aber nicht für den Transport über den Ozean. Als Ergänzung zum Diesel- oder Gasmotor ist es für die küstennahe Schifffahrt eine Lösung, die wir auch anbieten. Aber für den Langstreckenverkehr – aufgrund der Energiedichte, insbesondere der Masse, des Gewichts der Batterien – ist das für den Ozeanverkehr nicht geeignet.