Klimaschutz durch Wald in Deutschland falsch eingeschätzt
Der Wissenschaftliche Beirat Waldpolitik (WBW) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte für die Bundesregierung ausgerechnet, wie stark der Wald in Deutschland CO2 speichern kann. Das Öko-Institut weist jetzt darauf hin, dass der WBW veraltete Daten nutzte – und daher der Wald wohl mehr Treibhausgas aufnehmen könnte, als berechnet.
„Der Wissenschaftliche Beirat Waldpolitik unterschätzt die zukünftigen Fähigkeiten des Waldes in Deutschland als Senke zu wirken, das heißt CO2 in Form von Kohlenstoff dauerhaft zu speichern“, heißt es in der Pressemitteilung des Öko-Instituts. Der Grund seien veraltete Daten, auf denen die Projektionen beruhen. Die hätten schließlich zu falschen Grundannahmen geführt und in Folge zu unzureichenden politischen Schlussfolgerungen. Das Öko-Institut stellte eigene Berechnungen an und zeigt auf, welche Daten besser hätten herangezogen werden sollen.
„Nach unseren Berechnungen können Wälder die geforderte Klimaschutzleistung in Deutschland erbringen, wenn sie nachhaltig bewirtschaftet und wenn weitere Maßnahmen zum Schutz und zur Wiedervernässung der Moore oder beim Humusaufbau in der Landwirtschaft ergriffen werden“, fasst Hannes Böttcher, Experte für Klimaschutz im Landnutzungssektor am Öko-Institut, zusammen.
Wald ist kritischer Faktor beim Klimaschutz
Warum aber ist das so wichtig? Im Mai verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes als Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Kern der Novelle: Deutschland muss bis 2045 klimaneutral sein. Diejenige Emissionen, die sich im Endeffekt nicht vermeiden lassen, müssten dann von Wäldern, Mooren und Böden gebunden werden – dies wird als „Senkenleistung des Landnutzungssektor“ bezeichnet.
2030 müssten Wälder, Moore und Böden demnach 25 Mio. t CO2-Äquivalente an Treibhausgasen binden, 2045 müssten es 40 Mio. t CO2-Äquivalente sein. Ob der Wald also mehr oder weniger CO2 binden kann und wie diese Senkenfunktion beeinflussbar ist, ist also essenziell für das Erreichen der Klimaschutzziele Deutschlands. Als dann am 22. Juni 2021 (zwei Tage vor der Verabschiedung der Novelle des Klimaschutzgesetzes im Bundestag) der WBW eine Stellungnahme veröffentlichte, prognostizierte er für 2030 eine Lücke von 45 Mio. t CO2-Äquivalenten zur tatsächlich erwartbaren Senkenleistung des Waldes.
Der Wald kann mehr Klimaschutz als angenommen
Doch die Daten, die der Beirat für diese Analyse benutzte, seien veraltet, so das Öko-Institut. Der WBW arbeitete hierfür mit der Waldentwicklungs- und Holzaufkommensmodellierung, kurz WEHAM. Das sogenannte WEHAM-Basisszenario, das den Berechnungen des Waldbeirates zugrunde liegt, greift auf Daten von 2002 bis 2012 zurück.
Das Problem: Der WBW hat auf Basis der Waldinventardaten von 2002 und 2012 eine Entwicklung fortgeschrieben, die sich allerdings von der tatsächlichen Entwicklung unterscheidet. So wurde im Mittel dem Wald weniger Holz entnommen, als das Modell angenommen hat. „Der Beirat hat diese Entwicklung in seinen Berechnungen nicht berücksichtigt und nimmt deshalb auch zukünftig eine deutlich höhere Entnahme von Holz aus dem Wald an, als wahrscheinlich zukünftig vom Markt nachgefragt wird“, heißt es seitens des Öko-Instituts. Daher sinke in Folge die angenommene Senkenleistung.
Auswirkung des Klimawandels auf Klimaschutzleistung des Waldes noch unklar
Krux an der Sache ist, dass die Daten für die neue Waldinventarisierung 2022, die gerade erhoben werden, erst 2024 vorliegen dürften, so Böttcher. Würden jedoch erst 2024 die Modelle korrigiert, hätte man wertvolle Jahre für eine klimagerechte Korrektur der Waldbewirtschaftung verloren.
„Die Prognosetools sollten mehr tatsächliche Holzentnahme und Klimaauswirkungen berücksichtigen“, sagt Böttcher. Er zeigt damit einen kritischen Punkt auf: Einerseits soll der Wald Klimaschutzleistung erbringen, andererseits unterliegt genau seine Fähigkeit zur Klimaschutzleistung dem Klimawandel. Zudem spielt eine wichtige Rolle, dass bisher der Wald eher unter anderen Gesichtspunkten als dem Klimaschutz in Deutschland bewirtschaftet wird. Das WEHAM-Basisszenario arbeitet in erster Linie mit forstwirtschaftlichen Präferenzen.
Größere Holzentnahme aus dem Wald in den letzten drei Jahren
Böttcher weist darauf hin, dass das Thünen-Institut, das die Berechnungen für den WBW durchführte, mehrere Szenarien durchrechnete, dabei auch eines mit einer Präferenz für eine naturschutzorientierte Waldwirtschaft. Dieses gehe von einem vermehrten Einschlag in Nadelholzmonokulturen aus und liege daher näher an der Realität, so Böttcher. „Ungewöhnlich an der Holzentnahme in den letzten Jahren war nicht so sehr die Menge, sondern die Tatsache, dass es sich aufgrund der Hitzeperioden und des Borkenkäferbefalls zum Großteil um Schadholz handelte“, erklärt Böttcher im Gespräch mit VDI nachrichten.
Das Öko-Institut zog für seine eigenen Berechnungen reale, historische Daten der Bundeswaldinventur sowie aktuellste Zahlen des deutschen Treibhausgasinventars 2021 heran. Das Ergebnis: Die Lücke zwischen geforderter Senkenleistung im Klimaschutzgesetz und realer Leistung des Wald ist mit 17 Mio. t CO2-Äquivalenten noch nicht einmal halb so groß wie die 45 Mio. t CO2-Äquivalenten, die der WBW errechnete. Würden weitere Klimaschutzmaßnahmen in der Landnutzung umgesetzt – etwa Humus in der Landwirtschaft durch Änderungen der Fruchtfolgen aufgebaut oder Moore wiedervernässt –, dann liege die prognostizierte Lücke sogar bei nur noch rund 3 Mio. t CO2-Äquivalenten, so das Öko-Institut.
Politik setzt auf Klimawirkung des Waldes – auch im Bundestagswahlkampf
Im Bundestagswahlkampf macht sich zum Beispiel die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm stark dafür, „die CO2-Minderung von Wald und Holz“ zu stärken. Der Partei geht es vor allem um die Bepreisung der Klimaschutzleistung des Waldes. Nur: Würden die Ansätze dazu auf veralteten Daten und deren Projektionen fußen, könnte die Wirkung eines solches Modells anders ausfallen, als beabsichtigt.
„Politische Entscheidung zum Klimaschutz benötigen aktuelle und robuste Daten“, betont Klaus Hennenberg, Experte für Wald und Klimaschutz am Öko-Institut. „Gerade das System Wald ist besonders dynamisch“, ergänzt er. Die Projektion des WEHAM-Basisszenarios böte daher keine valide Grundlage mehr für Entscheidungen, die den Landnutzungssektor in Deutschland betreffen. „Dafür sollten neuere und detaillierte Ansätze wie der unsere genutzt werden, bis nach der vierten Bundeswaldinventur 2024 verlässliche Daten vorliegen.“