CHEMIE 10. Jul 2019 Ralph H. Ahrens Lesezeit: ca. 4 Minuten

Nützliche Bakterien

Mikroben können aus Kohlendioxid chemische Substanzen herstellen. Dafür aber braucht es angepasste Elektrolyseure.

Bakterien nutzen Kohlendioxid und Kohlenmonoxid als Nahrung. Forscher greifen diese Stoffwechselwege nun auf, um Chemikalien zu produzieren. Die Atmosphäre könnte das zugleich von klimaschädlichen Gasen entlasten.
Foto: panthermedia.net/paulistano

Ein alter Traum könnte real werden: dass aus klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) und Wasser gezielt chemische Moleküle entstehen. Damit gelänge eine nachhaltige Dekarbonisierung der Atmosphäre. Doch erst, wenn dabei erneuerbare Energien mit im Spiel sind, wird dieses Einfangen und Umwandeln von CO2 (Carbon Capture & Utilisation, CCU) auch wirklich grün.

Viele Unternehmen erforschen bereits, wie das reaktionsträge CO2 zu aktivieren sei, um den Kohlenstoff in Moleküle umwandeln zu können. Einige nutzen aggressive Substanzen und Katalysatoren – Covestro in Leverkusen zum Beispiel baut auf diesem Weg CO2 in Polyurethane ein. Andere Firmen wollen CO2 mit Wasserstoff (H2) – über Synthesegas als Zwischenschritt – in Chemikalien und Kraftstoffe umbauen. ThyssenKrupp arbeitet daran, ebenso Nordic Blue in Norwegen und die deutsch-schweizerische Energiedienst Holding AG.

Auch die pflanzliche Fotosynthese wollen die Forscher kopieren. Das Prinzip ist gut 2,5 Mrd. Jahre alt. Noch früher nutzten bereits Bakterien neben dem CO2 auch Kohlenmonoxid (CO) als Kohlenstoffquelle sowie H2 als Energiespender. „Sie können ganz ohne Sonnenlicht chemische Moleküle zaubern“, erklärt Thomas Haas. Der Chemiker leitet bei der Innovationseinheit des Essener Spezialchemikalienherstellers Evonik die Abteilung „Wissenschaft und Technologie“. Dort nutzt man Clostridien, um Butanol und Hexanol zu gewinnen (s. Kästen re.). Um solche zum Teil uralten Stoffwechselwege industriell nutzen zu können, müssen allerdings die technischen Reaktionsabläufe noch weiter optimiert werden.

Clostridien und Alkohole

Sie heißen Clostridium autoethanogenum und Clostridium kluyveri. Sie leben, wo weder Licht noch Sauerstoff hinkommt. Dort treffen sie auf andere Bakterien, die Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2) und Wasserstoff (H2) produzieren. „Die Bakterien stellen dann aus CO und CO2 natürlicherweise Säuren und Alkohole her“, sagt Thomas Haas von Evonik. Beide Bakterienstämme ergänzen sich: C. autoethanogenum nimmt CO, CO2 und etwas H2 auf, stellt daraus Essigsäure und Ethanol her. C. kluyveri wandelt beide in Butter- und Hexansäure um. Beide Säuren werden wiederum vom ersten Bakterium zu den Alkoholen Butanol und Hexanol umgesetzt.

Im Labor funktioniert das. Die Bakterien leben fast sauerstofffrei in 1-l-Glasflaschen. CO, CO2 und H2 werden eingeleitet. Sie liefern wenige Milligramm Butanol und Hexanol pro Stunde. Dies solle schrittweise mehr werden, betont Haas. Um 10 000 t Alkohol pro Jahr herzustellen, müsste die Produktionsrate um den Faktor 10 Mio. gesteigert werden. Der Chemiker ist zuversichtlich, dass dies bis 2023 so weit ist.

Die Clostridien bevorzugen CO als Kohlenstoffquelle. CO2 aus Industrieabgasen muss also erst umgewandelt werden. Hier kommt Siemens ins Spiel. Der Technologiekonzern hat dafür in Erlangen einen Elekrolyseur entwickelt, der CO2 elegant in CO umwandeln kann. Das Besondere an dieser Weltneuheit sei die Kathode, erklärt Günter Schmid.

Der Chemiker, verantwortlich für die Entwicklung des CO2-Elektrolyseurs, weist auf zwei Punkte hin. Erstens bestimme das Metall das Produkt. Besteht die Elektrode aus Nickel, Eisen, Titan oder Platin, entsteht H2. Ist sie wie in Erlangen aus Silber, erzeugt sie über 95 % CO und ein wenig H2. Zweitens handelt es sich um eine Gasdiffusionselektrode. Sie wird von einer Seite mit CO2 begast, an der anderen Seite liegt der Elektrolyt – also eine wässrige Salzlösung – an. Das CO2streicht an der Elektrode vorbei, dringt in die Poren ein und wird zu CO umgesetzt, das aus den Poren hinausdiffundiert.

„Die Kunst liegt im Bau der Elektrode“, erklärt Schmid. Wird das Material – Silber und Trägermaterial – zu stark gepresst, kann kein CO2 hineindiffundieren. Ist die Elektrode zu locker gepresst, läuft der Elektrolyt einfach hindurch. Die Stromausbeute erfreut den Chemiker: „Sie liegt bei teilweise über 95 %.“ Noch ist der Elektrolyseur klein. Die Kathodenoberfläche beträgt 10 cm², die Stromdichte liegt bei 3400 mA/cm². „Damit können wir 22,8 ml CO/min herstellen“, so Schmid. Um aus 25 000  t CO2 10 000 t Alkohol herzustellen, reiche ein Elektrolyseur mit 270 Zellen mit einer Elektrodengröße von 1 m².

Knallgasbakterien und Terpene

Sie heißen Cupriavidus necator und kommen in Böden und Gewässern vor. Als Energiequelle benötigen sie Wasserstoff (H2) und zusätzlich Sauerstoff (O2). Da beide Gase ein Knallgasgemisch bilden können, werden die Bakterien umgangssprachlich Knallgasbakterien genannt. CO2 nehmen sie über ihre Zellwand auf. „Das tun sie, wenn keine Kohlenhydrate als Kohlenstoffquelle verfügbar sind“, erklärt Dirk Holtmann, Gruppenleiter am Dechema-Forschungsinstitut (DFI) in Frankfurt am Main.

Die Energie aus der Knallgasreaktion nutzen die Bakterien, um CO2 zu verwerten. Die DFI-Forscher wollen die Mikroorganismen nun nutzen, um Terpenoide herzustellen. Dies ist eine Substanzklasse von rund 70 000 Naturstoffen vor allem aus der Flora, die als Duft- und Aromastoffe, Arzneimittel oder als Zusätze für Biokraftstoffe eingesetzt werden.

„Den Stoffwechselweg zu dieser Substanzklasse kennen wir“, sagt Holtmann. Mithilfe von Gentechnik wurden am DFI die für die Terpenoidsynthese notwendigen Gene aus anderen Organismen in die Bakterien eingebracht – so auch das Gen für ein Enzym zur Bildung von Humulen aus der Ingwerpflanze. Nun stellen die Kleinstlebewesen das Terpen Humulen her.

„Wir wollen die Bakterien als Plattformorganismus nutzen, um verschiedene Terpenoide herstellen zu können“, formuliert es Holtmann. Es gehe um ein Baukastenprinzip. Dann bräuchten die Forscher immer nur das Gen für ein Enzym auszutauschen. Aktuell haben sie zwei Enzyme im Blick. Die Limonensynthase aus der Clementine, die die Bildung des Limonen beschleunigt, eines Duftstoffs, der in vielen Shampoos enthalten ist. Die Substanz kann auch als Lösemittel in der Chemieindustrie eingesetzt werden. Und die Farnesensynthase aus dem Einjährigen Beifuss. Farnesen könnte als Treibstoff für Autos oder Flugzeuge genutzt werden.

Am DFI werden nun H2 und O2 in einer klassischen Wasserelektrolyse gewonnen. An der Kathode wird H2 erzeugt, an der Anode O2. Die Besonderheit hier ist, dass das Knallgasbakterium sowohl H2 als auch O2 verwendet.

Methanogene und Biogas

Sie heißen Methanococcus, Methanosarcina oder Methanoplanus und leben in Biogasanlagen. Sie können aus Kohlendioxid (CO2) und Wasserstoff (H2) das Gas Methan (CH4) bilden. Als Energiequelle genügt ihnen H2. „Es sind elektroaktive Mikroorganismen“, sagt Dirk Holtmann vom Dechema-Forschungsinstitut (DFI) in Frankfurt am Main. Sie können Elektronen direkt von der Kathode aufnehmen und damit CO2 in CH4 umwandeln. Dieser direkte Elektronentransfer ohne den Umweg über H2 ist Grundlage der mikrobiellen Elektrosynthese (MES). Holtmann: „MES erspart einen Prozessschritt, da bereits im Elektrolyseur bei geringen Spannungspotenzialen die Umwandlung von CO2 stattfindet.“

Die elektroaktiven Bakterien bilden einen Biofilm auf der Kathode. Diese muss daher eine große Oberfläche bieten, um die Elektronenübertragung zu gewährleisten. Derzeit nutzt das DFI leitfähige Schäume aus Kohlenstoff. Im 200-ml-Reaktor hat es bereits gut funktioniert: „Bis zu 90 % des eingesetzten Stroms wird genutzt, um CO2 in CH4 umzuwandeln“, so Holtmann.

Ziel ist es, die Gasausbeute in Biogasanlagen zu erhöhen. Die Anlagen liefern ein Rohbiogas, das meist zu einem Drittel aus CO2 besteht. Dieses muss aufwendig abgetrennt werden, bevor Biogas ins Erdgasnetz eingespeist werden darf. „Die Bakterien könnten den Reinigungsschritt überflüssig machen“, meint der Forscher.

Jetzt geht es in die Praxis: Das DFI will mit der Firma Ifn FTZ in Elsteraue in Sachsen-Anhalt einen 50-l-Reaktor direkt an einer Biogasanlage betreiben, um zu testen, ob es auch in der Praxis mit Temperaturschwankungen und unterschiedlichen Rohgaszusammensetzungen funktioniert.

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