ENTSORGUNG 15. Nov 2018 Ralph H. Ahrens Lesezeit: ca. 3 Minuten

Recycling trotz Flammschutz

Plastikgehäuse und Kabelummantelungen im Elektroschrott werden meist thermisch entsorgt. Doch viele dieser Kunststoffe könnten erneut verwendet werden, wie Versuche zeigen.

Elektroschrott: Im Kunststoff einiger Elektronikgeräte ist ein Flammschutzmittel enthalten. Dieses stört das werkstoffliche Recycling nicht. In einigen Fällen ergeben sich sogar verbesserte Eigenschaften des Kunststoffs.
Foto: panthermedia.net / kraximus

Recycelte Kunststoffe müssen dem Eigenschaftsprofil von Neuware gleichkommen. Nur dann kann die Kreislaufwirtschaft funktionieren. Beim werkstofflichen Recycling allerdings werden geschredderte Kunststoffteile in Abhängigkeit ihrer Zusammensetzung zwischen 150 °C und 300 °C aufgeschmolzen. Dabei aber können sich Polymere und Inhaltsstoffe wie Flammschutzmittel verändern und geschädigt werden.

Im Test: mögliche Kombinationen

Polyethylen (PE) mit Flammschutzmittel (FSM) Aluminiumhydroxid (Al(OH)3) – eingesetzt für Kabelummantelung – in zwei Modellformulierungen,
Polypropylen (PP) mit einem Triazin-Derivat als FSM – weiterverarbeitet zu Folien für den Bau – mit zwei unterschiedlichen FSM-Gehalten,
PP mit dem FSM Ammoniumpolyphosphat oder Piperazinpolyphosphat als Hauptkomponente – verwendet als Spritzgussmaterial für die Elektrik/Elektonikbranche (E+E),
Polyamid 6 mit dem Flammschutzmittel Melanincyanurat als Spritzgussmaterial für den E+E-Bereich,
Polyamid 6 oder 6.6 jeweils glasfaserverstärkt und FSM Diethylaluminiumphosphinat als Hauptkomponente als Spritzgussmaterial für E+E sowie
ein Blend, also eine Mischung aus Polycarbonat und Acryl-Butadien-Styrol (PC-ABS) mit einem Phosphatester als FSM – für Spritzguss im E+E-Bereich.rha

Ob dies geschieht, wurde am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit (LBF) in Darmstadt drei Jahre lang untersucht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat das Projekt „Recycling von halogenfrei flammgeschützten Kunststoffen“ mit etwa 260 000 € aus dem Programm zur Förderung industrieller Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) unterstützt.

„Die Ergebnisse sind vielversprechend“, erklärt Elke Metzsch-Zilligen. Die Chemikerin hat das Projekt geleitet, in dem zehn verschiedene Kombinationen aus Polymeren und Flammschutzmitteln (s. Kasten) getestet wurden. „Neun Kombinationen konnten mehrfach rezykliert und verarbeitet werden, ohne dass sich die Flammschutzeigenschaften verschlechterten“, fasst die Forscherin zusammen.

Untersucht wurden handelsübliche Formulierungen, die in der Elektrik/Elektronik-, Bau- und Kabelindustrie angewandt werden. Sie basieren auf Polyamid (PA) mit und ohne Glasfaserverstärkung, Polyethylen (PE), Polypropen (PP) und einem Blend aus Polycarbonat und Acryl-Butadien-Styrol (PC-ABS). Jeder dieser Polymere enthält ein oder mehrere halogenfreie Flammschutzmittel.

Die Flammschutzmittel (FSM) wurden an einem Doppelschneckenextruder in die Polymere eingearbeitet. Die Extrudate entsprechen Neuware. Sie müssen – zu Folien, Kabel oder Spritzgussmaterialien weiterverarbeitet – hohen Brandschutzvorgaben gerecht werden.

Die Belastung für Kunststoffe im Recyclingprozess durch Aufschmelzen und mehrere Verarbeitungsschritte stellte Chemieingenieur Christoph Schultheis durch Mehrfachextrusionen nach. Der aus dem Extruder austretende Schmelzstrang wurde in ein Wasserbad geleitet, granuliert und getrocknet. Aus dem Granulat wurden Normprüfkörper für Brandprüfungen und mechanische Tests hergestellt sowie 0,15 mm dicke Folien. Solche Extrusionszyklen wurden fünfmal durchgeführt.

Brandschutz: Schultheis hat jeweils 12,5 cm lange Prüfstäbe aus den einzelnen Polymer-FSM-Kombinationen in einer Prüfkammer zweimal 10 s lang mit der 2 cm hohen Flamme eines Bunsenbrenners befeuert. Der Versuch entsprach den Vorgaben der Prüfnorm UL94 zur Brennbarkeit von Kunststoffen.

„Bei Polyethylen, Polypropen und Polyamid blieb die Flammwidrigkeit erhalten“, so der Chemieingenieur. Das mehrfach verarbeitete Material war brandgeschützt wie Neuware. Bei PE erhöhte sich der Brandschutz sogar leicht. Dies machte sich durch kürzere Nachbrennzeiten bemerkbar. Die Wirksamkeit des FSM habe sich vermutlich verbessert, weil es sich durch das mehrfache Aufschmelzen besser im Polymer verteilen konnte, meint Schultheis.

Nur Mehrfachextrudate des flammgeschützten PC-ABS-Blends konnten die höchste Brandschutzklassifizierung nicht mehr erfüllen. Möglicherweise hängt dies mit dem Antitropfmittel im Blend zusammen, so Schultheis. Solche Mittel sollen ein brennendes Abtropfen des Kunststoffes im Brandfall verhindern. Wird dies jedoch beim Umschmelzen im Recyclingprozess beschädigt, verliert es teils seine Wirksamkeit; dann können sich bei einem Feuer brennende Tropfen bilden.

Mechanik: Recycelte Kunststoffe können aber nur hochwertig eingesetzt werden, wenn auch ihre mechanischen Eigenschaften denen der Neuware gleichen. Schultheis testete mit genormten Probekörpern an einer Zugprüfmaschine, wie fest, steif bzw. dehnbar die wiederholt verarbeiteten Materialien noch sind.

Am besten schnitt dabei ein PP für Folienanwendungen ab, welches mit einem Triazin-Derivat flammgeschützt war. Es war ähnlich dehnbar, fest und steif wie Neuware. Das galt in Bezug auf Festigkeit und Steifheit auch für PC-ABS und PE. PC-ABS war jedoch weniger dehnbar, PE hingegen sogar dehnbarer.

Bei PA und PP mit jeweils einem phosphorbasierten FSM verschlechterte die Mehrfachverarbeitung allerdings diese Eigenschaften. „Diese Rezyklate sind weniger fest und dehnbar“, sagt Schultheis. Das liege daran, dass bei der Mehrfachverarbeitung in der Schmelze Abbauprozesse initiiert werden, welche die Polymerketten verkürzen, wodurch sie spröder werden. Bei glasfaserverstärkten Kunststoffen wird zusätzlich durch Scherbeanspruchungen im Extruder die Glasfaserlänge verringert.

Verkürzte Polymerketten ließen sich aber unter Umständen durch Zugabe kettenverlängernder Additive wieder reparieren, betont der Forscher. Ihm sei dies bei glasfaserfreiem PA 6 mit dem FSM Melamincyanurat unter Erhalt der bestmöglichen Brandklassifizierung gelungen.

„Diese Ergebnisse sind direkt auf Kunststoffabfälle der Industrie, die sortenrein anfallen, übertragbar“, meint Projektleiterin Metzsch-Zilligen. Denn hochwertiges werkstoffliches Recycling hängt von Sauberkeit und Sortenreinheit ab. „Bereits geringe Verunreinigungen können die mechanischen Eigenschaften sowie den Brandschutz beeinflussen.“

Bei Elektroschrott von Verbrauchern trifft dies nicht zu. Selbst Handy- oder Computergehäuse verschiedener Firmen können unterschiedliche Kunststoffe und Flammschutzmittel enthalten. Sie müssten also erst sortenrein getrennt werden.

Die Forschung an solchen Zusammenhängen sollte daher weitergehen, meint Metzsch-Zilligen. Sinnvoll sei etwa, das werkstoffliche Recycling von sauber aufgetrennten und gereinigten Verbraucherabfällen zu betrachten.

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