Energie 12. Nov 2024 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 3 Minuten

Shell: Was das Urteil aus Den Haag zu CO2-Emissionen bedeutet

Shell braucht seinen CO2-Ausstoß nicht drastisch zu reduzieren. Ein Zivilgericht im niederländischen Den Haag hat ein Klimaurteil der ersten Instanz aufgehoben. Damit ist die Klage einer Umweltschutzorganisation abgewiesen. Revision ist möglich. Eine Einordnung.

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Ein Öltank in einer Shell-Raffinerie in Rotterdam: Shell braucht seinen CO2-Ausstoß nicht drastisch zu reduzieren. Ein Zivilgericht im niederländischen Den Haag hat ein Klimaurteil der ersten Instanz aufgehoben. Eine Einordnung.
Foto: IMAGO/SOPA Images/Karol Serewis

So ziemlich zum Auftakt der Weltklimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschan, kommt aus der niederländischen Regierungshauptstadt Den Haag ein spannendes Urteil: Der Öl- und Gaskonzern Shell muss seinen CO2-Ausstoß nicht drastisch senken, ein früheres Urteil einer Vorinstanz ist vom Tisch. Eine Revision vor dem Obersten Gerichtshof in unserem Nachbarland ist aber möglich.

Während also im fernen Aserbaidschan, einem Land, das seinen Reichtum auf die Öl- und Gasförderung gründet, die Staatengemeinschaft verhandelt, wie möglichst schnell genau aus diesem Geschäftszweig auszusteigen ist, kassiert ein Berufungsgericht in den Niederlanden ein als historisch geltendes Urteil aus dem Jahr 2021. Die erste Instanz hatte Shell auf Klage der Umweltorganisation Milieudefensie (vergleichbar mit dem BUND in Deutschland) dazu verdonnert, seine CO2-Emissionen drastisch zu senken: bis 2030 um netto 45 % im Vergleich zu 2019. Wie passt das zusammen?

Was hat das Shell-Urteil mit der Weltklimakonferenz zu tun?

Die Antwort gibt das Urteil der Berufungsinstanz selbst: Verpflichtende CO2-Minderungsziele seien eine Sache von Staaten, und nicht einklagbar bezüglich einzelner Unternehmen. Shell, so die Richter, hätten zwar eine Pflicht, sich für den internationalen Klimaschutz einzusetzen, aber ein konkreter Prozentsatz bei der Senkung seines CO2-Ausstoßes lasse sich dem Unternehmen nicht auferlegen.

Dieser erfolgreiche Einspruch signalisiere großen Treibhausgasemittenten, „dass sie vorerst vor der Gerichtsbarkeit internationaler Rahmenwerke wie des Pariser Abkommens und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sicher sind“, so ESG-Analyst Joshua Sherrard-Bewhay (ESG: Environmental, Social and Corporate Governance) vom Londoner Investmentberatungsunternehmen Hargreaves Lansdown.

Wichtig ist das vor allem, weil nicht nur die direkten Treibhausgasemissionen von Shell vom ursprünglichen Urteil betroffen waren, sogenannte Scope-1-Emissionen, sondern auch die in der Zuliefererkette und von Endabnehmern. 2021 hatte Shell noch seinen Sitz in Den Haag, daher ist das Gericht dort zuständig. Inzwischen ist die Unternehmenszentrale in London.

Das Urteil legt die Verringerung von Treibhausgasemissionen also weiterhin in die Hände der Staaten. Die können diese dann anordnen und ein Unternehmen wie Shell muss sich dann daran halten. Insofern ist das Signal nach Baku, dass die Staatengemeinschaft sich bei der COP29 eben nicht zurücklehnen kann. Sie trägt die Verantwortung.

Klimaschutz ist einklagbar, nur wie weit?

Das Urteil in Den Haag steht in einer Reihe vieler Klagen weltweit, die versuchen zu testen: Wie weit ist Klimaschutz einklagbar? In Deutschland hat es ja auch im Jahr 2021 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus Karlsruhe gegeben, das feststellte, dass die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen der deutschen Bundesregierung nicht ausreichend sind, um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen laut Artikel 20a des Grundgesetzes zu schützen. Das Urteil hat weitreichende Implikationen für die Klimapolitik in Deutschland. Es verpflichtet die Regierung, Klimaschutzmaßnahmen zu verschärfen, um diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. Es verurteilt aber, im Gegensatz zu dem erstinstanzlichen Urteil aus den Haag im gleichen Jahr, den Souverän, und kein einzelnes Unternehmen.

Für Shell ist dieses Urteil als Etappensieg einzuordnen. Juristisch ist ihm keine Pflicht zum Klimaschutz durch Treibhausgasminderung ohne eine explizite gesetzliche Grundlage aufzuerlegen. Ob das dauerhaft ist, ist fraglich. Eine Revision der in diesen Dingen erfahrenen und kompetenten niederländischen Umweltorganisation Milieudefensie ist erwartbar, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof.

Umweltschutz durch Gerichtsurteile – das gilt inzwischen als eine der schärfsten Waffen von Umweltschutzorganisationen weltweit, seitdem Organisationen und nicht nur juristische Einzelpersonen ein Klagerecht im Aarhus-Übereinkommen völkerrechtlich zugestanden worden ist.

Erfolg für Shell mit neuem Ökoimage nicht vereinbar

Schließlich bleibt ein möglicher Flurschaden. Wer sich, wie Shell, selbst Treibhausgasminderungsziele auferlegt, und dies auch mit seiner Lieferkette vereinbart; wer den Turnaround vom Öl- und Gaskonzern zum Konzern für grüne Gase und Ökofuels offiziell kommuniziert und sich dann gerichtlich gegen die Verringerung von CO2-Emissionen wehrt – das passt nicht zusammen. Rein formal, auch um finanziellen Schaden von den Aktionären abzuwenden, dürften die Shell-Verantwortlichen aber auch kaum eine andere Chance gehabt haben, als gegen das erstinstanzliche Urteil vorzugehen.

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