Quantenphänomene in der Natur 27. Jan 2022 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 3 Minuten

Singvögel finden Nistplatz mithilfe des Erdmagnetfelds

Wie schaffen es Zugvögel nur, verblüffend zuverlässig jedes Jahr wieder an ihre Brutplätze zurückzukehren? Darüber forscht die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten. Teams der Universitäten Oxford und Universität Oldenburg konnten nun nachweisen, dass der Magnetsinn entscheidend ist.

Das Erdmagnetfeld ist für Teichrohrsänger wie ein Koordinatensystem. Sie orientieren sich vermutlich an der Inklination, der Neigung der Feldlinien zur Waagerechten.
Foto: Thomas Miller

Wie gut, dass manche Forschung schon seit Jahrzehnten betrieben wird. Beringungsdaten von fast 18 000 Teichrohrsängern aus der Zeit zwischen 1940 und 2018 halfen jetzt dabei herauszufinden, wie diese winzigen Singvögel wissen können, wo sie ihre Wanderung beenden müssen. Magnetische Signale, genauer gesagt die magnetische Inklination – der Neigungswinkel zwischen Feldlinien und Erdoberfläche –, sind ausschlaggebend. Sobald ein bestimmter Wert erreicht ist, hören die Teichrohrsänger auf zu wandern. Andere Komponenten des Erdmagnetfelds, Feldstärke oder Abweichung zwischen magnetischer und geografischer Nordrichtung, spielen demnach keine Rolle.

„Untersuchungen machen zwar immer deutlicher, dass der Vogelzug einem festen Programm folgt. Aber wie sie Jahr für Jahr mit hoher Präzision an denselben Ort zurückkehren, ist nach wie vor ein Rätsel“, sagt Hauptautor Joe Wynn vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven. Wynn hatte zuvor an der University of Oxford geforscht und die Idee zu der Studie während eines Aufenthalts als Gastwissenschaftler in der Arbeitsgruppe des Biologen Henrik Mouritsen an der Universität Oldenburg entwickelt. „Es ist daher sehr aufregend, Hinweise darauf zu finden, dass Singvögel magnetische Signale nutzen, um ihr Zuhause wiederzufinden“, ergänzt Wynn. Die neue Studie veröffentlichten Wynn und Mouritsen im Forschungsmagazin „Science“.

Magnetsinn durch Quantenverschränkung

Wie Vögel das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung. Einer Theorie zufolge registrieren Vögel Magnetfeldlinien mithilfe bestimmter chemischer Moleküle im Auge. Das Team vermutet, dass die Vögel diese Fähigkeit nutzen, um ihre Flugrichtung und vielleicht Hinweise auf ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Mouritsen erforscht seit Jahren die Theorie, dass Quantenverschränkung bei den chemischen Prozessen eine hocheffiziente Signalverstärkung erlaubt, die es überhaupt erst möglich macht, dass die Vögel das Magnetfeld bzw. seine Änderung hinreichend wahrnehmen können.

Quantentechnologien: Die Natur machts vor

Wie aber lässt sich von der Beringung aufs Magnetfeld schließen? Das Team analysierte die Beringungsdaten der Teichrohrsänger mit statistischen Methoden. Die Verteilung der gefundenen Ringe deutete darauf hin, dass die Vögel ein Ziel anpeilen, das nicht ortsfest ist: Und dieses Ziel, so stellten sie fest, ist die langsame Drift des Erdmagnetfelds, dessen Feldlinien sich durch Bewegungen des flüssigen Eisens im Erdkern von Jahr zu Jahr um wenige Kilometer in verschiedene Richtungen verlagern können.

Erdmagnetfeld als Stoppschild für Zugvögel

Die Teichrohrsänger scheinen den Forschungen zufolge der magnetischen Inklination zu folgen: Erreicht sie einen bestimmten Wert, hören sie auf zu wandern. „An einem Ort ändert sich das Magnetfeld von Jahr zu Jahr nicht besonders stark. Daher erscheint es sinnvoll, dass die Vögel einen bestimmten Magnetfeldwert als Zielpunkt ihrer Reise wählen“, erläutert Wynn. Die Inklination bietet den Vögeln nach Meinung des Teams die besten Chancen, zum Brutplatz zurückzukehren, weil sie der stabilste Bestandteil des Erdmagnetfelds sei.

„Die Fähigkeit von Vögeln, die weniger als ein Teelöffel wiegen, ihren Brutplatz nach einer Reise um die halbe Welt genau zu lokalisieren, ist vielleicht einer der erstaunlichsten Aspekte des Vogelzugs“, sagt Mouritsen, der an der Ideenentwicklung und Datenanalyse der Studie beteiligt war. Es sei äußerst spannend, dieses Phänomen mithilfe von Daten zu untersuchen, die vor allem von Hobbyvogelbeobachtern gesammelt wurden. Das Team hofft, dass diese Form der Bürgerwissenschaft noch mehr Menschen dazu inspiriert, Vögel zu beobachten und sich für die Wissenschaft zu begeistern.

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