Überarbeitung der EU-Chemikalienverordnung Reach nach Druck aus der Industrie verschoben
Die Industrieverbände haben Druck gemacht und sich bei der EU-Kommission durchgesetzt. Nun wird die EU-Chemiekalienverordnung Reach erst Ende 2023 überarbeitet – wenn überhaupt. Für Mensch und Umwelt kann das schlimme Folgen haben.
Von Bettina Reckter
Wirtschaftsverbände haben sich durchgesetzt, die EU-Kommission ist eingeknickt. Sie hat die dringend benötigte Überarbeitung der bisherigen Fassung der EU-Chemikalienverordnung Reach auf Kosten von Mensch und Umwelt auf die lange Bank geschoben. Die Entscheidung fiel gestern in Brüssel. Und das, obwohl die Kommission die Reform selbst als dringend erachtet hatte, weil die Verordnung in ihrer gegenwärtigen Form keinen ausreichenden Schutz vor gefährlichen Stoffen biete. Zugleich ist damit ein wichtiger Teil des Green Deal und der Umsetzung der EU-Chemikalienpolitik infrage gestellt.
„Wir sind enttäuscht über die Verschiebung und befürchten, dass damit der dringend nötige Umwelt- und Verbraucherschutz auf die lange Bank geschoben wird“, sagt Ninja Reineke, Vorstandsvorsitzende und Expertin von CHEM Trust Europe, eine 2018 gegründete Umwelt- und Verbraucherschutz-NGO mit Sitz in Hamburg, die sich für den Schutz von Mensch und Umwelt vor gefährlichen Schadstoffen einsetzt. „Dabei zeigen wissenschaftliche Monitoring-Studien aus Deutschland und Europa, dass die Belastung der Allgemeinbevölkerung mit einigen Chemikalien inzwischen so hoch ist, dass gesundheitliche Folgen nicht ausgeschlossen werden können.“
Verordnung sollte Mensch und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien schützen
Die Verordnung soll das Chemikalienrecht europaweit vereinheitlichen und über Gefahren und Risiken aufklären, die von Chemikalien ausgehen können. Reach steht dabei für Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals (Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien).
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Demnach müssen Hersteller und Importeure von chemischen Stoffen Informationen über solche Stoffe an die Europäische Chemikalienagentur (Echa) übermitteln, wenn sie diese in der EU vermarkten möchten. Die Reach-Reform sollte Mensch und Umwelt endlich effektiver vor Belastungen schützen. Doch daraus wird jetzt nichts.
Studie: Kinder und Jugendliche sind hoch belastet mit Weichmachern aus Kunststoffen
Umweltverbände befürchten, dass die Revision der Verordnung sogar ganz gekippt werden könnte, wenn die künftige EU-Kommission nach der Europawahl im Frühjahr 2024 diese nicht fortführen würde. Sie hatten sich deshalb im Vorfeld der gestrigen Entscheidung gemeinsam mit mehreren europäischen Umweltministern, darunter auch die deutsche Ministerin Steffi Lemke, in einem Brief mit der Bitte an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewendet, den Zeitplan einzuhalten.
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Wie stark die Belastung der Menschen mit schädlichen Chemikalien in den letzten Jahren in Europa zugenommen hat, zeigen Daten aus dem EU-Projekt „Human Biomonitoring for the European Union“ (HBM4EU). So sind bei Kindern und Jugendlichen beispielsweise die nachgewiesenen Konzentrationen an Weichmachern aus Kunststoffen oder Imprägniermitteln wie poly- und perfluorierte Verbindungen (PFAS) so hoch, dass Gesundheitsgefahren nicht mehr ausgeschlossen sind.