Viel Stunk um die neue Abgasnorm Euro 6
Neues Jahr, neue Abgasgrenzwerte: Die Euro-6-Norm steht ins Haus. Für Lkw ist sie bereits verbindlich. Ab 1. September 2014 müssen auch alle neu zugelassenen Pkw die strengen Grenzwerte erfüllen. Das stellt nicht nur die Autobauer vor technische Herausforderungen. Auch die Prüforganisationen müssen für viel Geld auf ein neues Messverfahren umrüsten. Am Ende droht den Autofahrern, die Zeche zu zahlen.
Großer Aufwand, k(l)eine Wirkung? Wenn vom 1. September 2014 an neu auf den Markt kommende Automodelle die Abgasnorm Euro 6 erfüllen müssen – einige schaffen das schon heute – ist kein Quantensprung in Sachen Schadstoffreduzierung mehr zu erwarten. Dies war noch in den 90er-Jahren der Fall, als die Umstellung von Euro 0 auf Euro 2 stattfand. Bei aktuellen Neufahrzeugen mit Benzinmotoren mit Euro 5 ist die Aufrüstung auf Euro 6 ohnehin kein großes Problem, weil die meisten Grenzwerte unverändert bleiben.
Die (Euro-)Abgasnorm gibt Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von Kfz vor. Neue Automodelle müssen im Zulassungsverfahren (Typprüfung) diese Standards erfüllen.
- Untersucht wird u.a. auf dem Rollenprüfstand die Konzentration von Schadstoffen wie Kohlenmonoxid (CO), Stickstoffoxiden (NOx), Kohlenwasserstoffen und Rußpartikeln.
- Seit Mitte 2009 müssen europaweit alle Neuwagen die Euro-5-Norm erfüllen. Die Umstellung auf Euro 6 erfolgt im September 2014.
- Die Einstufung hat bei (älteren) Autos auch Einfluss auf die Kfz-Steuer und die Umweltplakette.
Anders bei den Dieselmotoren: Weil deren Stickoxidemissionen gemäß den neuen Vorgaben von 180 mg auf 80 mg pro km sinken müssen, steigt der konstruktive Aufwand für die Automobilhersteller deutlich. Unerwünschte Nebeneffekte der notwendigen baulichen Maßnahmen sind das zunehmende Gewicht der Abgassysteme und steigende Produktionskosten. Beileibe kein Pappenstil: Bei schweren Nutzfahrzeugen geht es um Mehrkosten in der Größenordnung von 10 000 €.
Schon heute schaffen einige Diesel-Pkw-Hersteller mit konstruktionstechnischen Tricks, die Euro-6-Norm ohne allzu aufwendige Abgasnachbehandlung einzuhalten. So ist beispielsweise der japanische Mazda-Konzern stolz darauf, dass die neue, „Skyaktiv D“ genannte Selbstzündergeneration – mit 2,2 l Hubraum in den Leistungsstufen von 110 kW oder 129 kW – in den Modellen CX-5, Mazda 6 und Mazda 3 ohne Stickoxidkatalysator und Niederdruck-Abgasrückführung auskommt.
Maßgeblichen Anteil daran haben neben der extrem niedrigen Verdichtung von 14,0 : 1 die optimierte Brennraumform und der verbesserte Wirkungsgrad, der unter anderem durch den zweistufigen Turbolader erzielt wird. Weil die innere Reibung des Motors zudem durch die niedrige Verdichtung und Gewichtsreduzierung bei Kurbelwelle und Kolben um 26 % gesenkt werden konnte, verringern sich Kraftstoffverbrauch und Emissionen um jeweils etwa 5 %.
Reichen solche motorseitigen Maßnahmen zur Erreichung des Euro-6-Standards nicht aus, ist der „Selective Catalytic Reduction“ (SCR)-Katalysator das Mittel der Wahl, um die Schadstoffemissionen zu senken. In ihm werden die Stickoxide durch Einspritzung wässriger Harnstofflösung (Handelsname: „AdBlue“) reduziert.
Der konstruktive Aufwand dabei ist immens: Unter der Fahrzeugplattform geben sich Partikelfilter, Oxidationskatalysator, SCR-Katalysator, AdBlue-Tank sowie diverse Heizelemente, Sensoren, Förder- und Dosiermodule ein Stelldichein. Den fachfremden Betrachter erinnern sie an eine Chemiefabrik im Miniaturformat. Bei Fahrzeugen, die für die Regeneration des Partikelfilters ein spezielles Additiv benötigen, etwa bei manchen Peugeot- und Citroën-Modellen, gesellt sich noch der dafür nötige Vorratstank hinzu.
Ein weiteres Problem: Je weiter die „Chemiefabrik“ unter dem Wagenboden expandiert, um so größer werden Gewicht und Abgasgegendruck. Beides stellt die Hersteller vor zusätzliche Herausforderungen. „Konstruktiv können wir in einigen Bereichen Lösungen beisteuern“, berichtet etwa Frederic Lüder, Entwicklungsleiter beim weltgrößten Abgassystemhersteller Faurecia. „So lassen sich beispielsweise durch bessere Entkoppelung von Motor und Abgasanlage sowie eine optimierte Aufhängung Bewegungen und Verspannungen reduzieren. Dadurch können wir Wandstärke und Gewicht verringern sowie den Durchmesser vergrößern, sodass der Gegendruck sinkt“, erläutert der Ingenieur. „Das erfordert hochtemperaturfeste und gewichtssparende Werkstoffe, die Abgastemperaturen von bis zu 1000 °C widerstehen können. Auf diese Weise lässt sich das Mehrgewicht im Vergleich zu Euro-5-Anlagen in Höhe von 10 % bis 15 % zumindest teilweise ausgleichen.“
Weil solche Materialien ebenso wie die für Euro 6 erforderlichen zusätzlichen Komponenten jedoch nicht zum Nulltarif zu haben sind, müssen Autohersteller und deren Kunden künftig tiefer in die Tasche greifen: „Wir gehen davon aus, dass sich die Abgassysteme für Euro 6, verglichen mit denen für Euro 5, um etwa 50 % bis 60 % verteuern werden“, schätzt Klaus Spindler, Leiter der Faurecia-Vorentwicklung. „Damit wird der Anteil an den Gesamtkosten für den Antriebsstrang von bisher 10 % auf etwa 15 % steigen.“
Damit nicht genug. Kostensteigerungen drohen auch noch aus einer anderen Richtung: Am 2. Juli vergangenen Jahres beschloss das EU-Parlament eine Ausweitung der Abgasuntersuchung (AU), die bis 2015 in Kraft treten soll. Weil Prüforganisationen und Werkstätten dafür viel Geld in die Hand nehmen müssen, wird sich die Abgasuntersuchung in Zukunft erheblich verteuern. Der ADAC rechnet mit einen Investitionsbedarf von 207 Mio. €.
Seit 1. April 2006 erfolgt die AU an Fahrzeugen mit Euro 4 oder höher oft nicht mehr durch eine Messung am Auspuffendrohr, sondern durch Auslesen der Daten aus der OBD-(„On-Board-Diagnose“)-Schnittstelle. Das OBD-System überwacht bei Benzinern und Dieseln während der Fahrt kontinuierlich die Zusammensetzung der Abgase. Treten Abweichungen auf, leuchtet im Cockpit die gelbe Warnlampe mit dem Motorensymbol auf.
Typische, auch aus der Werkstattpraxis bekannte Ursachen hierfür können Fehlfunktionen der Lambdasonde, aber auch Marderbisse in Schläuche und Kabel sein. Laut ADAC nehmen 81 % der betroffenen Autofahrer die Warnlampe ernst und fahren in die Werkstatt. An sich ein praxiserprobtes Instrument. „Weshalb die EU die Zuverlässigkeit des OBD-Systems plötzlich bezweifelt und jetzt die völlig veraltete Endrohrmessung wieder einführen will, ist mit sachlichen Argumenten nicht zu erklären“, kritisiert der Club. Dem hält die die Prüforganisation Dekra entgegen: „Auch heute noch erfolgt bei rund zwei Dritteln der Abgasuntersuchungen eine Endrohrmessung.“
Weil in Zukunft alle zwei Jahre (bei Neuwagen erstmals nach drei Jahren) auch die Stickoxid (NOx)-Emissionen gemessen werden, die nur im Volllastbereich entstehen, müssen laut ADAC Prüfstellen und Werkstätten nun sechsstellige Eurobeträge für einen Last-Rollenprüfstand und neue Abgasanalysegeräte ausgeben. „Die Kosten-Nutzen-Relation ist mehr als unverhältnismäßig, weil die Abgaswerte durch die OBD in allen Fahrsituationen, auch bei Volllast, überwacht werden“, moniert der ADAC. „Ein Nutzen für die Umwelt ist nicht erkennbar“, heißt es aus München.
In die gleiche Kerbe haut auch der Autoclub ACE: „Mit der bisherigen europäischen Richtlinie und der On-Board-Diagnose haben wir ein Verfahren, das seit Jahren tadellos funktioniert“, sagt ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner. „Weshalb jetzt daran geschraubt wird, ist für uns nicht nachvollziehbar. Die beträchtlichen Investitionen für die Durchführung der erweiterten AU und der dadurch verursachte zusätzliche Zeitaufwand werden natürlich dem Autofahrer in Rechnung gestellt.“
Die durch die Umstellung des Messverfahrens anfallenden Mehrkosten schätzt Hillgärtner auf etwa 10 € pro Prüfvorgang , was eine Erhöhung um 25 % bis 30 % bedeutet. Ob dieser Aufwand tatsächlich der Umwelt nützt, darf bezweifelt werden. Schließlich betrug die durchschnittliche Mängelquote bei der Abgasuntersuchung nach den jüngsten verfügbaren Angaben des Zentralverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) im Jahr 2011 nur 6,9 %.