Vom Abgas zum Rohstoff
Wohin mit dem Klimakiller Kohlendioxid aus Industrieprozessen? Weltweit wird erstmals CO2 in eine Polymervorstufe eingebaut. Das senkt den Erdölverbrauch und die Emissionen. Umweltschützer halten dies allerdings für keinen Durchbruch in Sachen Nachhaltigkeit.
Vertreter aus Bundes- und Landespolitik sind heute dabei, wenn Covestro (ehemals Bayer MaterialScience) in Dormagen die weltweit erste Anlage präsentiert, in der der Polyurethan-Baustein Polyol mit CO2 als Rohstoff hergestellt wird. Die so gewonnenen Polyole sollen zu Polyurethan-Weichschaum, wie er für Matratzen und Polstermöbel verwendet wird, weiterverarbeitet werden.
Polyurethane bestehen aus zwei miteinander vernetzten chemischen Bestandteilen: aus Isocyanaten und Polyolen.
Bei keinem anderen Polymer lassen sich Eigenschaften so gut über die chemische Struktur verändern wie bei Polyurethan.
Die Variabilität entsteht nicht wie bei Polyvinylchlorid (PVC) in erster Linie durch Zusatzstoffe, sondern durch unterschiedliche Isocyanat- oder Polyol-Komponenten. Ein Beispiel: Langkettige Polyole führen dazu, das Polyurethane weicher werden.
„Wir wollen hiermit ein Stück Kreislaufwirtschaft realisieren und eine neue Kohlenstoffquelle nutzen“, erklärt Karsten Malsch. Der Chemiker leitet das CO2-Polyol-Projekt bei Covestro. Die neue Anlage hat rund 15 Mio. € gekostet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat die Forschungsphase mit insgesamt 7,4 Mio. Euro gefördert.
Die Produktion von Polyol im industriellen Maßstab läuft an
Ab Herbst will das Unternehmen in der neuen Anlage jährlich 5000 t Polyol mit CO2-Anteil herstellen. Das sei schon ein industrieller Maßstab, sagt Malsch. Er spricht dennoch lieber von einer Demonstrationsanlage. Denn normalerweise werden Polyole in Anlagen mit Kapazitäten von über 50 000 t/Jahr hergestellt.
Polyole sind mehrfache Alkohole, die die Chemiefirmen aus Epoxiden herstellen. Diese wiederum sind reaktive Substanzen, energieaufwendig aus Erdöl erzeugt. So wird das Ethylenoxid aus Ethen und Propylenoxid (PO) aus Propylen gewonnen. Diese Epoxide polymerisieren mithilfe eines Katalysators zu langen Molekülketten, den Polyolen.
Das neue Polyol entsteht aus Propylenoxid und CO2. Statistisch gesehen wird nach etwa jedem dritten PO-Molekül ein CO2-Molekül in die Polymerkette eingebaut. Das Polyol besteht daher zu rund 20 Gewichtsprozent aus CO2. Anders ausgedrückt: Etwa jedes zehnte Kohlenstoffatom im Alkohol stammt aus CO2.
Wieviel CO2 der Kunststoff Polyurethan dann enthält, hängt von der Rezeptur ab. Grundsätzlich besteht Weichschaum-Polyurethan zu ca. zwei Dritteln aus Polyolen, sodass eine Matratze am Ende zu rund 10 % aus CO2 bestehen könnte.
Das CO2 für die Covestro-Anlage stammt aus dem Dormagener Chemiepark. Es fällt als Nebenprodukt an, wenn das benachbarte Chemieunternehmen Ineos bei hohem Druck Wasserstoff aus Methan (Erdgas) und Wasser gewinnt. Das aufgefangene CO2 wird verflüssigt und per Lkw zur wenige Blocks entfernten Polyol-Anlage gebracht.
Die Forschung dazu begann 2008, bis zur Marktreife dauerte es also acht Jahre. „Den richtigen Katalysator zu finden und das geeignete Prozessfenster festzulegen, brauchte Zeit“, erläutert Malsch.
Der Durchbruch gelang den Forschern von Covestro gemeinsam mit der RWTH Aachen im Projekt „Dream Reaction“. Sie entwickelten einen Katalysator auf Zinkbasis, der die Aktivierungsenergie des CO2 absenkt. Einmal in Fahrt, sorgt dann die Energie des Propylenoxids (PO) dafür, dass die Reaktion ökologisch wie ökonomisch sinnvoll ablaufen kann. PO und CO2 reagieren dazu in flüssiger Phase im Rührkesselreaktor bei hohem Druck und erhöhter Temperatur. Das ist nicht selbstverständlich: CO2 ist bei Raumtemperatur gasförmig, PO siedet bereits bei 34 °C.
Es entstehen Polyethercarbonat-Polyole. „Solche Polyole wurden nie zuvor in Polyurethan eingebaut“, sagt Malsch. Covestro testete von Anfang an auch, ob und wie sich das Polyol als Kunststoffkomponente eignet. Das Ergebnis: Es kann klassische Polyether-Polyole gut ersetzen. Polyurethan-Weichschäume werden durch seinen Einbau ein wenig härter.
Das neue Polyol enthält zwar CO2, „die Substanz stellt aber keine CO2-Senke dar“, betont André Bardow vom Lehrstuhl für Technische Thermodynamik an der RWTH Aachen. Dies zeigt die Lebenszyklusanalyse des Verfahrenstechnikers und eines Mitarbeiters. Es handelt sich um einen Cradle-to-Gate-Ansatz, der mit der Gewinnung der Rohprodukte wie Erdöl beginnt und am Fabriktor endet.
Das Herstellungsverfahren sei noch immer energieaufwendig, erklärt Bardow. „Um 1 kg davon herzustellen, werden gut 2,7 kg CO2-Äquivalente freigesetzt.“ Für die Berechnung erfassten die Forscher alle Treibhausgasemissionen entlang des Lebenszyklus vom Rohöl bis zum Polyol.
Je Kilogramm Polyol wird gut 14 % weniger Erdöl benötigt
Der neue Weg schone dennoch Klima und Rohstoffe, sagt der Verfahrenstechniker. Denn im Gegensatz dazu werden unter gleichen Bedingungen im klassischen Verfahren pro Kilogramm Polyether-Polyol aus Ethylen- und Propylenoxid 3,2 kg CO2-Äquivalente frei. Das Klima werde durch die CO2-basierten Polyole also um ca. 15 % weniger durch CO2 aufgewärmt, fasst Bardow das Ergebnis zusammen.
Und nicht nur das: Der energieaufwendigste Schritt bei der Polyol-Produktion ist der der PO-Synthese. Weil aber beim neuem Polyol CO2 eingebaut wird, wird PO eingespart. Die Aachener Forscher haben errechnet, dass je Kilogramm Polyol gut 14 % weniger Erdöl benötigt wird.
Dennoch: Umweltverbände kritisieren das neue Verfahren. Zur Herstellung dieser Polyole sei weiterhin viel Energie erforderlich, betont Hermann Fischer. Der Chemiker ist im Präsidium des Naturschutzbundes (Nabu) aktiv. Antonius Michelmann von der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) betont, dass sich durch das neue Verfahren die CO2-Bilanz der gesamten Polyurethan-Herstellung nur marginal verbessere. „Da zudem die Nachfrage nach Polyurethanen weltweit steigt, wird künftig dennoch mehr Erdöl für diesen Kunststoff benötigt werden.“
Davon lässt sich Covestro nicht irritieren: „Die CO2-basierte Polyol-Herstellung ist für uns auch wirtschaftlich“, betont Malsch. Zwar nennt er keine Zahlen, doch während PO aufwendig aus Erdöl hergestellt werden muss, fällt CO2 in vielen chemischen Prozessen als Nebenprodukt an oder als Abgas in Kohlekraft-, Stahl- oder Zementwerken. Und: Die Firma setzt auf das Treibhausgas. Sie will mehr CO2 in Polyole sowie in andere Chemikalien einbauen.