Umwelt 21. Feb 2014 Frank Odenthal Lesezeit: ca. 3 Minuten

Vom Kunststoff zurück zum Öl

Aus scheinbar wertlosen Folien und Kunststoffen von der Halde wird in der Demonstrationsanlage Heizöl bzw. Diesel gewonnen. Die benötigte Energie liefert das System selbst. Eine erste kommerzielle Anlage entsteht derzeit nahe Dresden.
Foto: mauritius images/Photoshot Creative

Gerold Weser wirkt nicht wie jemand, der Revolutionäres im Schilde führt. Hier, in Sihlbrugg im beschaulichen Schweizer Voralpenland am Zürichsee, würde man eine Revolution wohl eher aus den Reihen der Züricher Hochfinanz oder der vielen anderen Global Player erwarten, die sich in der Region angesiedelt haben. Weser hingegen ist Geschäftsführer der Plastoil AG und recycelt Plastikmüll zu Öl. In Sihlbrugg steht seine Demonstrationsanlage.

Kunststoff wird bekanntlich aus Erdöl gewonnen. Und da Erdöl eine endliche Ressource ist, behaupten viele, es sei viel zu kostbar, um als Kraftstoff in Motoren verfeuert zu werden.

Andersherum aber ist Kunststoff – zumindest theoretisch – im Überfluss vorhanden: in Form von Plastikmüll. Denn der hat sich längst zu einem globalen Umweltproblem entwickelt, das an Land wie auch in den Ozeanen das ökologische Gleichgewicht zu schädigen droht. Plastikmüll zurück in Öl zu verwandeln, erscheint also sinnvoll.

Anlagen zur Rückgewinnung von Öl aus Kunststoffen sind nicht neu. Allerdings kam bisher am Ende des Prozesses meist Schweröl heraus, ein nur schwer verwertbares Abfallprodukt der petrochemischen Industrie. Bei Wesers Pilotanlage in Sihlbrugg aber fließt ein Produkt in Heizölqualität aus der Leitung.

„Einfach ausgedrückt zerlegen wir das Plastik in seine Bestandteile“, erklärt der promovierte Physiker und Chemiker, der aus Heidelberg stammt. Zunächst schreddert er den gesammelten Plastikmüll, reinigt ihn und filtert für den Prozess ungeeignete Plastiksorten heraus.

„Ein erster wichtiger Schritt, denn Plastikmüll ist nicht gleich Plastikmüll“, weiß Weser. PVC etwa lasse sich mit dem Plastoil-Verfahren nicht zurückverwandeln. Und hochwertiger Kunststoff, etwa von PET-Flaschen, sei im stofflichen Recyclingprozess besser aufgehoben. „Wir nehmen uns vor allem der Kunststoffgemische an, bei denen die Auftrennung in sortenreines Plastik zu aufwendig wäre und die deshalb in der Verbrennung landen, dünne Plastiktüten zum Beispiel, die achtlos weggeworfen werden und deren Entsorgung die Kommunen viel Geld und Mühen kostet.“

Es folgt der eigentliche Plastoil-Prozess, das Herzstück der Anlage in Sihlbrugg. Die gewonnenen Plastikschnipsel werden erhitzt, wobei das Material im ersten Reaktor eingeschmolzen und anschließend in einem zweiten verdampft wird. Bei diesem „Cracking“, sagt Weser, seien Temperatur und Dauer der Erhitzung entscheidend, um die Molekülketten in gewünschter Weise aufzuspalten.

Reststoffe, die sich nicht zur Weiterverarbeitung eignen, werden ausgefiltert und entsorgt. Der Wärmeenergiebedarf der gesamten Anlage wird dabei zu 100 % aus dem Prozess gewonnen.

Übrig bleibt ein Gasgemisch, das kondensiert, also verflüssigt wird. Was am Ende der Kette aus dem Hahn tropft, ist reines Heizöl bzw. Diesel, das dem EU-Standard EN-590 entspricht und sich problemlos zu Benzin raffinieren lässt.

Aus 1 kg Plastik, sagt der Physiker, gewinne er 1 l Öl. Die Produktionskosten belaufen sich umgerechnet auf 27 ct/l. Bei einem vorsichtig geschätzten Verkaufspreis von 70 ct/l ergebe sich eine ansprechende Gewinnmarge, so Weser.

Seine Idee ließ sich Weser bereits 2006 patentieren. Damals gehörte sein Unternehmen Plastoil AG noch zum familiengeführten Schweizer Risi-Konzern. Doch unter dem Dach von Risi gelangte Plastoil nie zu Marktreife. Das änderte sich erst, als Weser 2011 den Franzosen Laurent Helfrich kennenlernte.

Helfrich, der zuvor im Auftrag der Schweizer Dinett-Gruppe die Immobilienfirma Riviera Bau innerhalb von zwei Jahren zu einem millionenschweren Unternehmen machte, erkannte die Möglichkeiten von Plastoil sofort und griff zu. Unter dem Dach der Innovation Solar Holding, die neuartige Energiekonzepte fördert, gründete er die Firma Diesoil Engineering und begann, das Verfahren in Richtung Marktreife zu drängen.

„An zwei Stellschrauben mussten wir drehen“, erklärt Helfrich. „Erstens mussten wir den Prozess verfeinern, um ihn im größeren Maßstab einsetzen zu können. Es ging um das vollautomatische Vorsortieren des Mülls und die effiziente räumliche Anordnung der Prozessstufen in der Anlage. Zweitens brauchten wir einen verlässlichen Partner, der garantiert, die Produktionsanlage, die bisher nur als Pilotanlage am Zürichsee läuft, weltweit in großer Zahl bauen zu können.“

Diesen Partner hat Diesoil im Herbst 2013 in dem niederländischen Anlagenbauer Petrogas gefunden, einem Tochterunternehmen des Baukonzerns Mourik. Die Firma mit Sitz in Gouda ist erfahren im Bau von Raffinerien und Anlagen zur Erdöl- und Erdgasverarbeitung.

Die erste kommerzielle Anlage entsteht derzeit im sächsischen Großenhain bei Dresden. Die Investitionskosten gibt Diesoil mit 24 Mio. € an. 15 000 t Plastik sollen pro Jahr verarbeitet werden. 2015 soll die Anlage in Betrieb gehen.

Helfrich plant bereits in größerem Maßstab. Der Bau zweier Anlagen in den Niederlanden und in Belgien sei beschlossen, berichtet er stolz, und Gespräche über Engagements in Polen, Marokko, Russland, Indien, Thailand, Australien und Neuseeland verlaufen positiv. Es sind die ersten Schritte einer Idee, die den Umgang mit Plastikmüll weltweit verändern könnte. Wer weiß, vielleicht wird man von Wesers Erfindung eines Tages tatsächlich als „revolutionär“ sprechen. FRANK ODENTHAL

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