Studien zur Hochwasserkatastrophe 12. Aug 2021 Von Stephan W. Eder Lesezeit: ca. 4 Minuten

Von der Flut zur Katastrophe

Nach Katastrophen wie den Hochwassern in Westdeutschland kommt die Aufarbeitung; es ist die Zeit der Fragen. Wie wird aus einer Flut, aus einem Hochwasser eine Katastrophe? Wie kann es weniger Opfer und Schäden geben? Was wurde falsch, was richtig gemacht? Lässt sich das besser vorhersagen? Aus der Wissenschaft kamen in den letzten Tagen spannende Antworten.


Foto: PantherMedia/janefromyork

Den Ursachen und Auswirkungen von Hochwasserkatastrophen an Flüssen ist eine internationale Forschungsgruppe um den Hydrologen Bruno Merz vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) nachgegangen. Wie wird also aus einer Flut, einem Hochwasser eine Katastrophe? Kurze Antwort: Es ist kompliziert. Fest steht, dass es einen gegenläufigen Trend von Sach- und Personenschäden gibt. Seit den 1990-er Jahren ist die Zahl der Todesopfer durch Flusshochwässer weltweit gesunken, die Schadenssummen sind stark angestiegen.

Asien ist weltweit am schlimmsten von Überflutungen betroffen: „Mehr als 90 % der von Hochwasserkatastrophen betroffenen Menschen leben in Asien“, sagt Merz, der den GFZ-Bereich Hydrologie leitet. „Dort gibt es riesige Flussauen großer Ströme und genau dort leben viele Menschen auf engem Raum zusammen.“ Im langjährigen Mittel würden jedes Jahr 125 Mio. Menschen von einer Hochwasserkatastrophe an einem Fluss getroffen. Am dramatischsten sind Ereignisse dort, wo Dämme oder Deiche brechen und bei Sturzfluten wie jüngst in Deutschland und Belgien.

Der Schritt vom Unwetter zum vernichtenden Hochwasser

Was die Ursachen betrifft, so gibt es ein Geflecht von Faktoren: sozio-ökonomische wie Armut, Bevölkerungswachstum, höhere Werte in hochwassergefährdeten Regionen und natürliche, allen voran der Klimawandel. Für den Schritt vom reinen Extremwetterereignis zur Flutkatastrophe müssen weitere Bedingungen erfüllt sein: ein fehlendes Bewusstsein für Gefahren zum Beispiel, nicht vorhandene oder versagende Schutz- und Warnsysteme. „Es muss daher in erster Linie um die Verminderung der Verletzlichkeit von Kommunen gehen“, so Merz. Weltweit gesehen habe es hier Fortschritte gegeben.

Genau an diesem Punkt setzt die Arbeit von Günter Blöschl und seinem Team an der TU Wien an. Aus der Vergangenheit lernen funktioniert auch im Fall der Hochwasserforschung. Daher betrachteten Blöschl und sein Team kleinere Hochwasserereignisse aus der Vergangenheit und auch katastrophale Überschwemmungen an Flüssen. Beiden lägen verschiedene Mechanismen zugrunde: „Verheerende Hochwasser entstehen oft durch ein Zusammentreffen ungünstiger Faktoren, wie etwa nasse Böden und Starkregen oder lokale Gewitter und regionaler Niederschlag.“ Führten nun zwei Flüsse zur gleichen Zeit Hochwasser, steigt auch die Zerstörungsgewalt der Wassermassen.

Schutz vor der Flut durch Gefahrenbewusstsein

Gezielte Maßnahmen des Hochwasser-Risikomanagements können zumindest die Folgen abmildern, auch wenn sie die Schäden nur bedingt vermeiden können. „Eine wirksame Risikominderung erfordert ein Verständnis der ursächlichen Prozesse sowie das Schaffen eines Gefahrenbewusstseins“, erklärt Blöschl. Bauliche Vorkehrungen hätten wesentlich zum Hochwasserschutz beigetragen. Um das Überraschungspotenzial von Hochwasser weiter zu verringern und Risiken besser einschätzen zu können, sei ein Austausch zwischen den Disziplinen der Naturwissenschaften, des Ingenieurwesens und der Sozialwissenschaften erforderlich.

Vom Hochwasser zur Katastrophe: Die Bundeswehr bereitet nach der Hochwasserkatastrophe im nordrhein-westfälischen Hagen die Bergung eines Containers aus der Volme vor. Foto: Bundeswehr/Christopher Preloznik

Vor diesem Hintergrund sagt Wolfgang Büchs, Biologe und Gastprofessor der Universität Hildesheim: „Ohne gravierende bauliche Eingriffe zum Schutz vor Hochwasser halte ich eine Wiederbesiedlung des Ahrtals für sehr schwer.“ Büchs hat sich seit den 1980er-Jahren mit dem Mittleren Ahrtal beschäftigt, jener Region, die von der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 in Rheinland-Pfalz mit am stärksten betroffen ist. „Wir brauchen ein intelligentes Hochwasser-Managementsystem. Das ist eine Aufgabe, hier ist Ingenieurkunst gefragt“, sagte er auf tagesschau.de.

Flutkatastrophe im Ahrtal hat lang zurückliegende Wurzeln

Besiedlung, Versieglung, Flurbereinigung und Flussbegradigungen hätten die extremen Folgen des regionalen Starkregens begünstigt, urteilt Büchs, der sich mit der landschaftlichen Historie des Ahrtals intensiv beschäftigt hat. Zugleich fehlten dort technische und bauliche Schutzmaßnahmen, die in anderen Regionen – wie im Harz – üblich seien. Das hat Gründe: „Den Bau von Regenwasser-Rückhaltebecken im Bereich der Nebenbäche hatte man im Ahrtal schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts geplant, hat sich dann aber entschlossen, stattdessen den Nürburgring zu bauen, um die regionale Wirtschaft zu stärken.“

Mit fatalen Folgen: Nun, 100 Jahre später, zeige sich, dass Renaturierung und Wiederbewaldung – eigentlich die ökologisch verträglicheren Formen des Hochwasserschutzes – in diesem speziellen Umfeld nicht ausgereicht hätten. Büchs hält daher einen Wiederaufbau und womöglich gar Ausbau der Besiedlung der Talsohlen im Ahrtal ohne gleichzeitige bauliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz für hochgradig riskant. „Wir müssen uns darauf einstellen, bestimmte Siedlungsstandorte in Deutschland aufzugeben“, sagt er auch mit Blick auf andere Regionen Deutschlands. Bauvorhaben in Tälern und Flussniederungen gelte es vor dem Hintergrund des Klimawandels künftig anders zu bewerten.

Lässt sich eine Flutkatastrophe nicht besser vorhersagen?

Doch wie genau hängen extreme Wetterereignisse mit der Klimaerwärmung zusammen? Für Forschende, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Wetter und Klima sowie deren Modellierung befassen, ist das eine Schlüsselfrage, daher hat die ETH Zürich mit Partnern die Forschungsinitiative Exclaim lanciert. Ihr Ziel: die räumliche Auflösung der Modelle deutlich zu erhöhen, damit deren Präzision zu steigern und so irgendwann das Wetter nahtlos im Klimamodell abbilden zu können. „Aufgrund ihrer hohen Auflösung werden die neuen globalen Modelle wichtige Prozesse wie Stürme und Wettersysteme viel detaillierter abbilden, als das bisher der Fall war. Auf diese Weise können wir viel genauer untersuchen, wie sich Klimaveränderungen und Wetterereignisse gegenseitig beeinflussen“, sagt Nicolas Gruber, Leiter von Exclaim und Professor für Umweltphysik an der ETH.

Nach ETH-Angaben sei ein „Maßstabssprung“ angestrebt: Globale Klimamodelle rechneten mit einer Maschenweite der einzelnen Punkte von 50 km bis 100 km, mit Exclaim peilen die Forschenden eine Auflösung von nur 1 km an. Das kann man bereits heute, aber nur regional sehr begrenzt. Limitierend ist hier die Rechnerleistung der Hochleistungsrechner, und so lassen sich nur kleinere Areale rechnen. Daher braucht es für die neuen Modelle eine maßgeschneiderte Computerinfrastruktur. Folglich entwickelt die Exclaim-Arbeitsgruppe die Modelle Hand in Hand mit der Hardware und Software der Rechner. „Rechen- und Dateninfrastruktur wird ganz nach den Anforderungen der Wetter- und Klimamodelle eingerichtet“, sagt Thomas Schulthess, Direktor des Swiss National Supercomputing Centre in Lugano. Das neue Supercomputing-System namens Alps ist zum Beispiel so gebaut, dass die hochauflösenden Klimamodelle auch konvektive Systeme wie Gewitter gut abbilden können.

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