Wertstoffbranche sucht Alternativen zum dualen System
Der deutsche Entsorgungsmarkt befindet sich im Umbruch. Die Kommunen konkurrieren zunehmend mit den privaten Entsorgern – und wollen ihnen das Geschäft mit dem „Grünen Punkt“ wegnehmen. Die Recycler sortieren sich neu und konzentrieren sich auf Nischen.
Im Ausland genießt das deutsche duale Abfallverwertungssystem mit dem „Grünen Punkt“ einen guten Ruf. So führte vor wenigen Wochen Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Politiker und Wirtschaftsvertreter aus Israel durch die Müllsortieranlage von Alba in Berlin-Mahlsdorf, wo 140 000 t Müll pro Jahr mit Hilfe von Infrarotlicht sortiert werden. Die Maschinen erreichen eine Sortiergenauigkeit von 90 %.
Beeindruckt schauten sich die Israelis die Anlage an. In Israel hat die Mülltrennung mit zwei Abfalltonnen gerade erst angefangen. Dass das Duale System Deutschland (DSD) vor seinem Ende steht, bekam die Delegation nicht mit.
„Das duale System ist gescheitert“, erklärte Patrick Hasenkamp, Vizepräsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), gegenüber den VDI nachrichten. Das System habe ein Akzeptanzproblem. Die schwer verständlichen Trennvorgaben führten dazu, dass etwa 40 % der Abfälle, die in den gelben Sack gehören, in der grauen Tonne landen, moniert der VKU. Zudem sei die Menge an Kunststoffverpackungen nicht wie geplant zurückgegangen, sondern um 25 % gestiegen. Und: Nur ein Fünftel der gesammelten Kunststoffe würden tatsächlich recycelt.
Der VKU fordert deshalb die Bundesregierung auf, das geplante Wertstoffgesetz zu nutzen, um die Verpackungsentsorgung neu zu regeln. Die Zuständigkeit für das Sammeln der Verpackungen und Wertstoffe sollte den Kommunen übertragen werden. Dafür spräche sich laut Forsa-Umfrage mit 59 % die Mehrheit der Bevölkerung aus.
Bereits auf der weltgrößten Umweltmesse Ifat im Mai zeigten sich die privaten Entsorger sehr besorgt. „Es herrscht eine gewisse Verunsicherung“, sagte Johannes Kirchhoff, Geschäftsführer der Kirchhoff-Gruppe. Vor allem mittelständische Kunden wären stark betroffen vom Aus des DSD.
Ein Teil der privaten Entsorgungsbranche räumt Mängel ein. „Das duale System droht an seinen eigenen Schlupflöchern zu scheitern“, meint Remondis-Chef Ludger Rethmann. Supermärkte, Imbissketten, Kantinen und Tankstellen bieten den Kunden an, leere Verpackungen in Sammelboxen zu werfen. Tatsächlich bringen kaum Kunden die Verpackungen zurück, sondern werfen sie zu Hause in den Gelben Sack.
Über solche Branchenlösungen und Eigenrücknahmen zahlen die Unternehmen ein Drittel weniger Gebühren als vor zwei Jahren, obwohl die Abfallmenge gleich geblieben ist. Dem DSD gehen dadurch jährlich 150 Mio. € durch die Lappen. Die Bundesregierung hat reagiert und eine Überarbeitung der Verpackungsverordnung beschlossen. Diese soll die Schlupflöcher stopfen.
Der Streit zwischen Kommunen und Privaten um das DSD sollte nicht den Blick auf das Potenzial des Abfalls als Rohstoffquelle verstellen, betont Marktführer Remondis. Laut einer Studie des Infa-Instituts in Ahlen/Westf. könnten jährlich bis zu 7,8 Mio. t Wertstoffe oder 95 kg/Einwohner zusätzlich an Siedlungsabfällen gehoben werden.
So sieht das Remondis-Management großes Potenzial im Elektronikschrott-Recycling und in der Bioabfallverwertung. In Coesfeld hat der Entsorger gerade erst eine Biogasanlage errichtet, die Biogas aus Bioabfällen in Erdgas-Qualität herstellt.
Veolia, die Nr. 2 im deutschen Entsorgungsmarkt, sieht bei Ersatzbrennstoffen neue Absatzmöglichkeiten für Abfall. Besonders aus der Zementindustrie gebe es hier große Nachfrage. In der Lausitz etwa betreibt Veolia die Schwarze Pumpe, die aus Abfallreststoffen Ersatzbrennstoffe macht.
Nur mit solchen Nischengeschäften können die Firmen derzeit auf dem stagnierenden oder teils gar schrumpfenden Entsorgungsmarkt wachsen. „Wir erleben einen brutalen Preiskampf beim Hausmüll-Verpackungsrecycling“, klagte Remondis jüngst auf der Ifat.
Nach Ansicht von Christophe Cros, Chef des europäischen Abfallgeschäfts von Suez Environnement, gibt es „Überkapazitäten im deutschen Müllmarkt“. Schlimmer sei es derzeit nur in den Niederlanden. Die Betreiber der nicht ausgelasteten Müllverbrennungsanlagen versuchten mit allen Mitteln Abfälle heranzuschaffen und drückten die Preise.
Der Preiskampf führt zu einem Verdrängungswettbewerb, bei dem einige Firmen auf der Strecke bleiben könnten. Etienne Petit, Chef von Veolia Deutschland, prophezeit einen Ausleseprozess im deutschen Entsorgungsmarkt.
Laut Brancheninsidern könnten selbst große Anbieter vom Markt verschwinden. Die deutsche Suez-Tochter Sita, der zweitgrößte französische Entsorger hinter Veolia, jedenfalls „wird sich nicht aus dem deutschen Markt zurückziehen“, versichert Cros. Deutschland sei der wichtigste Markt in Europa. Die Konsolidierung werde eher die dualen Systeme treffen, glaubt er.
Die große Hoffnung der Entsorger richtet sich auf Brüssel. EU-Umweltkommissar Janez Potocnik will die Kreislaufwirtschaft vorantreiben und bis 2020 die Recyclingquote von Papier, Metall, Kunststoff und Glas in Europa auf 50 % steigern. In vielen EU-Ländern landen noch über ein Drittel der Abfälle auf Deponien, in Rumänien, Malta, Griechenland und Kroatien gar über 80 %.