Wie die Bohne aus der Schale kommt
Schokoladenspezialisten von Ritter bauen in Nicaragua die größte Kakaoplantage der Welt auf. Die Schwaben investieren in die Mechanisierung – und sind damit Branchenpioniere.
Was für ein Lärm in der Halle. Dabei sind die Maschinen noch gar nicht in Betrieb. Bunt durcheinander gewürfelt liegen die Kakaofrüchte auf einer großen, grauen Plastikplane auf dem Boden. Daneben stehen geduldig die Arbeiter und warten. Um sich zu verständigen, müssen sie fast brüllen. So laut ist der Regen.
Der Schokoladenproduzent Alfred Ritter GmbH & Co. KG kauft seit Jahren einen Teil seines Kakaos direkt in Nicaragua ein – bei 3500 Kakaobauern in 20 Kooperativen. Dafür zahlt die Firma über Weltmarktpreis und unterstützt die Kooperativen finanziell.
Für das laufende Jahr wird mit 1100 t Kakao aus dem Direktbezug gerechnet – das sind etwa 10 % des Kakaobedarfs von Ritter. Künftig soll der Anteil weiter steigen, etwa durch die Anpflanzung neuer Sorten.
Während viele Kleinbauern laut Ritter nur einen Ertrag von 400 kg/ha erzielen, strebt die Firma mit ihrer Plantage das Fünffache an.
Mittelfristig soll sämtlicher Kakao aus Eigenanbau und Direktbezug stammen. Damit wird die Herkunft jeder Frucht nachvollziehbar. Als ersten Schritt hat Ritter Ende 2017 angekündigt, ab sofort nur noch zertifizierten Kakao einzusetzen, also solche Ware, die nach anerkannten Nachhaltigkeitstandards wie UTZ, Fairtrade oder Bio geprüft wurde.
Wie aus dem Lehrbuch geht ein tropischer Guss nieder und trommelt im Stakkato auf das Kunststoffdach, das milchiges Licht in die Halle einlässt. Der Atlantik ist Luftlinie keine 30 km entfernt. Regelmäßig trägt der Wind von dort schwarze, schwere Wolken herbei, die sich am Himmel wie Gewölbe auftürmen, bis sie ihre Wassermassen über dem grünen Land niedergehen lassen. So auch über dem Gelände des schwäbischen Schokoladenproduzenten Alfred Ritter, der im Osten Nicaraguas die wohl größte Kakaoplantage der Welt aufbaut. Aufs Jahr gerechnet fallen in dieser Region mehr als 3000 l/m² – und damit mehr als viermal so viel wie im Schnitt in Deutschland.
Kaum hält der Regen inne, der für heftige Schwüle in der Halle sorgt, gibt Hauke Will das Kommando. Er ist im Unternehmen weltweit für das Thema Landwirtschaft verantwortlich. Heute wird Besuchern aus Deutschland der Prototyp eines Fruchtöffners präsentiert. Ein Hebel wird umgelegt, und die Maschine beginnt zu laufen.
In Eimern sammeln die Arbeiter Früchte von der Plane auf und bringen sie ihrem Kollegen, der oben auf einem Podest an der Maschine steht und sie auf den rotierenden Rundsammeltisch mit 2,5 m Durchmesser wirft. Ein schwarzes Band, das über weiße Kunststoffrollen läuft, transportiert die 30 cm bis 40 cm langen, ovalen Früchte zunächst zu einem rotierenden Messer, das die feste, lederartige Schale einritzt, während die Früchte zugleich durch die Rollen in die Breite gedrückt werden. Dann wackeln sie zu einem zweiten Messer, das dafür sorgt, dass die Schale in zwei gleich große Hälften aufplatzt.
Unter der Schale sitzen – von einer weißen Pulpe überzogen – die Kakaobohnen. Pro Frucht sind es etwa 50 Stück. Schalen und Inneres landen schließlich in einem Trommelsieb. Während Bohnen und Pulpe durch das Sieb erst auf eine Schiene und von dort in eine Vorratskammer auf der rückwärtigen Seite der Maschine fallen, werden die Schalen durch die fortwährende Rotation des Trommelsiebs zum Ausgang befördert, wo Arbeiter sie an einem Sammeltisch sortieren.
Noch wirkt alles recht provisorisch. Zum Beispiel die Tätigkeit des Nicaraguaners, der vor dem Trommelsieb steht und die herabfallenden Bohnen mit einer Art Besen in die Vorratskammer bugsiert. Oder die Arbeit des Kollegen am rotierenden Rundsammeltisch, der mit einem kräftigen, 1,5 m langem Holzpfahl nachhilft, wenn der Transport der Früchte stockt. Oder die der Männer, die die Führung beim Schneidevorgang manuell stabilisieren.
Doch das ist alles so gewollt. Dem Schokoladenproduzenten – bekannt für seine quadratischen Tafeln – geht es hier um die Demonstration des Prinzips, nicht um technologische Perfektion. „Wir haben diesen Prozess in den letzten drei Jahren selber entwickelt“, erklärt Ritter-Manager Hauke Will – und dabei zum Teil auch wie ein kreativer Heimwerker gehandelt und auf Material zurückgegriffen, das quasi herumlag. So haben die Ritter-Tüftler Teile eines ausrangierten, aber noch funktionstüchtigen Betonmischers verbaut. Seine Rotationsbewegung treibt das Trommelsieb an. Die Aufschrift des Herstellers ist noch zu lesen.
Aus dem Provisorium sollen Maschinenbauingenieure für den Mittelständler zügig eine industriell einsetzbare Maschine ableiten, die künftig 20 000 Früchte pro Stunde knackt, und zwar vollautomatisch, sagt Will. Dass der Schokoladenhersteller überhaupt den Weg der Prototypenentwicklung gegangen ist, hat einen handfesten Grund. „Bisher gibt es am Markt so etwas nicht zu kaufen“, sagt der 43-jährige Lebensmittelingenieur.
Die Gewinnung von Kakao ist Handarbeit – weltweit. Mehr als 90 % des Genussmittels wird von Kleinbauern vor allem aus Afrika geerntet. Süßwarenriesen wie Nestle, Mondelez oder Lindt unterhalten keine eigenen Plantagen, sondern kaufen den Rohstoff über Händler und Verarbeiter wie Barry Callebaut oder Cargill ein. Der Kakao für die Schokoladen im Supermarkt oder in der Edelconfiserie ist in den meisten Fällen von den Bauern mit Macheten geknackt worden.
Ritter will nicht nur das ändern. Auch der anschließende Fermentationsprozess – bis dato ebenfalls vor allem Handarbeit – soll mechanisiert werden. „Während der Fermentation entfaltet der Kakao seine wesentlichen Geschmacksmerkmale. Er ist deshalb ein entscheidender Prozess bei der Herstellung von Schokolade“, erklärt Will und führt zu einem Stahltank, der in der anderen Hälfte der Halle aufgebaut ist.
Zwischen Tank und dem immer noch röhrenden Fruchtöffner stehen Frauen an Arbeitstischen und sortieren die weißen Bohnen. Will reicht eine zur Geschmacksprobe. Zunge und Gaumen bearbeiten die Kakaobohne wie ein Bonbon. Dabei löst sich das Fruchtfleisch. Es schmeckt nach tropischen Früchten.
Bei der Fermentation zieht ein Teil dieses Geschmacks in die Bohnen. Der Rest der Pulpe tropft während des Prozesses ab. Zugleich dunkelt der Kakao immer mehr ab – so wie in der Wanne nebenan, in der zigtausend braune Bohnen liegen. Will drückt auf einen Knopf und ein Rührwerk setzt sich in Bewegung.
Langsam fahren zwei Rührschnecken aus Edelstahl den Behälter ab und durchmischen den Kakao. Etwa 1 t fasst die Wanne, die aus V4A-Stahl besteht. „Künftig werden hier in der Halle 17 bis 18 große Fermenter mit einem Fassungsvermögen von 25 t stehen“, kündigt der Manager an. Fünf bis sechs Tage brauchen Mikroorganismen während der Fermentation, um Alkohol und Essigsäure abzubauen. Dabei ist eine tägliche Durchmischung notwendig – auch um die Temperatur zu senken, die idealerweise um die 35 °C liegt.
Ist der Reifeprozess abgeschlossen, müssen die Bohnen weitere fünf bis sechs Tage trocknen. Das ist der Grund, warum Ritter die Halle als Treibhaus konzipiert hat. Die Dachkonstruktion besteht aus galvanisierten Aluminiumträgern, die die Kunststoffelemente halten, durch die Licht einfällt und die die Wärme einfangen. Bei starker Sonneneinstrahlung kann ein schwarzer Gazevorhang eingezogen werden, um vor Überhitzung zu schützen. „Bei geschlossenem Tor kann die Temperatur hier auf 70 °C ansteigen“, weiß Will.
Weil das Treibhausklima aber nicht ausreicht, um große Mengen zügig zu trocknen, steht draußen vor der Halle ein Holzhackschnitzelofen, der künftig heiße Luft einblasen soll. Der Energierohstoff stammt aus eigener Aufzucht. Auf 7 ha der Plantage pflanzt Ritter Energiebäume dafür an.
„Damit wir am Ende eine Schokolade mit konstantem Geschmacksniveau produzieren können, braucht es nicht nur standardisierte Nachernteprozesse“, sagt Volker Schuckert, der neben Will getreten ist. Der 57-Jährige ist Ritters Plantagenchef in Nicaragua und erst seit kurzem im Unternehmen. Er bringt jahrzehntelange Erfahrung aus dem Anbau von Genussmitteln mit, hat in Afrika Kaffeeplantagen und in Asien Teepflanzungen geführt.
Wachstum und Pflege des Kakaos im Feld – die sogenannte Primärproduktion – seien nicht minder wichtig als eine gute Weiterverarbeitung. „Die Möglichkeiten der Primärproduktion werden meistens unterschätzt“, sagt Schuckert mit seinem bodenständigen, badischen Zungenschlag. Dazu gehörten neben der Auswahl veredelter Sorten – auf der Plantage sind es insgesamt zwölf – eine Vielzahl von Maßnahmen wie die Bodenvorbereitung und -pflege, der richtige Baumschnitt sowie eine möglichst natürliche Nährstoffversorgung und Schädlingsbekämpfung.
Der Regen hat mittlerweile aufgehört, und die Sonne bricht durch die Wolken. Schuckert bittet zu einer Rundfahrt über die Plantage. Der Pick-up rumpelt über Feldwege. Es geht vorbei an Feldern mit Kakaopflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien und unberührten Waldstücken.
Der gesamte von Ritter erworbene Grund und Boden umfasst mehr als 2000 ha – rund 40 % davon sind dichter Wald und sollen es bleiben. Die restlichen 1200 ha waren zum Zeitpunkt des Erwerbs Viehweiden, auf denen nur noch wenige Bäume standen. Die werden sukzessive bis zum Ende des Jahrzehnts mit 1,2 Mio. Kakaopflanzen und 200 000 weiteren Bäumen bepflanzt, die Schatten spenden und die Biodiversität erhöhen sollen. Auf 900 ha ist das schon passiert.
Agroforstsystem heißt diese Mischung im Fachjargon. „Ich bin mir sicher, dass sich in einer solchen Umgebung der Kakao am wohlsten fühlt“, sagt Schuckert, bringt das Fahrzeug vor einer der ältesten Flächen zum Stehen und steigt aus. Schwül-warme Luft empfängt ihn. Unter den Sohlen knirscht das Laub der Bäume. Einige einheimische Gewächse mit großen Kronen überragen die etwa 2 m hohen in Reihen gepflanzten Kakaobäume, an denen große und kleine rote Früchte sowie unzählige rot-weiße Blüten sprießen. Vögel zwitschern und von Ferne aus den Wäldern sind die bellenden Rufe der Brüllaffen zu hören. Weniger idyllisch: die Stechmücken, gegen die nur der Griff zum Insektenspray hilft.
Die Pflanzen seien produktiv, sagt Schuckert. Bei der ersten Ernte im letzten Jahr hat Ritter 10 % mehr einfahren können als erwartet. Weil die Pflanzen ein paar Jahre brauchen, bis sie Früchte austreiben, wird die volle Produktivität 2023 erreicht sein. Dann soll die Plantage, die den schlichten Namen „El Cacao“ trägt, jährlich 2500 t Trockenkakao liefern. Das wären 20 % bis 30 % der jährlich von Ritter benötigten Kakaomasse. „Es gibt noch viel zu tun, bis es so weit ist“, sagt der Plantagenchef und lacht. Man sieht ihm an, dass er sich darauf freut.