Untersuchungen laufen 27. Aug 2024 Von Wolfgang Heumer Lesezeit: ca. 5 Minuten

Untergang der Megayacht „Bayesian“: Versagte die Technik?

Die "Bayesian" galt als eine der sichersten Yachten der Welt, doch es gibt Hinweise, dass technische Faktoren zum Unglück beigetragen haben könnten.

Der mysteriöse Untergang der Megayacht "Bayesian" des britischen Tech-Milliardärs Mike Lynch vor Sizilien wirft zahlreiche Fragen auf.
Foto: IMAGO/Pacific Press Agency/Antonio Melita

Der Untergang der 56 m langen Megayacht Bayesian des britischen Tech-Unternehmers Mike Lynch bleibt auch Fachleuten weiter ein Rätsel.

Die Aufnahmen sind schemenhaft, lassen aber die Kraft des Unwetters erahnen, das am frühen Morgen des 19. August vor der sizilianischen Küste tobte. Das Video einer Überwachungskamera in Porticello nahe Palermo zeigt, wie sich etwa 900 m entfernt der hell beleuchtete, knapp 75 m hohe Mast eines Schiffes stark schwankend langsam zur Steuerbordseite neigt und dann in der Dunkelheit verschwindet. Es ist der Moment, in dem die Luxusyacht „Bayesian“ des britischen Tech-Milliardärs Mike Lynch versinkt und seinen Eigner, dessen Tochter sowie fünf weitere Menschen in den Tod reißt.

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Technische Spezifikationen und mögliche Schwachstellen

War ein Tornado inmitten des Gewittersturms der Auslöser? Hatte der Kapitän sein Schiff falsch auf die absehbare Unwetterfront vorbereitet? Oder wurde die drohende Gefahr unterschätzt? Gab es technische Ursachen für die Katastrophe? Seit dem Unglück sind solche Fragen Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Nur eines scheint festzustehen: „Es muss binnen kurzer Zeit sehr viel Wasser in das Schiff eingedrungen sein und zu der Instabilität geführt haben“, ist Prof. Stefan Krüger, Leiter des Institutes für Entwerfen von Schiffen und Schiffssicherheit an der Technischen Universität Hamburg, überzeugt.

Das Schiff selbst kann für Giovanni Costantino nicht die Ursache der Katastrophe gewesen sein. „Die ,Perini Bayesian‘ ist eine der sichersten Yachten der Welt“, wetterte der Chef des auf Luxusyachten spezialisierten Schiffbaukonzerns „The Italian Sea Group“ gegenüber Medien und in den Social-Media-Accounts seiner Firma. Allerdings gab Costantino auch einen indirekten Hinweis auf eine mögliche Ursache dafür, dass das etwa 700 t schwere Schiff innerhalb von 16 min nach dem Beginn eines schweren Gewitters kenterte und sank. Es gebe Türen auf der Yacht, durch die im unverschlossenen Zustand schon bei einer Krängung von etwa 30° große Mengen Wasser ins Schiff eindringen könnten. Möglicherweise meinte der Werftchef die Schiebetür zwischen dem großen Salon und dem Achterdeck.

War menschliches Versagen der Auslöser?

Costantino ist überzeugt, dass die Besatzung vor und während des Unwetters schwere Fehler gemacht habe. Spekulationen zufolge hatte es an Bord am Vorabend der Katastrophe eine Party gegeben. Die Crew soll das Schiff nicht rechtzeitig sturmsicher gemacht haben. „Verschlusszustand herstellen“ heißt das in der Seefahrt, wenn alle Fenster, Türen und Luken geschlossen und gegebenenfalls mit Schlagblechen gegen überkommende Wellen gesichert werden. Die Luxusyacht verfügte über ein offenes Sonnendeck mit der als „Flybridge“ gestalteten offenen Schiffsbrücke. Darunter befand sich das große Salondeck, das nicht nur durch Wände oder Schotten aufgeteilt war. Im Rumpf waren die Eignerkabine sowie „State Rooms“ für bis zu zwölf Gäste sowie im Vorschiff die Kabinen für die zehn Besatzungsmitglieder untergebracht.

Der Einfluss des hohen Mastes und des Hubkiels

Rund um die Social-Media-Posts des Werftchefs drehen sich zahlreiche Spekulationen darum, welche Auswirkungen der extrem hohe Mast der Bayesian sowie der Hubkiel der Yacht auf den Verlauf des Unglücks gehabt haben. Das Luxusschiff war mit einem 73 m hohen Mast ausgerüstet. Das Rigg konnte insgesamt 3000 m² Segelfläche tragen. Allein die Windangriffsfläche des weltweit höchsten Mastes aus Aluminium soll etwa einer Segelfläche von 70 m² entsprochen haben. Zum Vergleich: Der 115 m lange „Hamborger Veermaster“, der in der Hansestadt als Museum liegende Frachtsegler „Peking“, trug 4100 qm Segel, der höchste seiner vier Masten ragte 51 m über die Wasserlinie.

Um die auf den Mast und die Gesamtsegelfläche wirkenden Kräfte auszugleichen, verfügte die „Bayesian“ über einen 4 m tiefgehenden Festkiel, aus dem sich noch einmal ein 5,5 m langer Hubkiel ausfahren ließ. Das Gesamtgewicht dieser Konstruktion wird mit etwa 50 t angegeben. In einem Interview mit der FAZ bezifferte Costantino den maximalen Krängungswinkel der „Bayesian“ bei eingeholtem Kiel auf 73°. Nur bei völlig ausgefahrenem Hubkiel konnte sich das Schiff wieder aus einer Seitenlage von 87°aufrichten. Dies ist der Standard bei herkömmlichen modernen Segelyachten. Bei ihnen reicht das aufrichtende Moment in der Regel selbst dann für die Wiederherstellung einer stabilen Lage aus, wenn die Mastspitze fast die Wasseroberfläche berührt.

Wurde das Motormanöver zum Verhängnis?

Der neuseeländische Kapitän hat den Ermittlungsbehörden zufolge angegeben, von der schweren Gewitterfront überrascht worden zu sein. Ganz in seiner Nachbarschaft ankerte zu dem Zeitpunkt der unter niederländischer Flagge fahrende Zweimaster „Sir Robert Baden Powell“. Dessen deutscher Kapitän Karsten Börner hatte den 42 m langen „Baltimore Klipper“ lehrbuchmäßig auf den Sturm vorbereitet. Als die ersten Anzeichen des Unwetters sichtbar wurden, startete er die 220 kW starke Hauptmaschine vom Typ Mitsubishi 6DE an und hielt die „Sir Robert“ manövrierfähig. 15 Menschen an Bord der „Bayesian“ hat dies wohl das Leben gerettet. Als Börner das Verschwinden der Yacht hinter sich bemerkte und die Crew Hilferufe vom Wasser hörte, ließ er das Beiboot aussetzen und brachte die im Wasser Treibenden in Sicherheit.

Durch das Motormanöver konnte Börner den Bug seines Schiffes im Wind halten und jene starke Krängung verhindern, die der „Bayesian“ möglicherweise zum Verhängnis wurde. Kurz vor dem Kentern soll das Luxusschiff durch den Wind in eine Krängung von mehr als 30° nach Steuerbord gedrückt worden sein. Der Anker des Schiffes hat sich nachweislich losgerissen. Aus Aufzeichnungen des automatischen Identifikationssignals AIS ist zu erkennen, dass die Yacht einige 100 m driftete und sich augenscheinlich mit der Backbord-Seite zum Wind gedreht haben muss.

Eine zweite, plausible Erklärung für den plötzlichen Wassereinbruch ist, dass sich die Kette beim Driften des Bootes um den Propeller gewickelt und abgerissen hat oder den Rumpf sehr stark beschädigt hat. Das würde erklären, warum die Opfer nicht mehr schnell genug aus ihren Kabinen kamen.

Extremes Wetterphänomen

Ob sich in der Gewitterfront wie von vielen spekuliert ein Tornado gebildet hatte, wird sich vermutlich nie klären lassen. „Anders als an Land hinterlassen solche Phänomene auf dem Wasser keine interpretierbaren Spuren“, sagt der Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst, Dr. Peter Bissolli. In dem sehr schweren Gewitter zum Zeitpunkt des Unglücks gab es vor Portocelli Windgeschwindigkeiten von 60 km/h bis 70 km/h. Angesichts eines starken Temperaturgefälles zwischen der kalten Höhenluft und dem zu der Zeit 28 °C warmen Meerwasser sei auch eine starke kalte Fallböe nicht auszuschließen, erläutert der DWD-Meteorologe.

Eine solche Böe kann weit mehr als 100 km/h schnell sein. Wetterphänomene dieser Art treten im Mittelmeer gehäuft auf. Etwa eine Woche vor dem Untergang der „Bayesian“ hatte eine solche plötzliche Gewitterfront vor Ibiza und Formentera Dutzende von ankernden Yachten losgerissen und an Land geschleudert. Der Schwerpunkt des Unwetters lag zwischen Mallorca und Menorca, auch dort ist das Meerwasser mit etwa 30 °C deutlich wärmer als normalerweise.

Untersuchung des Unglücks: Wie kam es zum Kentern?

„Irgendwo müssen Bullaugen oder Luken geöffnet gewesen sein“, ist für den Hamburger Fachmann Krüger die naheliegende Erklärung für das Kentern des Schiffes. Die „Bayesian“ liegt in knapp 50 m Tiefe auf ihrer Steuerbordseite auf dem Meeresboden. „Auf dieser Seite muss das Wasser eingeströmt sein“, so Krüger.  Die Salon-Scheiben waren zumindest auf der Backbord-Seite augenscheinlich intakt und geschlossen – zumindest berichteten die Rettungstaucher, dass sie das 3 cm starke Glas nicht öffnen konnten. Möglicherweise waren auch in den „State Rooms“ des Eigners und seiner bis zu zwölf Gäste einige Bullaugen geöffnet, die sich nur knapp über der Wasserlinie des Schiffes befinden.

Wie der Zustand der „Bayesian“ zum Zeitpunkt des Untergangs war, wird nun Gegenstand der Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft von Termini Imerese. Weil das Schiff in London registriert und sein Eigner zudem Brite war, hat sich mittlerweile auch die britischen Unfalluntersuchungs-Behörde Marine Accident Investigation Branch in den Fall eingeschaltet.

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