Chemie: Edelstahlbearbeitung durch Beizen mit Eisen
Störender Zunder auf Edelstahl lässt sich ohne aggressive Salpetersäure entfernen. Dabei sinkt auch der Materialabtrag deutlich. Henkel gelingt dies durch eine ausgefeilte Beizchemie.
Wird Stahl bei hohen Temperaturen geglüht, gewalzt oder geschweißt, bildet sich eine Zunderschicht. Sie besteht aus Eisenoxid und Oxiden der anderen Metalle in der Stahllegierung. Der Zunder haftet fest am Stahl und lässt sich mechanisch nicht vollständig entfernen. Er muss chemisch abgelöst werden.
Bei Edelstahl wird hierzu traditionell eine Beizlösung mit Salpetersäure (HNO3) und Flusssäure (HF) genutzt. Diese Mischsäure enthält 100 g bis 150 g HNO3 und 30 g bis 35 g HF pro Liter. Gebeizt wird je nach Produktmix und Prozess zwischen 30 °C und 60 °C. Beide Säuren sind aggressiv und lösen auch den Stahl selbst auf.
Mit speziellem Beizen Materialverlust deutlich senken
„Je nach Stahlgüte können erhebliche Verluste entstehen“, betont Hans-Oscar Stephan. Der Chemiker leitet bei Henkel den Technischen Kundendienst für die Stahlsparte in Europa. Die Verluste betragen zwischen 20 g und 150 g Stahllegierung/m², in Spitzen aber auch bis zu 400 g/m². Mit speziellen Beizen lässt sich der Materialverlust aber deutlich senken.
Etwas Beiztheorie: Beim Glühen rostfreier Stähle unter sauerstoffhaltiger Atmosphäre entsteht eine dünne Schicht auf der Oberfläche. Diese enthält weniger Chrom als die Legierung. Denn Chrom wird bei hohen Temperaturen schneller als andere Metallbestandteile durch Sauerstoff oxidiert. Dabei diffundieren Chromatome relativ schnell aus der Grenzschicht in den Zunder. Die Folge: Die chromarme Grenzschicht besitzt elektrochemisch ein niedrigeres Redoxpotenzial gegenüber dem Stahl. Sie ist in wässrigen Lösungen leichter oxidierbar. Genau dies werde in Beizbädern ausgenutzt, so Stephan.
Dreiwertiges Eisen als Oxidationsmittel
In der Mischsäure fungiert Salpetersäure als starkes Oxidationsmittel. Sie oxidiert Legierungsbestandteile wie Eisen, Nickel und auch – nur langsamer – Chrom. Es entstehen Metallionen. Die Fluoridionen der Flusssäure sorgen dafür, dass die Metallionen Komplexe bilden und in Lösung gehalten werden. Da nun die Grenzschicht weniger Chrom als die Legierung enthält, wird diese durch die Mischsäure auch eher aufgelöst.
Doch es gibt eine Alternative. Stephan verweist auf die Bonderite C-CP LF2-Beize. Sie sei salpetersäurefrei. Es bildeten sich keine nitrosen Gase. Das Abwasser müsse nicht von Nitraten befreit werden. Beizbäder fielen nicht mehr unter die Seveso-Richtlinie, da die Beize chemisch gebundene Fluoride enthalte, die den Gehalt an freier Flusssäure auf 10 g/l bis 15 g/l begrenzen, und keine Flusssäure gelagert werden müsse. „Verglichen mit konventionellen Beizformulierungen bietet das Produkt die mit Abstand niedrigste Konzentration an freiem Fluorid .“
Schwefelsäure erhöht die Prozesssicherheit
Als Oxidationsmittel setzt Henkel auf dreiwertiges Eisen (Fe3+). Reagiert es mit Metallen der Grenzschicht, werden sie zu Metallionen oxidiert. Das Fe3+ wird dabei zu zweiwertigem Eisen (Fe2+) reduziert. Das Fe2+ wiederum wird durch Zugabe von Peroxiden regeneriert.
Die Oxidationskraft der Beize lasse sich über die Dosierung der Peroxide so einstellen, dass vor allem die Grenzschicht aufgelöst wird, ergänzt Stephan. Die Erfahrung zeige, dass „der Materialverlust um etwa den Faktor zwei bis fünf sinkt“. Die Zugabe an Peroxiden könne so gewählt werden, dass sich schwach legierte rostfreie Stähle sowie reine Kohlenstoffstähle ohne Chrom und Nickel beizen lassen.
Dass jetzt Schwefelsäure die Basis der Beizlösung ist, habe den Vorteil, dass sie mehr Eisenionen als Salpetersäure aufnehmen könne, so Stephan. Infolgedessen bilden sich im Beizbad erst bei etwa 80 g Eisen/l Niederschläge. Dies erhöht die Prozesssicherheit.
Das klassische Beizen hat Nachteile
- Oxidiert Salpetersäure Metalle, wird die Säure selbst reduziert. Es bilden sich giftige Gase. Die Abluft muss deshalb entstickt werden.
- Die Standzeit einer Beize endet bei einem Eisengehalt von 40 g/l. Die Beizlösung muss dann regeneriert oder teilweise ausgetauscht werden. Geschieht dies nicht, sinkt die Beizleistung rapide und das Bad verkrustet oder verschlammt.
- Ist die Beize verbraucht, werden Metallionen in Abwasseranlagen ausgefällt und entsorgt. Das Abwasser enthält auch große Mengen an Nitrat (NO3-) aus der Salpetersäure. Diese müssen aufwendig entfernt werden.
- Die meisten Beizbäder enthalten mehr als 2,5 % Flusssäure und fallen deshalb unter die Seveso-Richtlinie. Sie einzuhalten, ist mit bürokratischem Aufwand verbunden. Unter die Richtlinie fallen Beizen auch, wenn mehr als 5 t HF gelagert oder mehr als 50 t Beizlösung vorgehalten werden. Auch dies trifft für viele klassische Beizen zu.
- Aufgrund der starken Salpetersäure lassen sich schwach legierte rostfreie Stähle mit wenig Chrom und Nickel so nicht sicher beizen.
Die salpetersäurefreie und fluoridarme Beize wird von immer mehr Edelstahlherstellern etwa in Italien, Südkorea und China eingesetzt. Sie beizen damit Draht, Rohre oder Stangen – Edelstahlteile, die längere Zeit im Beizbad verweilen.