Thyssenkrupp: Letzter Ausweg Verstaatlichung
Der größte deutsche Stahlkonzern, Thyssenkrupp, ist hüfttief im Chaos versunken. In der Politik mehren sich nun die Stimmen, der Staat möge das Duisburger Hüttenwerk retten. Das wäre konsequent – aber auch unendlich kompliziert.
Einmal sind sich Regierungs- und Oppositionsparteien einig: Die Thyssenkrupp-Stahlsparte könnte verstaatlicht werden. Die Chefin der NRW-SPD, Sarah Philipp, bezeichnet einen Staatseinstieg wie bei der Meyer Werft als „Brückenlösung“. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak hält es für „unverantwortlich, diese Frage als Tabu auszuklammern“. Und der Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU, Dennis Radtke, regte eine Debatte über eine „Deutsche Stahl AG unter Beteiligung des Bundes“ an.
Die Lage in der Thyssenkrupp-Stahlsparte ist todernst. Zur Debatte stehen Anlagenschließungen und Stellenabbau, die Wirtschaftlichkeit des Duisburger Hüttenwerks mit noch vier Hochöfen und – ultimativ – die Zukunft des größten deutschen Stahlstandorts.
Wer, wenn nicht der Staat, soll Thyssenkrupp Steel Europe retten?
Wird der größte deutsche Stahlproduzent ein Staatsunternehmen oder zumindest teilweise verstaatlicht? Wenn die Maßgabe ist, die Arbeitsplätze im Duisburger Hüttenwerk zu erhalten und den traditionsreichen Hüttenwerksstandort zu retten, wäre der Staatseinstieg konsequent.
Wer sonst sollte es tun? Die Essener Konzernzentrale will den Stahl loswerden mit brachialen Mitteln. Vor einigen Wochen haben drei von fünf Vorstandsmitgliedern der Stahlsparte, darunter Stahl-CEO Bernhard Osburg, das Unternehmen verlassen. Sie haben sich dem Druck des Konzernchefs Miguel Ángel López gebeugt. Auch vier Aufsichtsratsmitglieder um Sigmar Gabriel haben die Brocken hingeworfen. An dem Machtkampf wird deutlich: López steht für alles, aber nicht für Standortgarantien und für Beschäftigungssicherung. Aus Essen wird keine Hilfe kommen.
Und von außerhalb? Der tschechische Investor Daniel Křetínský hält bereits 20 % an der Stahlsparte, es gibt Pläne, den Anteil auf 50 % aufzustocken. Ex-Aufsichtsrat Gabriel bezeichnet gar die vollständige Übernahme als „das Beste für die Stahlsparte“. Allerdings sind solche Pläne bislang an der finanziellen Ausstattung des Stahlgeschäfts durch den Mutterkonzern gescheitert. Gabriel wirft López Medienberichten zufolge vor, er verhalte sich gegenüber der Stahlsparte „wie eine Bank. Das heißt, er will ihr Darlehen geben – und das nicht mal ausreichend.“
Frühere Übernahme- und Fusionsgespräche – zum Beispiel mit Tata Steel – sind allesamt krachend gescheitert.
Bundesländer bereits stark in den Stahlunternehmen involviert
In der Stahlindustrie sind Staatseinstiege weniger ungewöhnlich als in anderen Branchen. Das Land Niedersachsen hält zum Beispiel ein gutes Viertel der Anteile an der deutschen Nummer zwei, Salzgitter. Und im Saarland brachte die Landesregierung ihre Anteile an den verbliebenen Stahlunternehmen in die Montan-Stiftung-Saar ein, die sowohl Saarstahl als auch Dillinger kontrolliert und deren Stiftungszweck der Erhalt der saarländischen Stahlindustrie ist.
Ein weiteres Argument für einen Staatseinstieg könnte die gerade begonnene Transformation des Duisburger Hüttenwerks sein: Die vier Hochöfen sollen weichen und durch eine noch nicht abschließend kommunizierte Anzahl Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Annähernd 2 Mrd. € an Subventionen haben der Bund und das Land NRW dafür bereitgestellt. Es wäre – gelinde gesagt – schade drum, wenn die Förderzusage vergeblich erteilt worden wäre. Anders formuliert: Der Staat hat sich bereits zu einer derart weitreichenden Finanzierung durchgerungen, dass ein Einstieg nicht mehr befremdlich daherkäme.
Eine Verstaatlichung mag konsequent sein – aber ist sie sinnvoll?
Ob ein Staatseinstieg sinnvoll wäre, das ist eine andere Frage. Mindestens wäre sie mit einem schalen Geschmack verbunden. Die Essener Konzernleitung hat 2 Mrd. € Subventionen gerne angenommen, versucht nun aber in den Augen einiger Ex-Aufsichtsräte, die Stahlsparte in einem heruntergewirtschafteten Zustand an einen Investor loszuwerden. Ein Staatseinstieg würde bedeuten: Nicht aus Konzerngewinnen, sondern aus Steuereinnahmen müsste die Stahlsparte finanziell ausgestattet werden. Bis sich vielleicht irgendwann doch noch ein Investor bereit erklärt.
Mit dem Vorschlag, eine „Deutsche Stahl AG“ zu gründen, ist eine Reihe hochkomplexer Fragen verbunden. Wie verhält sich diese am Markt gegenüber Stahlkonzernen wie Salzgitter und Arcelormittal, in denen der Bund keine Rolle spielt? Wäre der Staat in der Lage, eine periodisch von Überkapazitäten gebeutelte Industrie zu konsolidieren? Oder würde er sich mit seinen eigenen Beschäftigungsgarantien im Weg stehen? Wer ist hier überhaupt der Staat? Sind das Duisburger Abgeordnete, deren Interesse zuvorderst dem Erhalt von Arbeitsplätzen gelten dürfte, oder ist das ein Wirtschaftsministerium, das in der Lage wäre, industrie- und klimapolitische Aspekte zu priorisieren?
Zumindest einige dieser Fragen sollten geklärt sein, bevor der Staat in Duisburg einsteigt.