„Wir wollen die Hochofenroute verlassen“
Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann skizziert im Interview den Weg zur wasserstoffbasierten Roheisenproduktion.
VDI nachrichten:Herr Fuhrmann, seit 190 Jahren setzt die Stahlindustrie zur Roheisenproduktion aus Eisenerz den Hochofen ein. Nun arbeiten Sie und einige Ihrer Wettbewerber an Alternativen. Ist der Hochofen bald reif fürs Museum?
Heinz Jörg Fuhrmann: Nein, wir werden noch lange Jahre auf diese hocheffiziente und wirtschaftliche Art Roheisen produzieren. Aber wir arbeiten intensiv an den erforderlichen Technologien, um die Roheisenproduktion vollständig von Koks als Reduktionsmittel auf Wasserstoff umzustellen. Wir wollen – am langen Ende – die Hochofenroute verlassen und damit unsere CO2-Emissionen signifikant vermindern.
- ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender des Salzgitter-Konzerns
- war von 2001 bis 2011 Finanzvorstand des Konzerns
- studierte Eisenhüttenkunde an der RWTH Aachen
Sie sind Eisenhüttenkundler. Für alle, die es nicht sind: Was ist die Hochofenroute?
Im Bergbau gewinnt man nicht reines Eisen, sondern im Erz gebundenes Eisenoxid. Dies ist unser Rohstoff. In einem ersten Schritt reduzieren wir das Erz, das heißt: Wir entfernen den Sauerstoff, um Roheisen zu erhalten. Das geschieht im Hochofen mit kohlenstoffhaltigem Reduktionsmittel, das den Sauerstoff bindet – Koks beispielsweise. In einem zweiten Schritt stellen wir im Stahlwerk mittels Konverter und Pfannenmetallurgie die Legierung des Stahls ein.
Was ist bei der Wasserstoffroute anders?
Die Alternative zum Hochofen ist die Direktreduktionsanlage. Sie heißt so, weil das Erz bei Temperaturen unter dem Schmelzpunkt direkt reduziert wird. Auf der bisherigen, konventionellen Direktreduktionsroute wird dazu Erdgas verwendet; zukünftig soll dies mit Wasserstoff geschehen. Anstatt Kohlenstoff bindet der Wasserstoff den Sauerstoff und es entsteht Wasser anstatt CO2. Das so produzierte Eisen ist bei diesem Prozess zu keinem Zeitpunkt flüssig. Das Produkt der Direktreduktionsanlage, das DRI (Direct Reduced Iron, Red.), wird üblicherweise im Elektrolichtbogenofen eingeschmolzen. Vorgeschaltet benötigen wir entsprechende Elektrolysekapazitäten, um unter Einsatz großer Mengen elektrischer Energie Wasserstoff zu produzieren.
Was macht Sie zuversichtlich, dass die Wasserstoffroute gangbar ist?
Der wesentliche Baustein unseres Ansatzes, der Direktreduktionsprozess, hat sich in der Praxis großtechnisch bewährt. Deshalb bin ich zuversichtlich. Auch der Elektrolichtbogenofen ist ausgereift. Das ist die gleiche Technologie, die wir heute schon im Elektrostahlwerk Peine betreiben.
Würden Sie schrittweise oder auf einen Schlag umstellen?
Wir haben ein Konzept für das integrierte Hüttenwerk in Salzgitter ausgearbeitet, dessen Charme darin liegt, dass wir mit definierten Schritten in drei Stufen vorgehen, die wirtschaftlich und technisch verantwortbar sind. Es wird keine Operation am offenen Herzen geben. Alle drei Stufen sind bereits jetzt konkret beschrieben – das unterscheidet uns vom Wettbewerb. Wir unterbreiten der Politik das Angebot, zeitnah mit dem Umstieg zu beginnen und nicht erst nach zehn oder mehr Jahre dauernden Versuchen im Technikum. Wir sind bereit, sehr schnell in den großtechnischen Betrieb überzugehen, um signifikante CO2-Einsparungen zu erzielen.
Wie sieht Ihr Konzept genau aus?
Wenn in diesem Jahr für Salcos – so heißt das Projekt – die Rahmenbedingungen stimmen, dann werden wir bis 2022 die ersten Anlagen in Betrieb nehmen und bis 2025 unsere CO2-Emissionen um ein Viertel senken. Dies bezieht sich auf das gesamte integrierte Hüttenwerk.
Das wäre die erste Ausbaustufe?
Ja. Salcos sieht vor, dass wir mit der zweiten Ausbaustufe, die etwa 2035 vollendet sein würde, unsere CO2-Emissionen sogar halbieren. Und zum Abschluss dieses Transformationsprozesses – um das Jahr 2050 – könnten unsere Emissionen auf 5 % bis 10 % des Ausgangswertes gesunken sein.
Der Ausgangswert, das sind Ihre heutigen CO2-Emissionen?
Ja. Ca. 8 Mio. t pro Jahr.
Sie betreiben drei Hochöfen in Salzgitter. Und es gibt drei Ausbaustufen im Salcos-Projekt. Dann geht pro Ausbaustufe ein Hochofen außer Betrieb?
Genau, das ist der Plan. Um die 95%ige CO2-Reduktion zu erreichen, würden wir 100 % Wasserstoff als Reduktionsgas einsetzen. Dann hätten wir drei Direktreduktionsanlagen und drei Elektrolichtbogenöfen in Betrieb.
Was müssten Sie investieren?
Für die erste Ausbaustufe, die wir bis 2025 abschließen können, wären 1,25 Mrd. € zu veranschlagen.
Zum Vergleich: In welcher Größenordnung investieren Sie üblicherweise?
Wir haben im Hüttenwerk Salzgitter in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt knapp 200 Mio. € investiert. Wenn wir das ansetzen, entspricht die Summe für die erste Ausbaustufe unseren Investitionen von gut sechs Jahren.
Können Sie die Gesamtinvestition für die vollständige Umstellung des integrierten Hüttenwerks auf Wasserstoff beziffern?
Das wären sicherlich noch einmal einige Milliarden Euro mehr. Das darf aber nicht allzu sehr schockieren, wenn man auch hier die „normalen“ Investitionen in diesem Zeitraum zum Vergleich heranzieht. Schließlich würde das Hüttenwerk in Salzgitter mindestens 10 Mrd. € kosten, wenn wir es auf der grünen Wiese neu errichten würden!
Hat Salzgitter das Geld?
Eins ist vollkommen klar: Wenn wir eine solche weltweite Erstinstallation im großtechnischen Maßstab vornehmen, sind wir auf nennenswerte Unterstützung aus Brüssel und Berlin angewiesen.
Sie fordern also Subventionen …
Ja, weil dieses Projekt den herkömmlichen Wirtschaftlichkeitskriterien für Investitionen bei börsennotierten Unternehmen naturgemäß nicht entsprechen kann. Es gab in der Geschichte der Europäischen Union immer wieder Beispiele für solche Anschubfinanzierungen; ich erinnere an Airbus.
In welcher Größenordnung würden die Subventionen liegen?
Die Förderprogramme für die Zeit nach 2020 werden gerade erst formuliert – in Deutschland wie auch in der EU.
Und warum sollten die üblichen Wirtschaftlichkeitskriterien für Aktiengesellschaften nicht gelten?
Ganz einfach. Weil die Hochofenroute nach wie vor die großtechnisch ausgereifteste und wirtschaftlichste Art und Weise ist, Roheisen zu erzeugen. Wir stehen in einem internationalen Wettbewerb, aber nur die Stahlproduzenten in der EU sind einem strikten CO2-Regime unterworfen. Wettbewerber beispielsweise aus Russland oder der Ukraine, der Türkei, den USA und China kennen derartige Restriktionen und die damit verbundenen Mehrkosten nicht. Deshalb sind wir nicht nur auf Starthilfe angewiesen, sondern auch darauf, dass wir für den Strom, den wir in der Elektrolyse verbrauchen, keine EEG-Umlage zahlen müssen. Ohne diese Befreiung ist di Wasserstoffroute dauerhaft unwirtschaftlich.
… aber mit der Befreiung ist sie wirtschaftlich?
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass wir zwar in der Entwicklungsphase und bei der Anschaffung der Aggregate auf Starthilfe angewiesen sind, nicht aber in der Betriebsphase, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Abkehr vom Hochofen benötigt unter dieser Maßgabe keine dauerhaften Subventionen für den eigentlichen Betrieb.
Wie ausgereift ist die Elektrolyse im großtechnischen Maßstab?
Es gibt relativ ausgereifte Wasserelektrolyseverfahren, die allerdings nur einen elektrischen Wirkungsgrad von 60 % bis 70 % aufweisen. Wir beschäftigen uns mit der Hochtemperatur-Elektrolyse, die einen elektrischen Wirkungsgrad von etwa 80 % erreicht. Dieser Wirkungsgrad ist deshalb die alles entscheidende Größe, weil er sich proportional zum Stromverbrauch und damit zu den Kosten verhält. Deshalb entwickeln wir mit Partnern wie dem Dresdner Elektrolysespezialisten Sunfire diese Hochtemperaturtechnologie zur industriellen Reife.
Was genau gibt der Wirkungsgrad der Elektrolyse an?
Den Energieinhalt des Wasserstoffs bezogen auf den Energieeinsatz.
Es gibt noch mindestens zwei weitere Elektrolyseverfahren. Erwarten Sie, dass sich eine Technologie gegen die anderen durchsetzt?
Ich rechne eher mit einem Nebeneinander der unterschiedlichen Elektrolyseprozesse für zukünftige Wasserstoffanwendungen. Bei der Einzelbewertung dieser Anwendungen sollte das dominante Kriterium der Stromeinsatz pro eingesparter Tonne CO2 sein. Wenn Dampf vorzugsweise aus Abwärmequellen erzeugt werden kann, wie zum Beispiel in der Stahlherstellung, ist die Hochtemperaturelektrolyse die effizienteste Technologie. Mit so wenig Strom kommt kein anderes Verfahren aus.
Wenn Elektrizität fossile Energieträger ablöst, wird dann die Stahlproduktion in der Gesamtbetrachtung energieintensiver?
Nein, sie wird nicht energieintensiver.
Trotz 20 % Elektrolyseverlusten?
Das ist ja nicht viel. Einige technische Prozesse – denken Sie an konventionelle Kraftwerke und Verbrennungsmotoren – haben einen Wirkungsgrad von 40 %. Deshalb sind Verluste in der Größenordnung von lediglich 10 % bis 20 % geradezu fantastisch.
Wie hoch sind denn – Stand heute – die energetischen Verluste im integrierten Hüttenwerk?
Ich stehe zu der Aussage, dass die wasserstoffbasierte Bramme energetisch nicht schlechter sein wird als die kokskohlebasierte. Tendenziell wird sie sogar weniger energieintensiv sein.
Trotzdem gehen Sie davon aus, dass in Zukunft enorme Elektrolysekapazitäten und in der Folge Strommengen benötigt würden …
Ja. Auch wir bräuchten große Mengen Strom aus erneuerbaren Quellen. Dass wir offen darüber sprechen, wird uns bisweilen so ausgelegt, als sei unser Prozess ungeheuer energieintensiv. Aber das Gegenteil ist der Fall. Einer unserer Wettbewerber wirbt für einen Prozess, der drei- bis fünfmal so viel Energie benötigt, um 1 t CO2 zu verwerten. Um dann unter Einsatz von großen Mengen elektrischer Energie Massenchemikalien zu produzieren, die als Commodities mit solchen Produkten im Wettbewerb stehen, die bislang aus Öl und Erdgas hergestellt werden. Die Kernfrage ist doch: Wie viel Strom benötige ich, um CO2 umzuwandeln oder gar nicht erst entstehen zu lassen? Wir haben die anderen Konzepte analysiert: Unser Salcos-Projekt hat den niedrigsten Stromverbrauch je Tonne „vermiedenem“ CO2.
Herr Fuhrmann, Sie skizzieren eine Gesellschaft, in der alle wesentlichen energieintensiven Prozesse auf Wasserstoff basieren, vom Auto bis zur Industrieproduktion. Erwarten Sie eigentlich eine Konkurrenz um den Wasserstoff?
Ja. Bezogen auf die Mobilität wird die batteriebasierte Elektromobilität nicht die alleinige Lösung sein. Übrigens auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit: Wo soll denn zum Beispiel das Kobalt für die Batterien herkommen, das sich zu 70 % der bekannten Ressourcen in Konfliktregionen befindet? Sinnvoll in ökologischer und ökonomischer Sicht – insbesondere auf längeren Strecken und im Lastverkehr – ist die Wasserstoffbrennstoffzelle.
Rechnen Sie damit, dass sich irgendwann eine Wasserstoffinfrastruktur mit Netzen und verteilten Einspeisepunkten herausbildet, ähnlich wie beim Erdgas?
Mit Sicherheit. Es wird eine öffentliche Wasserstoffinfrastruktur geben, hoffentlich schon in wenigen Jahrzehnten.