Gefangen im Netz der Auskunfteien
Ehe sie liefern, holen Unternehmen Bonitätsauskünfte über Kunden ein. Doch was, wenn die Auskünfte faul sind? Ein Unternehmer aus Werl hat es erlebt. Von einem Tag auf den anderen galt er als nicht mehr kreditwürdig – und wusste nicht, wer diese Einschätzung verbreitet. Während die Herabstufung schnell Kreise zog, dauerte die Aufklärung Monate. Kein Einzelfall.
Im Mai 2013 kam der erste Schlag. Ein Metalllieferant bot Wolfgang Huske günstigen Nickel an. Der Chef der GTW Galvanotechnik Werl GmbH griff zu. Einige Stunden später der Anruf. „Wir können Sie nur gegen Vorkasse beliefern. Die GTW ist nicht kreditwürdig.“ Huske widersprach, verwies auf lupenreine Bilanzen und auf die Landesbürgschaft der NRW-Bank für seinen Betrieb doch es half nichts. Der Lieferant bestand auf Vorkasse. Huske trat vom Kauf zurück.
Die GTW ging 2009 aus einem Metallmöbelbauer hervor, den Huske wegen der stark gestiegenen Rohstoffpreise und der akuten Konjunkturkrise geordnet in die Insolvenz führte. „Unsere Galvanik aber war überlebensfähig, zumal es viele externe Kunden gab“, erklärt der promovierte Ingenieur.
Tatsächlich: Seit 2009 hat sich die Mitarbeiterzahl auf 24 verdoppelt. Huske hat 500 000 € in Modernisierungsmaßnahmen investiert. Er zahlt alle Rechnungen wegen der Skontoprozente umgehend und schreibt schwarze Zahlen. Ohne Scheu legt der Unternehmer seine Geschäftszahlen offen. Danach stieg die Eigenkapitalquote in den ersten vier Jahren von 8,08 % auf zuletzt 22,16 %, die Kapitalrendite von 1,57 % auf 11,89 %. „Anfangs lief es zäh, aber wir nehmen Fahrt auf“, sagt er.
Der Unternehmer hatte die Episode mit dem Lieferanten fast verdrängt, als Wochen später ein Brief von Aral eintraf. Die GTW müsse mangels Bonität ihre Tankkarten abgeben oder Geld hinterlegen. „Ab da haben alle Alarmglocken geläutet“, berichtet er. Huske beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch mit seinen Nachfragen bei Aral, aus welcher Quelle die schlechte Bonitätsauskunft stamme, biss er auf Granit. Er bekam keine Information.
Die Welt hatte sich schlagartig verändert. „Ich habe Angst bekommen, dass auch unser Hauptlieferant auf Vorkasse besteht“, erklärt er. Er ging aktiv auf diesen zu und schilderte seine Lage. Der Lieferant beruhigte ihn ebenso, wie seine Hausbank und die Auskunftei, mit der GTW zusammenarbeitet. Bei ihnen standen die Ampeln auf Grün. Beruhigend. Doch niemand konnte ihm Anhaltspunkte liefern, wer die Zweifel an der Bonität von GTW streute.
„Ich stocherte im Nebel und war letztlich komplett auf mich selbst gestellt“, sagt er. Um Klarheit zu schaffen, holte der Unternehmer bei allen Auskunfteien, die er finden konnte, Selbstauskünfte ein. Als er sie in Händen hielt, staunte er nicht schlecht. Keiner der Anbieter hatte seine Wochen zuvor im Bundesanzeiger veröffentlichte Bilanz von 2012 berücksichtigt. Die Ratings waren miserabel: Bürgel stufte die Bonität der GTW als schwach ein und schreibt von überdurchschnittlich hohem Ausfallrisiko – wohlgemerkt Mitte 2013 auf der Zahlenbasis von 2011. CS Connect als gemeinsame Tochter von Schufa und Coface übermittelte ihm die Einschätzung, dass GTW in den Bonitätsindexen beider Mütter im tief orangen Bereich rangiere – also am Rande der Pleite stehe. Neben Zahlen von 2011 zog sie dafür die Verbindung zu der vier Jahre alten Insolvenz heran. „Das war ein erster Anhaltspunkt“, sagt Huske.
Bei Coface selbst ließ die Auskunft auf sich warten. Huske weiß mittlerweile vom Nickel-Lieferanten, dass dieser seine Auskunft dort bezogen hatte. Mehrfach mahnt der GTW-Chef telefonisch und schriftlich die bestellte Selbstauskunft an. Stets wird er abgeblockt und vertröstet. Mails und Gesprächsprotokolle belegen das. Erst Mitte November, Wochen nach der ersten Kontaktaufnahme, dringt er zu einer Prokuristin durch. Diese räumt im Gespräch Fehler ein, für die sie sich bei ihm entschuldigt.
Monatelang tappte Huske im Dunkeln. Er schlief schlecht, machte sich Sorgen um die Zukunft seiner Beschäftigten. Und hatte keine Idee, woher die Bedrohung kam. Thomas Oehmichen, Vorstand der Steuerberatungsgesellschaft Sybo AG, kennt diverse Fälle wie diesen. Anhand dünner, im Internet zusammengeklaubter Daten hätten Auskunfteien davon abgeraten, Geschäftsbeziehungen zu Firmen aufzunehmen und diesen so schweren Schaden zugefügt. Auf Nachfrage habe ihm ein Sachbearbeiter einer Auskunftei erklärt: „Wenn wir keine anderen Daten bekommen, müssen Sie damit rechnen, dass so was dabei herauskommt.“ Unverschämt und grob fahrlässig findet Oehmichen diese Haltung. Zumal Ratings in der Regel automatisiert erstellt würden und Auskunfteien dabei regen Informationsaustausch pflegen. „Dieser Praxis gehört ein Riegel vorgeschoben“, fordert er. Bisher hätten Unternehmer keine andere Wahl, als regelmäßig Selbstauskünfte einzuholen und Auskunfteien von sich aus gezielt mit Informationen zu versorgen.
Bei Coface selbst gibt man sich einsichtig. „Im konkreten Fall können wir uns für unsere Fehler nur entschuldigen“, erklärt Pressesprecher Erich Hieronimus. Der betroffene Unternehmer habe vollkommen korrekt gehandelt, indem er Selbstauskünfte eingeholt und die Bewertungen nicht stillschweigend mit der Faust in der Tasche akzeptiert habe. Es sei richtig, stets den Austausch zu suchen und Kritik an Bonitätseinschätzungen zu üben, die als falsch empfunden werden. Doch sind Unternehmen hier in der Bringschuld? „Wir haben Informationen von über 60 Mio. Unternehmen, und es ist klar, dass nicht über jedes einzelne in dem Maße recherchiert werden kann, wie etwa über einen börsennotierten internationalen Konzern“, erklärt Hieronimus. Doch er räumt ein, dass es ein Fehler ist, wenn Jahresabschlüsse nicht zeitnah in die Datenbanken eingepflegt werden.
Coface selbst stütze seine Bonitätseinschätzungen einerseits auf den Index der CS-Connect, kaufe aber andererseits auch Informationen bei anderen Dienstleistern wie Creditreform oder Schufa zu und recherchiere natürlich auch selbst. Aus allen Informationen zusammen ermittele man das Risiko. Hintergrund: Coface ist nicht nur Auskunftei, sondern versichert Lieferanten-Kredite und kauft Forderungen. „Dass alle Auskunfteien voneinander abkupfern, ist nicht der Fall“, stellt Hieronimus klar. Die gekauften Informationen seien nur ein kleiner Baustein in der Gesamtbewertung von Unternehmen.
Aber er räumt ein, dass Ratings kleinerer Firmen meist in automatisierten Prozessen erstellt werden. „Wenn sich hier im Einzelfall Fehler einschleichen, ist das weder in unserem Interesse, noch im Interesse unserer Kunden“, stellt Hieronimus klar. Von daher sei man dankbar, wenn Unternehmer intervenieren und ihren Beitrag dazu leisten, dass die Bewertungen aktuell und fehlerfrei sind. Dass Huske im konkreten Fall mit seinem Anliegen wiederholt von Coface abgewiesen wurde, sei verheerend. „Dafür können wir uns wirklich nur in aller Form entschuldigen.“
Thomas Oehmichen kennt solche Entschuldigungen. „Ich habe aber noch nie gehört, dass Auskunfteien in solchen Fällen von sich aus ihre Kunden anschreiben, um das in Verruf gebrachte Unternehmen zu rehabilitieren und sich für ihre Unzulänglichkeit zu entschuldigen“, sagt er. Das sei aber nach derart fahrlässigen, existenzgefährdenden Falschauskünften das Mindeste, was ein Unternehmen erwarten könne.