Welcher Risikotyp bin ich? – Ein Fall für den Profiler
Ob Aktien oder Immobilien, ob Schiffsbeteiligung oder Genussrecht: Immer wieder gehen Anleger Risiken ein, mit denen sie sich eigentlich nicht wohl fühlen. Dabei kann das Genussrecht des Windparkbetreibers für den Einen gerade richtig sein, für den Anderen aber grundverkehrt. "Wir brauchen mehr ausgebildete Risiko-Profiler in der Finanzbranche", meint Dipl.-Psychologin Monika Müller.
Mit einem Schrei der Begeisterung stürzt sich Stefan K. am Bungee-Seil in den Abgrund. Für den Adrenalin-Kick würde der 36-jährige Juniorchef eines Ingenieurbüros einiges tun. Nur bei der Geldanlage verzichtet er gern auf den Kick. Aktien? Nein, danke! Lieber den langweiligen Rentenfonds, der knapp mehr abwirft als die Inflationsrate.
Fragebogen: Testen Sie Ihre Risikoneigung
Auf der eigens für die Leser der VDI nachrichten eingerichteten Webseite, können Sie Ihre eigene Risikobereitschaft mithilfe eines Fragebogens überprüfen.
– Angeboten wird der Test von Dienstleister FinaMetrica.
– Er ist kostenfrei und nimmt nur etwa zehn bis 25 Minuten in Anspruch.
– Angegeben werden müssen nur ein Name und eine E-Mail-Adresse cb
„Das ist ein typisches Muster, kein Widerspruch“, kommentiert die Geschäftsleiterin der FCM Finanz Coaching, Monika Müller. „Die unternehmerische oder sportliche Risikobereitschaft korreliert selten mit der finanziellen.“ Doch diese Unterschiede würden in der Finanzberatung gern übersehen, kritisiert die Wiesbadenerin.
„Das Thema Risikoneigung wird bei der Geldanlageberatung oft vernachlässigt oder es wird ungenau erklärt“, stimmt Prof. Rolf Tilmes zu, Vorstandsvorsitzender des Financial Planning Standards Board Deutschland e.V. (FPSB Deutschland) und Leiter des PFI Private Finance Institute der EBS Business School. Doch ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart könnte den laxen Umgang mit dem Thema Risiko ins Wanken bringen.
In dem Fall wollte der Anleger rund 750 000 € bei einem Institut neu angelegen. Er ließ sich von der Bank beraten und vereinbarte, dass das Geld unter der Strategie „Wachstum“ zu 60 % in Einzelaktien und zu 40 % in „konservative“ Anlagen investiert werden soll. Als das Depot kräftig ins Minus ging, klagte der Kunde gegen die Bank auf Schadenersatz – und bekam Recht.
Die Richter stellten eine Falschberatung fest, weil die verwendeten Strategiebegriffe dem Anleger ein zu geringes Risiko suggerierten. Risikobegriffe müssten stattdessen nach dem objektiven Empfängerhorizont des Anlegers ausgelegt werden. Begriffe wie „Wachstum“ oder „Chance“ sind nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart aber nicht anlegergerecht. Darunter könnte jeder etwas anderes verstehen.
Psychologin Monika Müller begrüßt das Urteil. „Im Finanzbereich werden zu oft Begriffe verwendet, die das Risiko verschleiern. So weckt z. B. das Wort Genussrecht weit positivere Assoziationen, als das Produkt rechtfertigt.“ Die irreführende Bezeichnung von Produkten oder Strategien ist eine Quelle für Missverständnisse, die ungenügende Erforschung der Risikobereitschaft des Kunden im Beratungsgespräch eine andere.
Von den üblichen Fragebögen zur Risikobereitschaft, die Bankberater benutzten, hält Müller wenig. Mal würden Fragen emotionalisierend oder unverständlich formuliert, mal die Antworten falsch gewichtet. Besondere Vorsicht empfiehlt sie, wenn als Auswertung gleich eine komplette Depotstruktur angeboten wird.
Auf der Suche nach einer besseren Methode ist Müller beim Dienstleister FinaMetrica in Australien fündig geworden. Dieser hat 25 Fragen entwickelt, die zur Reflexion des Verhaltens in finanziellen Angelegenheiten anregen sollen (Kasten). Dabei verzichtet der Bogen auf Fachtermini und führt den Befragten in durchaus alltägliche Szenarien. Ein Beispiel: „Nehmen Sie an, ein längst verloren geglaubter Verwandter stirbt und hinterlässt Ihnen ein Haus, das sich in schlechtem Zustand befindet, aber in einem Vorort liegt, der sich zunehmender Beliebtheit erfreut“, wird die Frage eingeleitet, ob man nun lieber investiert und auf Wertsteigerung hofft, das Objekt direkt verkauft oder es behält und vermietet.
Die Fragen kann der Anleger zu Hause am eigenen Rechner beantworten, unbeeinflusst vom Berater. Die anschließende Auswertung ergibt einen Risiko-Score, d. h. einen Wert auf einer 100-Punkte-Skala und den Vergleich der eigenen Aussagen mit dem Durchschnitt der jeweiligen Vergleichsgruppe. „Im anschließenden Beratungsgespräch können dann z. B. die Widersprüche und Abweichungen näher untersucht werden“, erläutert Monika Müller.
„Wenn dann noch die gründliche Ermittlung der Risikotragfähigkeit hinzukommt, die Erhebung von Lebenssituation, Liquiditätsplanung und die Formulierung von Finanzzielen – dann erhalten wir die Basis für einen Finanzfahrplan, der aber immer wieder überprüft werden muss“, ergänzt Prof. Tilmes.
Bei der Risikobetrachtung müsse man endlich wegkommen von der reinen Produktbetrachtung und hin zu Sicht auf die Bedürfnisse des individuellen Anlegers. „Risiko ist kein Teufelszeug, sondern nur die Kehrseite von Rendite“, sagt Tilmes. Und oft genug bedeute mehr Risiko sogar mehr Sicherheit – mehr Sicherheit nämlich, seine Finanzziele zu erreichen.