IMMOBILIEN 17. Jun 2016 Sabine Philipp Lesezeit: ca. 4 Minuten

Wer kein Darlehen mehr kriegt

Seit ein paar Wochen ist die Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR) in Kraft. Sie legt strengere Maßstäbe bei der Kreditvergabe an. Kritiker bezweifeln, dass sie den Verbraucher wirklich schützt, und sehen unschöne Nebenwirkungen.

Wer noch im vergangenen Jahr seine Immobilie finanziert bekommen hätte, geht nun mitunter leer aus. Grund ist die Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR). Sie ist seit dem 21. März in Kraft und soll die Verbraucher vor Überschuldung durch private Immobilienkredite schützen. Banken und Vermittler müssen ihre Kunden jetzt umfassend beraten und sehr genau prüfen, ob diese den Kredit auch bedienen können. Sie sind gezwungen, das Ganze zu dokumentieren. Wenn ein Kunde eine Pflichtverletzung nachweisen kann, darf er den Vertrag rückgängig machen.

Ob sie den Verbraucher wirklich schützt? Da sind sich die Experten uneins. Tatsache ist, dass die Kriterien jetzt strenger sind. „Die Richtlinie stellt klar, dass die Kreditzusage nicht auf die Werthaltigkeit der Immobilie abgestellt werden darf, und damit auf die Möglichkeit, sie im Notfall zu verkaufen, um den Kredit zu bedienen. Es soll ja der Verbraucherschutz im Mittelpunkt stehen, und nicht die Kreditrisikominderung der Banken“, sagt dazu Peter Mücke, Senior Manager bei Sopra Steria Consulting. Wie der Volkswirt erklärt, legt die WIKR den Fokus bei der Kreditentscheidung stark auf die Kapitaldienstfähigkeit. „Eine private Baufinanzierung soll nur dann gewährt werden, wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Kunden es letztlich erwarten lassen, dass der Kredit innerhalb der statistischen Lebenserwartung zurückgeführt werden kann.“ Dadurch fällt so mancher durchs Raster, der vor der Richtlinie den Kredit noch bekommen hätte.

Michael Neumann, Geschäftsführer der Qualitypool GmbH, erklärt den Hintergrund: „Banken müssen künftig eine Rentenvorausberechnung für den Darlehensnehmer machen. Da das nur eine Prognose sein kann, und sie bei der Interpretation der WIKR keinen Fehler machen möchten, müssen viele Darlehensnehmer de facto bis zur Rente schuldenfrei sein.“ Die Tendenz geht also zu einer hohen Tilgung und kürzeren Laufzeiten. Das ist an sich vernünftig. Aber: „Bei einem 30-Jährigen, der am Anfang seines Berufslebens steht, rechnet die Bank hoch, wie viel Rente er erhalten wird, ohne mögliche Beförderungen und Gehaltssteigerungen miteinbeziehen zu können“, gibt Neumann zu bedenken. „Da kann es passieren, dass er kein Darlehen bekommt“.

Der Betriebswirt ist sich sicher: „Pendler, die in Deutschland leben, aber im angrenzenden Ausland ihr Gehalt in einer anderen Währung als dem Euro erhalten, wie in Schweizer Franken, werden zukünftig keinen Zugang mehr zu Baufinanzierungen haben“. Sie sollen durch verschiedene Mechanismen vor Wechselkursrisiken geschützt werden. „Diese Fälle sind durch die Anforderungen der WIKR so risikobehaftet, dass Banken sie lieber meiden“, so Neumann.

Altverträge sind zwar nicht betroffen. Beim Auslaufen der Zinsbindung könnte der Kredit aber teurer werden. Denn wenn er weiterlaufen soll, muss der Darlehensnehmer die Anschlussfinanzierung seiner Bank akzeptieren. Boris Wolkowski, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht ist überzeugt, dass einige Institute ihre Möglichkeit ausschöpfen werden. Und nennt das Worst-Case-Szenario: „Die Grenze zum Wucher liegt beim Doppelten des marktüblichen Zinses. Bei 1 % tut das sicher nicht weh. Wir hatten aber schon Zinsen von 5 %. In diesem Fall könnte der Zinssatz auf bis zu 10 % steigen.“

Selbstständige stehen vor der Herausforderung, dass sie ihre Einkünfte glaubhaft prognostizieren müssen. Viele setzen auch darauf, aus den Verkaufserlösen ihres Betriebes sozusagen ihre Rente und daraus den erforderlichen Kapitaldienst für die privat genutzte Immobilie bestreiten zu können. Theoretisch ist das auch weiterhin möglich. Wie verwertbar die Anlagen sind, ist jedoch interpretationsfähig. „Das Gesetz besagt, es muss wahrscheinlich sein, dass der Kreditnehmer seinen Kredit zurückzahlt. Ob dies auf Basis einer – wie auch immer gearteten – Verrentung des Betriebsvermögens möglich ist, ist allerdings sehr schwer abzuschätzen“, erklärt Ingo Garczorz, Executive Partner bei Kampmann, Berg & Partner. „Es dürfte daher schwierig sein, einen Kreditgeber zu finden, der unter diesen Rahmenbedingungen einen Vertrag abschließt.“ Früher sei der Gestaltungsspielraum höher gewesen. Dennoch ist er überzeugt, dass sich für die meisten Kreditnehmer nichts verändert hat. „Schon vor Inkrafttreten der WIKR hatten die Institute interne Regeln, die sich im Kern mit den Vorgaben der Richtlinie decken.“ So hätten verantwortungsvolle Banken durchgespielt, ob ihre Kunden nach Ablauf der Zinsbindung eine höhere Rate zahlen könnten, und dazu Zinssätze von bis zu 8 % zugrunde gelegt. „Nur die Art und Weise, wie dokumentiert und plausibilisiert werden muss, ist jetzt anspruchsvoller.“

Auch für den freien Baufinanzierungsvermittler Olaf Varlemann hat sich in dieser Hinsicht nichts geändert. Er gibt seinen Klienten zusätzlich eine Art To-do-Liste mit auf den Weg. „Viele Verbraucher reden sich ihre Lage schön, weil der Wunsch nach einer eigenen Immobilie so stark ist. Leider bekamen sie in der Vergangenheit viel zu leicht einen Kredit“, bedauert er. Bei der Vermittlung hätten auch so manche Mitglieder seiner Zunft eine unrühmliche Rolle gespielt.

Auf diesen Missstand hat die WIKR ebenfalls reagiert. Immobiliendarlehensvermittler müssen nun eine Sachkundeprüfung bestehen. „Bestimmte Berufsgruppen, wie Bankkaufleute, sind befreit. Ebenso ,alte Hasen‘, die seit dem 21. März 2011 ununterbrochen in diesem Bereich tätig sind.“

Der Hamburger, der selbst gelernter Bankkaufmann ist, weiß, dass der bloße Berufsabschluss als Qualifikation in diesem Segment nicht ausreicht. Und auch der Umstand, dass ein Vermittler unter die sogenannte Alte-Hasen-Regelung falle, sage allein noch nichts über die Kompetenz aus. Die Kunden stünden genauso in der Luft wie vorher. Immerhin müssen die Vermittler jetzt eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen.

Anwalt Boris Wolkowski erlebt immer wieder, dass Verbraucher blauäugig an die Finanzierung herangehen. Die neuen Protokolle, die die Kunden schützen sollen, sieht er kritisch. „In der Anlageberatung gibt es sie schon länger. Meine Erfahrung ist, dass viele Banken sie nutzen, um sich abzusichern.“ Die Hoffnung, dass der Kunde jetzt besser geschützt ist, wird sich seiner Meinung nach nicht erfüllen.

Michael Neumann von der Qualitypool GmbH ist ebenfalls skeptisch. „Für den Kunden soll die Baufinanzierung so an Transparenz gewinnen. Womöglich führt es eher zu einer Informationsüberflutung.“ Und auf Bankenseite? „Im Vertrieb war der März ein Rekordmonat, da sie noch möglichst viele Immobilienfinanzierungen ohne die bürokratische Zusatzbürde umsetzen wollten“, erinnert sich Neumann.

Fakt ist: Die Institute haben einen hohen Mehraufwand. „Die Beratungs- und Bearbeitungszeiten für einen Immobilienkredit sind durch die Anforderungen der Richtlinie um 25 % bis 30 % gestiegen“, schätzt Natalie Schneider, Partner bei der zeb Unternehmensberatung. „Dieser Aufwand kann nur teilweise durch eine angepasste EDV–Unterstützung ausgeglichen werden. Das erhöht natürlich die Kosten.“ Die Bankbetriebswirtin rechnet aber nicht damit, dass die Institute sie an ihre Kunden weitergeben. Dazu sei der Wettbewerbsdruck zwischen den Kreditinstituten zu hoch.

Barbara Schmid, Sprecherin des Portals immowelt.de, ergänzt: „Die Kauflaune war noch nie so hoch. Auch mangels Anlagealternativen.“ Schnäppchen gebe es keine mehr. Beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB) ist man ebenfalls überzeugt, dass die Preise in den bevorzugten Wohngegenden hoch bleiben und teilweise weiter steigen werden. Als Preistreiber sieht der VÖB vor allem institutionelle Anleger wie offene Immobilienfonds. „Sie können Liquidität nicht beliebig vorhalten und sind daher ständig auf der Suche nach geeigneten Objekten“, kommentiert Sprecher Norman Schirmer.

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