Der Aufholprozess der Industrie stockt
Der Aufschwung in der deutschen Industrie wird von Engpässen bei Vorleistungsgütern verzögert.
Derzeit sieht es aus, als würden die Injektionen die Infektionen so stark zurückdrängen, dass eine zunehmende Normalisierung im Wirtschaftsleben realistisch erscheint. Zumindest besteht die Hoffnung auf eine schwungvolle Erholung im zweiten Halbjahr 2021. Sofern weitere Infektionswellen unterdrückt werden können, dürften der private Konsum und viele Dienstleistungsbranchen mit dem Auslaufen der Lockdown-Maßnahmen wieder in die Expansionsspur kommen.
Diese Hoffnung gilt auch für die deutsche Industrie – aber aus anderen Gründen. Nach der beeindruckenden Erholung im Sommer vergangenen Jahres hat sich die im letzten Frühjahr entstandene Produktionslücke seit Oktober 2020 verhärtet, der Aufholprozess stockt seitdem.
Industrie hat Aufholpotenzial von 10 % gegenüber 2018
Im April hat die Industrieproduktion gegenüber dem Vormonat leicht nachgegeben, was sich in der IW-Konjunkturampel widerspiegelt. Die Produktionslücke zum Jahresdurchschnitt 2019 lag im April 2021 bei 6,3 %. Nimmt man das Jahr 2018 als Orientierung für eine besser ausgelastete Industrie, dann belief sich das Aufholpotenzial zuletzt noch auf gut 10 %.
Die Auftragslage der Industrieunternehmen hat sich dagegen weiterhin verbessert. Es ist nicht die Nachfrage, sondern fehlende Vorleistungen, die derzeit das Erholungstempo abwürgen. Ganz verschiedene Güter sind im Frühjahr so knapp geworden, dass es zu Lieferschwierigkeiten gekommen ist. Das betrifft etwa das Bauholz, Halbleiter, chemische Grundstoffe, Container und Paletten.
Lieferengpässe bereiten vielen Probleme
Um das Ausmaß der aktuellen Betroffenheit in der deutschen Wirtschaft durch Lieferengpässe bei wichtigen Vorleistungen zu ermitteln, hat das IW im Mai eine Blitzumfrage unter Wirtschaftsverbänden durchgeführt. Befragt wurden nur diejenigen Verbände, in deren Wirtschaftsbereich Vorleistungen eine besondere Bedeutung haben. Gut 40 % der von Vorleistungsverknappungen betroffenen Branchenverbände sehen kurzfristig stark wirkende inländische Lieferengpässe. Das gilt zum Beispiel für die Automobil- und Kunststoffindustrie, die Textil- und Lederindustrie sowie das Baugewerbe. Ein weiteres Drittel der Verbände, etwa die Maschinen- und Anlagenbauer, diagnostiziert eine mittelschwere Beschränkung. Das gilt auch für die Vorleistungen aus dem Ausland.
Für die gegenwärtigen Lieferprobleme gibt es ganz unterschiedliche Ursachen. Für einige Produkte, wie Fahrräder oder ausgewählte Güter im Gesundheitsbereich, ist die Nachfrage in der Coronakrise deutlich angestiegen.
In anderen Bereichen kam es zuerst zu einem Nachfrageeinbruch infolge der Lockdown-Maßnahmen und dann zu einer überraschend schnellen Erholung. Die Erholung des Welthandels und damit der Nachfrage nach deutschen Exportgütern war im Vergleich mit früheren Krisen erheblich schneller. Damit entsteht auch ein Lieferstau, der erst nach und nach abgearbeitet werden kann.
Container und Schiffsbesatzungen fehlen
Auch der globale Warentransport leidet noch unter der Coronapandemie. Nach der Vollbremsung der Weltwirtschaft und des Welthandels vor einem Jahr muss vieles nachgeliefert werden. Vor allem auf dem Schiffsweg von Fernost nach Europa stockt es, etwa weil Container und zum Teil auch Schiffsbesatzungen fehlen. Einzelereignisse wie der Brand von Halbleiterfabriken, die starken Witterungsbeeinträchtigungen in den USA oder die zwischenzeitliche Blockade des Suezkanals haben die Situation weiter verschärft.
Die Unternehmen und Verbände melden allerdings auch, dass ein Großteil der Anspannungen in den nächsten Monaten nachlassen wird. Die Transportprobleme werden nach und nach behoben.
Sofern die Pandemie weltweit unter Kontrolle kommt, lassen auch die Produktionsengpässe in bestimmten Bereichen, etwa bei chemischen Grundstoffen, wieder nach. Dann dürften auch die Industrie und das Baugewerbe wieder in den Aufschwungsmodus wechseln – und die Konjunktur in voller Breite laufen.