Europa driftet bei Innovationsfähigkeit auseinander
Staaten reagieren höchst unterschiedlich auf Wirtschaftskrisen mit Blick auf ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE). Dadurch entsteht vor allem zwischen den Ländern Europas mit Blick auf ihre Innovationsfähigkeit eine Kluft, die zunehmend größer wird. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine Studie des ZEW.
Die führenden Innovationsnationen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union verfolgen eine antizyklische Ausgabenstrategie bei öffentlich geförderter FuE, während sich die sogenannten „innovation followers“ – also gemeinhin starke, aber nicht führende Innovationsnationen – und mäßig innovative Länder eher prozyklisch verhalten. Das haben nun Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) herausgefunden. Laut ihrer Studie zeigt sich, dass auch kurz- und langfristige Finanzierungsbedingungen wie Haushaltsüberschüsse und Staatsverschuldung die öffentlichen FuE-Ausgaben beeinflussen.
Für die Studie haben die ZEW-Wissenschaftler untersucht, wie Staaten angesichts wirtschaftlicher Krisenzeiten mit ihren öffentlichen FuE- Ausgaben – gemessen als staatliche Mittelzuweisungen – umgehen. Dazu wurde auf Basis von Paneldaten aus 26 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Zeitraum zwischen 1995 und 2015 analysiert, wie sich öffentliche FuE-Ausgaben im Laufe des Konjunkturzyklus ändern, gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP).
Anti- & prozyklische Vorgehensweisen
Im Durchschnitt sei dabei zu beobachten, dass Staaten ihre FuE-Ausgaben stark prozyklisch ausrichten. Die Berechnungen der ZEW-Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass die Wachstumsrate öffentlicher FuE-Ausgaben während einer Krise durchschnittlich 2,5 Prozentpunkte niedriger ist als sonst. Umgekehrt führt ein Anstieg des realen BIP um 1% zu einer Steigerung öffentlicher FuE-Ausgaben um rund 0,2%.
Allerdings gäbe es enorme Unterschiede zwischen den betrachteten OECD- Ländern. Vor allem europäische Staaten wie zum Beispiel Deutschland, die Niederlande und Schweden sowie Nicht-EU-Länder wie etwa die USA, Australien, Kanada und Südkorea, die als führende Innovationsnationen gelten, verhielten sich mit Blick auf ihre FuE-Investitionen antizyklisch, betonte das ZEW.
Das heißt, dass diese Länder auch in Krisenzeiten öffentliche FuE-Ausgaben steigern. ZEW-Berechnungen zufolge nehmen sie um durchschnittlich 2,9% zu. Dagegen verfolgten Länder wie Frankreich und Österreich als „innovation followers“ oder Spanien, Portugal und Italien als mäßig innovative Nationen eine prozyklische Haushaltspolitik, kürzten ihre öffentlichen FuE-Ausgaben in Krisenzeiten also drastisch.
Produktivitätsgefälle könnte wachsen
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass ein Anstieg des Haushaltsüberschusses um einen Prozentpunkt des realen BIP die öffentlichen FuE-Ausgaben kurzfristig um bis zu 0,8% wachsen lässt. Die zunehmende Staatsverschuldung hätte wiederum dazu geführt, dass in den für die Studie beobachteten zwei Jahrzehnten öffentliche Investitionen in FuE kontinuierlich gesunken seien.
„Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 hat zuletzt gezeigt, dass sich der Abstand in Europa zwischen hoch innovativen und weniger innovativen Ländern allmählich vergrößert“, erklärt Georg Licht, Leiter des ZEW- Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“, sowie einer der Autoren der Studie. „Innovationen entstehen aus Forschung und Entwicklung, beides ist ein wichtiger Motor für Produktivität und Wachstum.
Durch die ‚Innovationskluft‘ in Europa droht das Produktivitätsgefälle zwischen den Ländern jedoch noch größer zu werden“, warnt der Forscher. Angesichts der weltweiten Produktivitätsschwäche, die seit Jahren anhält, solle die Politik indes vor hohen FuE-Ausgaben nicht zurückschrecken.
Allerdings komme erschwerend hinzu, dass hohe Schuldenstände den Druck auf Staaten erhöhen, ihren Haushalt zu konsolidieren. „Damit werden Einschnitte bei öffentlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung wahrscheinlicher“, meint Licht.