Porträt der Woche 19. Jul 2018 Wolfgang Schmitz Lesezeit: ca. 3 Minuten

„Ich möchte mich noch einmal neu erfinden“

Ernst Schmachtenberg sagt als Rektor der RWTH Aachen Ade. In den Ruhestand verabschiedet er sich aber nicht.

Ernst Schmachtenberg nimmt an der RWTH Aachen seinen Hut, steht aber als Ratgeber bereit.
Foto: Peter Winandy

Bei Wikipedia heißt es: „Ruhestand bezeichnet den Zustand, in dem sich eine Person nach dem Ende der Lebensarbeitszeit befindet.“ Übertragen auf Ernst Schmachtenberg heißt das: Der 66-jährige Professor für Kunststofftechnik nimmt als Rektor der RWTH Aachen seinen Hut, vom „Ende der Lebensarbeitszeit“ kann jedoch mitnichten die Rede sein. „Ich habe nicht das Gefühl, zum alten Eisen zu gehören. Ich möchte mich noch einmal neu erfinden. Mein Kopf steckt voller Ideen.“

Ernst Schmachtenberg
Vor seiner Berufung zum Rektor der RWTH Aachen im Jahre 2008 war Ernst Schmachtenberg Inhaber des Lehrstuhls für Kunststofftechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Ingenieur war Präsident der TU9, des Verbands führender Technischer Hochschulen in Deutschland, sowie Mitglied des VDI-Präsidiums.

Welche er davon umsetzen wird, darüber wird er noch einige Nächte schlafen. Fest steht nur: „Operative Verantwortung möchte ich nicht noch einmal haben. Da müssen jetzt die Jungen ran.“

Nicht, dass Schmachtenberg jemals ein Hektiker gewesen wäre, in den letzten Tagen seiner Amtszeit aber klingt er noch eine Sequenz entspannter als zuvor. Die letzten zehn Jahre auf dem Aachener Chefsessel sei eine erfüllte Zeit gewesen, bilanziert Schmachtenberg. Aber die Last der Verantwortung sei nicht endlos zu tragen. „Ich gebe sie gerne weiter. Mit Ulrich Rüdiger, dem bisherigen Rektor der Universität Konstanz, hat die RWTH einen sehr ausgewiesenen Nachfolger gefunden.“

Der darf sich ab jetzt mit den Geschäften einer Eliteuniversität beschäftigen, ein Status, an dem Schmachtenberg federführend und mit großem Enthusiasmus mitgewirkt hat. Grundlage sei die konstruktive, wenn auch nicht immer reibungslose Kooperation mit der Politik gewesen. „Dass die Politik den Mut aufbrachte und den Hochschulen mehr Selbstverantwortung übertrug, war keine Selbstverständlichkeit, aber ein kluger Schachzug.“ Wichtiger als der Erfolg bei der Exzellenzinitiative sei der Weg dorthin gewesen, Altes infrage zu stellen und Neues zu gestalten.

Nichts könne jemals perfekt sein, immer gebe es irgendetwas zu reparieren, hat Schmachtenberg in seiner Zeit als Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager gelernt. „Die RWTH hat viel getan, um die Studieneingangsphase besser zu gestalten. Ob wir dabei schon alles richtig gemacht haben, wage ich allerdings zu bezweifeln.“ Im Wust der Angebote bräuchten junge Menschen Orientierung und mehr Luft, um ihre Entscheidungen für einen Studiengang hinterfragen und revidieren zu können. Die gute Absicht, möglichst vielen jungen Menschen eine akademische Karriere zu ermöglichen, stellt Schmachtenberg nicht auf den Prüfstand, die schlechter werdenden Betreuungsverhältnisse könnten aber ebenso wenig ignoriert werden. Technische Lösungen wie Vorlesungen per Video treffen beim scheidenden Uni-Chef auf Skepsis. „Über die Digitalisierung mehr Präsenz der Lehrenden zu schaffen, hinterlässt die Frage, ob die Konserve tatsächlich die erhoffte Kommunikation schafft.“

Schmachtenberg holt tief Luft. Je länger man mit ihm redet, desto offensichtlicher wird, dass Loslassen schmerzhafter sein kann als Anpacken. Von völligem Rückzug kann daher auch nicht die Rede sein. Er will den Jungen nicht ins Handwerk pfuschen, ihnen aber gerne seinen reichen Erfahrungsschatz zur Verfügung stellen, etwa bei Firmengründungen. „Ich habe an der RWTH immer mit großer Freude vorangetrieben, dass gute Ideen in Form von Spin-offs in unternehmerischer Form umgesetzt werden. Wenn hier mein Rat gewünscht ist, werde ich nicht nein sagen.“

Da könnte auch der Kontakt zu anderen Ehemaligen nicht schaden. Das Uni-Netzwerk sei groß, aber ausbaufähig, meint Schmachtenberg. „Auf meinen Reisen habe ich viele Alumni getroffen. Ob in China, Japan oder den USA: Immer hatte ich das Gefühl, auf die RWTH-Familie zu stoßen. Diesen großen Schatz sollten wir noch stärker nutzen.“ Der gebürtige Aachener hat keine Scheu, sich selbst ins Spiel zu bringen: „Der Ausbau des Alumni-Netzwerkes wäre doch auch so eine Aufgabe, um die sich ein ehemaliger Rektor kümmern könnte.“

Was nicht heißen soll, dass sich der dreifache Vater und vierfache Großvater völlig der Ehrenamtlichkeit hingibt. Wenn in der Familie etwas zu reparieren ist, steht der Ingenieur samt Werkzeugkiste und Schweißgerät Gewehr bei Fuß. Braucht der Netz- und Heimwerker eine Schaffenspause, zieht es ihn mit seiner Frau Petra Weirauch-Schmachtenberg, einer Psychotherapeutin, an die niederländische See oder nach Südfrankreich. Bei einem guten Glas Rotwein wird Schmachtenberg dann über das nachdenken, was ihn im Unruhestand noch kitzeln könnte.

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