Abhängig von Putins Rohstoffen: Wo ein Handelskrieg mit Russland die deutsche Wirtschaft treffen könnte
Der Westen reagiert mit Sanktionen auf die Eskalation in der Ukraine. Ein Handelskrieg kann beide Seiten ökonomisch schwer belasten. Denn auch Putin hält einige Trümpfe in Händen. Erdgas ist nur einer davon.
Einen Aufmarsch Zehntausender Soldaten, TV-Bilder von Menschen auf der Flucht und Truppen, die feindselig in einen Nachbarstaat eindringen hat Europa seit vielen Jahren nur mehr aus der Ferne gesehen. Die Furcht vor einer Atommacht Russland, die unberechenbar geworden ist, martialische Machtdemonstrationen, Blockbildung und Stellvertreterkriege schienen Relikte aus dem Kalten Krieg zu sein, längst Geschichte. In dieser Woche holte Wladimir Putin all das in die Gegenwart zurück. Und anders als in den vorangegangenen Konflikten in Georgien oder bei der Okkupation der Krim ist der Westen diesmal bereit, dem Kremlpotentaten die Stirn zu bieten.
Erste Sanktionen werden unmittelbar als Reaktion auf die militärische Eskalation in der Ukraine verhängt. Wo das Sanktionskarussell enden wird, ist aber noch völlig ungewiss. Dabei erscheint das ökonomische Kräfteverhältnis zwischen der EU und Russland nur auf den ersten Blick eindeutig.
Das Münchner Ifo Institut bescheinigt Russlands Volkswirtschaft in einer Analyse zwar „jenseits des Energiemarkts“ eine „untergeordnete Rolle“ als Handelspartner der EU und veranschaulicht das mit einem Größenvergleich der Bruttoinlandsprodukte. Das russische entspreche gerade einmal der „kombinierten Wirtschaftsleistung von Belgien und den Niederlanden“.
In vielen Bereichen ist Russland weitgehend autark
Ein genauerer Blick offenbart aber, dass Russlands Exporte nach Deutschland sich auf nur drei Sektoren, nämlich Rohstoffe, Bergbau und Metalle, konzentrieren, in denen zum Teil große Abhängigkeiten bestehen. 93 % der aus Russland eingeführten Warenwerte lassen sich diesen Sektoren zuordnen.
Im Gegensatz dazu importiert Russland Fahrzeuge, Computer, elektronische Waren, Textilien und Agrargüter aus der EU. Allein die Maschinenexporte erreichen aber einen Anteil von 20 % an den gesamten russischen Einfuhren der jeweiligen Güter. In vielen Bereichen ist Russland also weitgehend autark.
Während die proukrainische Allianz folglich als maximale ökonomische Waffe auf eine Abtrennung Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr (Swift-System) setzt, wie sie bereits gegenüber dem Mullahregime im Iran wirkungsvoll zum Einsatz kam, hält auch Russland eine Reihe von Trümpfen in Händen. Die Erdgaslieferungen nach Westeuropa sind nur einer davon. Und womöglich nicht einmal mehr der mächtigste. Denn seit Wochen bemühen sich die EU und die Bundesregierung auch mittels einer fieberhaften Reisediplomatie um zusätzliche Gaslieferungen von anderen Partnerländern.
Die Heizperiode endet – die Gefahr eines Importstopps für russisches Gas scheint vorerst gebannt
Am Samstag letzter Woche machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Münchener Sicherheitskonferenz deutlich: „Heute kann ich Ihnen mitteilen, dass – selbst bei einer völligen Unterbrechung der Gasversorgung durch Russland – wir diesen Winter auf der sicheren Seite sind.“
Es sind die LNG-Transporte, die auf Betreiben der EU-Energiekommissarin Kadri Simson auf den Weg gebracht wurden, die Deutschland jetzt mit absichern, falls Putin nicht liefert. Wie teuer dieses Gas dann wird, bleibt abzuwarten.
Wenn Russland den Gashahn zudreht: Woher kommen die Alternativen?
Wirtschaftsminister Robert Habeck schwört die Deutschen schon einmal auf die Konsequenzen ein: „Ich will noch einmal betonen, dass Krieg Preise treibt.“ Damit muss er nicht nur russisches Gas gemeint haben. Auch Erdöl beziehen die Länder der Europäischen Union zu gut einem Viertel aus Russland – und Steinkohle. Ifo-Präsident Clemens Fuest warnte bereits in der Vorwoche: „Selbst wenn die Gaslieferungen nicht eingeschränkt würden, käme es zu einem Preisschock.“ Die Inflationsrate, ohnehin für 2022 vom Ifo Institut schon bei 4 % erwartet, „könnte noch höher ausfallen“, so Fuest.
Palladium, Nickel, Aluminium – Russlands Drohpotenzial für die Rohstoffversorgung im Westen ist breit gefächert
Auch weil weitere Rohstoffe die Teuerung zusätzlich anfeuern dürften. Aluminium, unverzichtbarer Werkstoff unter anderem der hiesigen Automobilindustrie, stammte nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) 2020 zu rund 22 % aus Russland. In den Jahren davor habe der russische Anteil sogar über 30 % gelegen (s. auch S. 16). Wenigstens ein weiteres Industriemetall bereitet der Automotive-Industrie mindestens genauso große Sorgen: Palladium. Das Edelmetall, das in der Abgasreinigung zum Einsatz kommt, hat sich im Zuge des Konflikts in der Ukraine seit Jahresbeginn bereits um mehr als 25 % verteuert. Russland dominiert den Weltmarkt mit einem Marktanteil von 42 %. Auch die metallische Alternative zu Palladium im Katalysatorenbau, Platin, stammt zu 13 % aus Putins Reich. Für Nickel trifft das sogar auf 49 % der weltweiten Produktion zu.
„Man muss deutlich sagen, dass Sanktionen auch unsere eigene Wirtschaft hart treffen werden.“ Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
Aluminiumpreis schießt nach oben
Ebenfalls sensibel für den Russlandkonflikt sind die Düngemittelpreise und damit mittelbar die Preise von Agrarerzeugnissen. Kalisalze, die den Stoffwechselprozess von Pflanzen und damit das Wachstum beschleunigen, kommen zu ca. einem Drittel des weltweiten Bedarfs aus Russland und dem verbündeten Belarus. Die im Sommer 2021 gegen die belarussische Kaliindustrie verhängten Einfuhrbeschränkungen in die EU gingen bereits mit einer regelrechten Preisexplosion bei dem begehrten Mineraldünger einher. Um mehr als 60 % hat sich Kornkali seit dem Juli 2021 verteuert. Und das, obwohl bislang nur bestimmte Kaliprodukte, etwa die Hälfte der Exporte aus Belarus, von den Strafmaßnahmen erfasst wurden.
Die bedeutendsten Rohstoffhändler der Welt
Krimsanktionen kosten deutsche Wirtschaft jährlich 5 Mrd. € – Russland aber bedeutend mehr
Die bislang wegen der Besetzung der Krim verhängten Sanktionen, die noch immer in Kraft sind, haben laut Berechnungen des Ifo Instituts insofern ihr Ziel erreicht, als sie Russland tatsächlich einen weitaus stärkeren Schaden zugefügt haben, als die europäischen Volkswirtschaften zu verkraften hatten. So gehen die Experten davon aus, dass die deutsche Wirtschaftsleistung durch die Strafmaßnahmen jährlich um rund 5 Mrd. € gemindert wird. Das wären nur 0,16 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Auf der Gegenseite schlagen die wirtschaftlichen Einbußen mit etwa 1,2 % zu Buche. Die Ifo-Experten glauben, dass dieses Verhältnis auch bei weiteren wirtschaftlichen Beschränkungen erhalten bliebe. „Würden weitere Sanktionen verhängt, könnten diese die deutsche Wirtschaft zusätzlich belasten, aber die russische Wirtschaft noch deutlich stärker“, sagt Lisandra Flach, die beim Ifo Institut das Zentrum für Außenwirtschaft leitet, in einem Pressestatement vom Ende voriger Woche.
Schreckmoment im Dax, dann fängt sich der Börsenindex wieder
Auch die deutsche Börse teilte zu Wochenmitte diesen Optimismus. Der Deutsche Aktienindex Dax knickte in erster Reaktion auf das Einrücken russischer Panzer und Truppen in die selbsterklärten Volksrepubliken im Osten der Ukraine zwar kurz ein, erholte sich im Tagesverlauf aber wieder. Offenbar verlassen die Börsianer sich darauf, dass Putin mit den Sanktionen zu packen sein wird.
Ein Blick auf die Vergangenheit mahnt, dass die insgesamt verkraftbaren Kosten von Handelsrestriktionen gegen Russland für einzelne Branchen durchaus relevant sein können. Das trifft besonders auf den Fahrzeug- und den Maschinenbau zu. Dieser büßte verglichen zu der Zeit vor der Krimkrise bis zum Jahr 2018 die Hälfte seiner Exporte nach Russland ein, jener immerhin 20 % seiner Ausfuhren.
Sachsen leidet stärker unter einem Handelskrieg mit Russland als Bayern
Auch regional sind verschiedene Regionen Deutschlands unterschiedlich stark von den bestehenden Sanktionen betroffen. Eine Befragung der IHK Düsseldorf im Verbund mit dem Ifo Institut kam 2021 zu dem Ergebnis, dass weniger als ein Drittel der bayerischen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit mit Russland eingeschränkt sehen, aber 61 % der befragten sächsischen Unternehmer.