Chemie: Gewerkschaft IGBCE fordert Staatshilfen für Energiewende
Die Industriegewerkschaft IGBCE will eine Reform der Schuldenbremse und Staatshilfen für die energieintensive Industrie in Deutschland, als Ziel einen Industriestrompreis von 5 Cent/kWh.
Die Energiewende in Deutschland kostet viel Geld, besonders die energieintensiven Industriezweige wie Chemie, Glas, Papier oder Bergbau bekommen das zu spüren. Die Industriegewerkschaft IGBCE (Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie) will jetzt, dass ein breiter Investitionspakt zwischen Sozialpartnern und Politik zustande kommt, um den Standort Deutschland aus der Defensive zu holen. Der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis fürchtet, es entstünde sonst „nachhaltig Schaden“. Alle müssten jetzt beherzt investieren: die Wirtschaft in ihre Beschäftigten und die Binnennachfrage, die öffentliche Hand in den klimagerechten Umbau der Industrie und in verbesserte Rahmenbedingungen für den Standort. Die IGBCE nennt das einen „breiten Investitionspakt für Zukunftsoptimismus“.
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Gewerkschaft IGBCE: Verlustängsten in der Bevölkerung durch Investitionen in die Zukunft begegnen
Sprich: Auch der Staat soll Geld in die Hand nehmen, um den Umbau der Industrie abzusichern, auch um gesellschaftlich positive Perspektiven aufzeigen zu können. Die Bundesregierung habe bisher aus der Haushaltskrise die falschen Schlüsse gezogen: „Wir brauchen keine Kahlschlag-Sparkeule, wir brauchen eine Investitionsoffensive in die klimagerechte Modernisierung unserer Industrie.“ Es müsse ein breiter Konsens der Demokraten organisiert werden, um die Schuldenbremse zu reformieren und Zukunftsinvestitionen des Staates künftig davon auszunehmen.
Gewerkschaft: Für Transformation der deutschen Industrie fehlt schlüssige Strategie
Hintergrund von Vassiliadis‘ Forderung ist die schlechte Stimmung im Land, die sich auch im Rahmen einer Umfrage unter 3300 Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern gezeigt hat: Demnach hätten Zukunftspessimismus und finanzielle Sorgen auch die breite Mittelschicht unter den Beschäftigten erreicht, zu denen die meisten IGBCE-Mitglieder zählten, berichtete der Vorsitzende. Drei von vier Beschäftigten in den IGBCE-Branchen müssten sich inzwischen beim Haushaltsbudget einschränken, 55 % beurteilten ihre persönliche wirtschaftliche Lage derzeit als schlechter als vor einem Jahr. 59 % blickten für sich persönlich pessimistisch auf 2024.
Vassiliadis: Gewerkschaften sehen sich als Bollwerk gegen Rechts
Diese Forderung stellte Vassiliadis in den Zusammenhang mit hohen Umfragewerten für die AfD und verwies auf die Geschichte der deutschen Gewerkschaften im Dritten Reich: „Die freien Gewerkschaften haben sich damals als Bollwerk gegen rechte Ideologien verstanden. Sie tun das auch heute noch, und gerade weil der damalige Kampf nicht erfolgreich war. Wie wichtig das in diesen Tagen ist, zeigen die Enthüllungen über die – ich nenne sie ‚Deportationsplanungen‘ rechter Ideologen“, sagte der IGBCE-Chef mit Verweis auf das Treffen rechtsextremer Parteigänger in einem Potsdamer Hotel im September 2023. „Wir werden uns jedenfalls den Rechten, aber auch eben ihrer Politik und ihren ideologischen Ansichten entgegenstellen und für unser Land, unsere Demokratie, die die deutschen Gewerkschaften mitgestaltet haben, kämpfen“, sagte Vassiliadis.
Umso zufriedener war der IGBCE-Chef mit der Entwicklung der Mitgliederzahlen: Zwar sinke insgesamt die Zahl aufgrund der Verrentung und von Todesfällen auch in der IGBCE, in den Betrieben aber gebe es einen Nettozuwachs um 0,7 %. Die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften insgesamt zeige, dass es Aufmerksamkeit gebe für die Gewerkschaften, Menschen würden sich wieder verstärkter den Gewerkschaft zuwenden. „Wir sind als Inbegriff gesellschaftlicher Solidarität gefragt, quasi als Gegenentwurf zu Spaltung und Intoleranz. Wir werden wahrgenommen als Sicherheitsanker und entscheidende Unterstützer gegen die Unbillen von massiven Preissteigerungen.“
Gewerkschaft IGBCE: Industriestrompreis unter 5 Cent/kWh nötig
Mit der Forderung nach staatlichen Investitionen zugunsten des Industriestandorts Deutschland für die Energiewende hatte erst am 13. Januar 2024 die IG-Metall-Chefin Christiane Benner gefordert, ein eigenes Sondervermögen des Bundes in Höhe von 600 Mrd. € für die Transformation hin zu erneuerbaren Energien und einer Wasserstoffwirtschaft einzurichten. „Die Industrie befindet sich in der kritischsten Phase seit Gründung der Bundesrepublik“, sagte Benner, die als Chefin die größte deutsche Industriegewerkschaft vertritt (die IGBCE folgt danach auf Platz zwei). Auch Benner warnte, es gelte zu handeln, „bevor etwas ins Rutschen gerät“, zitierte sie die Deutsche Presseagentur.
Vassiliadis forderte konkret …
- … staatlich abgesicherte Pools zur Finanzierung von Wind- und Solarkraftanlagen,
- … ein stärkeres Engagement des Bundes bei den Netzbetreibern, zumindest vorübergehend kann er sich einen Einstieg des Bundes vorstellen
- … einen Vorrang für energieintensive Betriebe bei der Versorgung mit Grünstrom. „Es ist doch relativ logisch, dass man grünen Strom dort einsetzen sollte, wo das Elektron das höchste CO2-Minderungspotenzial entwickelt“, so Vassiliadis.
- Schriftlich forderte die IGBCE, den Preis erneuerbaren Stroms für die Industrie auf 5 Cent/kWh zu drücken.
Zum Vergleich: Der Wert von 5 Cent/kWh liegt deutlich unter den derzeitigen Börsenstrompreisen, die im Rahmen des Krieges in der Ukraine stark gestiegen sind. Zwar sinken sie seit 2022 wieder deutlich, lagen im Schnitt im Dezember 2023 nach Angaben des Bundesstatistikamts Destatis aber immer noch an der Börse bei fast 70 €/MWh, also fast 7 Cent/kWh.