Fachkräftemangel: Regierung spielt die „Chancenkarte“ aus
In dieser Woche hat das Bundeskabinett einen Entwurf zu einem neuen Einwanderungsgesetz vorgestellt. Es sieht das neue Instrument der „Chancenkarte“ vor. Kritik ließ nicht auf sich warten.
Der Entwurf für das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz enthält neben verschiedenen Erleichterungen – etwa beim Familiennachzug und der Anerkennung von Berufsabschlüssen – die Einführung einer sogenannten „Chancenkarte“. Sie funktioniert auf Basis eines Punktesystems. Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug – das sind Kriterien, die bei der Errechnung der Punktzahl berücksichtigt werden sollen. Schon während der Arbeitsplatzsuche ist eine Beschäftigung im Umfang von bis zu 20 Wochenstunden erlaubt, auch die Probebeschäftigung bei einem zukünftigen Arbeitgeber für bis zu zwei Wochen. Außerdem wird für Branchen mit besonders großem Bedarf erstmals eine kontingentierte kurzzeitige Beschäftigung geschaffen. Wer über diesen Weg kommt, darf unabhängig von einer Qualifikation acht Monate in Deutschland arbeiten. Voraussetzung ist ein tarifgebundener Arbeitgeber. Die Beschäftigung wird vom ersten Tag an sozialversicherungspflichtig sein.
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Berufsabschluss im Herkunftsland kann auch nachträglich in Deutschland anerkannt werden
Der Entwurf sieht vor, dass die sogenannte Chancenkarte qualifizierten Ausländern und Ausländerinnen ein Jahr Zeit gibt, um in Deutschland einen Arbeitsplatz zu finden. Über den Punkt Berufserfahrung wird Arbeitskräften die Einwanderung ermöglicht, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss haben. „Jedoch ist eine Gehaltsschwelle einzuhalten oder der Arbeitgeber muss tarifgebunden sein. Der Berufsabschluss muss künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein – das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren“, betont Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.
Wer einen Abschluss hat, der in Deutschland anerkannt ist, soll laut Gesetzentwurf künftig auch in einem anderen qualifizierten Job arbeiten dürfen. Wer seinen Berufsabschluss in Deutschland anerkennen lassen will, kann das künftig auch erst nach der Einreise nach Deutschland tun. Der Wechsel in Aufenthaltstitel zu Erwerbs- oder Bildungszwecken ist laut Entwurf erlaubt. Bei der geplanten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts gibt es innerhalb der Koalition noch Abstimmungsbedarf mit der FDP. Die Liberalen sind zwar nicht dagegen, die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Nicht-EU-Bürger grundsätzlich zu ermöglichen. Auch die Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit im Regelfall von acht Jahren auf fünf Jahre findet ihre Zustimmung. Bei anderen Voraussetzungen für die Einbürgerung – Sprache und Sicherung des eigenen Lebensunterhalts – wollen die Liberalen jedoch keine Abstriche machen und weniger Ausnahmen zulassen.
Technische Fachkräfte werden von Personalern „geghostet“
DIHK-Chef sieht eine Vergrößerung der Komplexität des Aufenthaltsrechts
Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, hält eine Novelle des seit drei Jahre geltenden Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für unnötig. Wichtiger wäre es aus ihrer Sicht, praktische Probleme bei der Umsetzung zu lösen. Dazu gehöre die Beschleunigung der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen. Auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der die Reform generell positiv beurteilt, sagte: „Gesetze sind das eine, Prozesse und Abläufe das andere.“ In den deutschen Visastellen und Ausländerbehörden müssten die Abläufe schneller, einfacher und digitaler werden, „anstatt weitere bürokratische Luftschlösser zu errichten“. Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), sagte gegenüber der Rheinischen Post, dass er den Entwurf für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz grundsätzlich begrüßt, aber vor neuen bürokratischen Hürden für Fachkräfte aus dem Ausland warnt: „Die aktuellen Vorschläge zur Reform gehen in der Intention in die richtige Richtung. Zum Beispiel mit Erleichterungen für eine Zuwanderung ohne formal anerkannte Berufsqualifikation oder mit der Möglichkeit, ein Anerkennungsverfahren erst in Deutschland anzustoßen“, sagte er. „Die konkrete Ausgestaltung der Regelungen vergrößere allerdings an etlichen Stellen die hohe Komplexität des Aufenthaltsrechts.“