Klare Kante gegen rechts
Die Vorkommnisse in Chemnitz beunruhigen sächsische Firmen und Hochschulen. Die Politik solle handeln.
Die Frau geht in die Offensive. Judith Borowski will nicht kommentarlos hinnehmen, was sich in Chemnitz und Umgebung abspielt. In einer Zeit, in der sich Sachsen von seiner hässlichsten Seite zeigt, fühlt sich nicht nur die Bürgerin Borowski von braunem Gedankengut attackiert, sondern auch die Unternehmerin Borowski.
Hintergrund: In Chemnitz instrumentalisieren Rechtsextreme den Mord an einem Deutschen. Tatverdächtig sind ein Syrer und ein Iraker. Während die einen trauern, glauben andere, Ausländer durch die drittgrößte Stadt Sachsens jagen zu müssen. Große Teile der Bevölkerung schauen wortlos zu. Menschen wie Judith Borowski, seit 2004 Geschäftsführerin der Uhrenmanufaktur Nomos im sächsischen Glashütte, gruselt das.
„Wir beobachten bei einigen unserer Mitarbeiter, dass sie Angst haben, ihre Meinung zu äußern, wenn sie dagegen sind, wenn sie nicht bei Pegida mitmarschieren wollen.“ Nomos Glashütte will „ein bisschen anders sein und weltoffener ticken“. Das gefalle längst nicht jedem. Das Gute daran sei, so Borowski, dass die meisten AfD-Sympathisanten einen Bogen um den Arbeitgeber Nomos machten. Das sei wichtig, weil man auch ausländische, homosexuelle und behinderte Mitarbeiter beschäftige. „Wir wollen, indem wir über Rechtsextremismus diskutieren, dafür sensibilisieren – und unseren Kolleginnen und Kollegen das Rückgrat stärken.“ In Kooperation mit dem Verein Open Saxony führt Nomos Glashütte Schulungen für Mitarbeiter durch, wo die Polemiken von rechts untersucht werden: Was steckt dahinter? Was ist Fakt und was nur Meinungsmache? Wie geht man damit um, wenn jemand im Team Verständnis für rechtslastige Parolen äußert oder ihnen gar anhängt?
Judith Borowski erstaunt, dass „die Menschen, die 1989 für die Demokratie auf die Straße gingen – und das waren ja allen voran die Sachsen –, jetzt auf Rechtsstaat und Demokratie pfeifen.“ Rund 40 % der wahlberechtigten Bürger in Glashütte hatten sich bei der Bundestagswahl 2017 für die AfD entschieden. „Und das in einer Region, wo nahezu Vollbeschäftigung herrscht, wo es vergleichsweise wenige Ausländer gibt und wo die Gehälter teilweise höher sind als in Berlin.“
Wirtschaftliche Aspekte könnten also nicht die eigentliche Ursache sein, die Flüchtlingsfrage, die von extremen Rechten aufgebauscht werde, auch nicht. Borowski: „Ich glaube eher, dass viele Angst haben, nicht mehr mithalten zu können, und starke Veränderungsmüdigkeit empfinden.“ Die Folgen der „etwas rumplig“ verlaufenen Wiedervereinigung hätten die Menschen oft individuell schultern müssen. „Dann Globalisierung und Digitalisierung – vielen reicht es mit den Lebensänderungen.“ Für manche sei das Tempo zu hoch. Die Antwort könne nur mehr Empathie sein. „Ausgrenzen hilft nicht, nie.“ Das sei nicht nur ein humanitärer, sondern auch ein wirtschaftlich notwendiger Akt.
Die wenigsten Unternehmen wollten an Standorten investieren, die von Intoleranz und Fremdenhass geprägt sind und in denen der Rechtsstaat mit Füßen getreten werde, meint Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Sachsen ist schon jetzt eine Region, aus der viele junge Menschen wegziehen und wo sich Fachkräfte rar machen.“ Eine noch stärkere politische Polarisierung könnte im Osten Deutschlands weitreichende negative Folgen haben. „Die Politik in Sachsen muss sich aktiv für mehr Vielfalt und Zuwanderung einsetzen.“
Marcel Thum, Leiter der Niederlassung Dresden des ifo Institut für Wirtschaftsforschung, will das Problem nicht kleinreden, glaubt aber auch nicht, dass ein Unternehmen einen Auftrag nicht mehr vergibt, nur weil der Partner in Sachsen sitzt. Probleme ergäben sich jedoch vor allem für Industrieunternehmen bei überregionaler und internationaler Rekrutierung. Hoch qualifiziertes Personal könne die Region meiden.
Tatenlos schauten die Arbeitgeber der Entwicklung nicht zu. Thum: „Einige große Unternehmen versuchen Gegenwind zu erzeugen, etwa indem sie das ,Wir sind mehr‘-Konzert gegen rechts unterstützten.“ Im Verband Weltoffenes Sachsen kümmerten sich Unternehmen um Zuwanderer und deren Partner. Die Politik müsse ihren Teil zur Gesundung des sächsischen Ansehens beitragen, allerdings weniger durch Kurzauftritte als vielmehr durch langfristige Strategien. „So muss die sächsische Polizei das Image loswerden, blind auf dem rechten Auge zu sein“, meint Thum.
Um den Wissenschaftsstandort Sachsen fürchtet der Wirtschaftsprofessor nicht. „Zumindest diejenigen internationalen Forscher und Fachkräfte, die länger in Dresden oder Leipzig leben, fühlen sich hier in der Regel gut aufgenommen.“
Den Hochschulen des Freistaats setzt das fremdenfeindliche Image indes stark zu. Die TU Chemnitz weist im Internet besorgte Studierende, Studieninteressierte und Eltern darauf hin, dass die Ereignisse der vergangenen Tage nicht repräsentativ für den Alltag in der Stadt seien. Die TU Dresden und die Landesrektorenkonferenz Sachsen betonen in einer Stellungnahme, dass „unantastbare Werte“ wie Weltoffenheit, Toleranz und Respekt bedroht seien. „Wir erleben, dass Sachsen inzwischen ein massives Problem mit Rechtsextremismus hat, das jahrelang von großen Teilen der Politik und den Behörden unterschätzt und teilweise sogar verharmlost wurde.“ Die Hochschulen wollen sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen. „Wir sind gefordert, für diese Werte deutlicher einzustehen und uns in den gesellschaftlichen Diskurs stärker einzubringen.“