Pro und Kontra: Rente mit 63
In der Redaktion der VDI nachrichten gehen die Meinungen über den vorzeitigen Ausstieg aus dem Beruf auseinander. Chefredakteur Ken Fouhy hält ihn für falsch, weil Erfolge auf dem Arbeitsmarkt damit rückgängig gemacht werden. Redakteur Hartmut Steiger hält ihn für richtig, weil viele Beschäftigte nach 45 Jahren ausgebrannt sind.
Pro
Ausgepowert: Wer die Debatte um die jüngste Rentenreform verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, als würden sich die Deutschen bald kollektiv in den Vorruhestand verabschieden. Schon die Bezeichnung „Rente mit 63“ ist nur halb richtig. Nicht die Rente mit 63 wurde vom Kabinett beschlossen, es wurde ein Weg bereitet, zwei Jahre vor der regulären Altersgrenze aus dem Beruf auszuscheiden. Denn auch für die vorzeitige Rente steigt in den kommenden Jahren das Eintrittsalter – wie für die Regelaltersrente.
Wer wird davon in erster Linie betroffen sein? Auf die geforderten 45 Beitragsjahre kommen nur Arbeitnehmer, die lange gearbeitet haben und deren Tätigkeit, trotz allem Fortschritt im Arbeits- und Gesundheitsschutz, nach wie vor körperlich belastend ist. Es sind Menschen, die mit 15 oder 16 Jahren eine Lehre begonnen haben und die nach Jahrzehnten in Industrie, Bau oder Handwerk ausgebrannt sind. Und deren weitere Lebenserwartung bei Rentenbeginn deutlich niedriger ist als die von gut Verdienern. Von einem Privileg, wie oft zu hören, kann nicht die Rede sein.
Ob die abschlagsfreie Rente, in Verbindung mit Arbeitslosengeld, in großem Stil zu Frühverrentungen führt, wie Arbeitgeber befürchten, hängt vor allem von ihnen selbst ab. Sie haben es in der Hand, ob sie mit Abfindungen Kündigungen schmackhaft machen. Wenn die Fachkräftelücke in einigen Jahren so groß ist, wie immer behauptet wird, dann dürften Arbeitgeber gar kein Interesse haben, Ältere mit dem Goldenen Handschlag vorzeitig nach Hause zu schicken. Ein Interesse müssten sie dagegen daran haben, Arbeitsplätze so zu gestalten, dass die Beschäftigten darauf älter werden können. Auch in den White-Collar-Jobs steigt in Zeiten von Projektarbeit und Renditewahn die Belastung – nicht die körperliche, aber die psychische.
Doch diese Änderungen sind nur Flickwerk. Eine Reform, die diesen Namen verdient, müsste versicherungsfremde Leistungen herausnehmen, flexible Übergänge in die Rente eröffnen und für alle Erwerbstätigen eine gemeinsame Altersversorgung schaffen.
Kontra
Verschwendung: Die Rentenreform der Großen Koalition schafft Unsicherheit und gefährdet das Wachstum bei der Zahl der Erwerbstätigen. Sie vernichtet Reformen von etlichen Regierungen aller politischen Prägung seit 1989 und ignoriert demografische und volkswirtschaftliche Fakten. Anfang der neunziger Jahre kamen auf jeden Rentner vier Erwerbsfähige. Bis 2030 werden es nur noch zwei Erwerbsfähige sein. Ohne die Rentenreform 2014 wäre der Rentenbeitragssatz bis 2030 von derzeit 18,9 % auf 21,6 % angestiegen. Nach der Reform wird eine Einhaltung der gesetzlich festgeschriebenen Beitragsgrenze von 22 % nur durch Steuerzuschüsse möglich sein.
Steigende Rentenbeiträge verteuern die Arbeitskosten und untergraben die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Produktionsstandort. So wird es fraglich, ob die Zahl der Erwerbstätigen von der derzeitigen Rekordhöhe von 42 Mio. weiter ausgebaut werden kann.
Die Absenkung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre für Versicherte mit 45 Beitragsjahren soll nach Berechnungen Mehrkosten von zunächst jährlich 2 Mrd. € und bis 2030 jährlich 3,1 Mrd. € verursachen. Diese Berechnung berücksichtigt aber nicht die erhöhten Rückstellungen, die Unternehmen für Betriebsrenten bilden müssen. Insbesondere berücksichtigt sie nicht den schlagartigen Wissensverlust, den diese Umstellung in den Unternehmen und Instituten verursachen wird.
Vor allem ist diese Rentenreform unnötig. Denn Arbeitnehmer, die körperlich stark belastet sind, können selten 45 Jahre arbeiten und müssen bereits heute mit anderen Maßnahmen bis zum Rentenalter unterstützt werden. Sie profitieren kaum von dieser Rentenreform.
Angesichts des demografischen Wandels sollte die Politik die Rahmenbedingungen für ältere Arbeitnehmer, die ihr Wissen und Können über das Rentenalter hinaus in die Gesellschaft einbringen möchten, verbessern. Statt mit Rentenabschlägen für die Frühverrentung, könnte man mit Zuschlägen für längere Beschäftigte arbeiten. Das wäre eine Klientelpolitik, die ich persönlich sehr begrüßen würde.
Vorzeitige Rente
- Wer 45 Beitragsjahre nachweist, kann ab 1. 7. 2014 mit 63 Jahren ohne Abschläge seine Rente beziehen. Bis 2029 steigt dieses Eintrittsalter auf 65 Jahre. Der reguläre Rentenzugang liegt dann bei 67 Jahren.
- Für die vorzeitige Rente werden angerechnet:
- Pflichtbeiträge aus Beschäftigung und Selbstständigkeit
- Pflege von Angehörigen, Erziehung von Kindern, Wehr- und Zivildienst
- Arbeitslosigkeit (ALG I), Kurzarbeit, berufliche Weiterbildung
- Zeiten der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. has