Russlands Nachbarn unterstützen die Ukraine am stärksten
Welche Staaten leisten der Ukraine die größte Hilfe? Antworten liefert eine Studie des IfW Kiel. Für Deutschland ergibt sich ein gemischtes Bild.
„Das Ziel ist es, das ukrainische Militär so zu ertüchtigen, dass es sich des russischen Angriffs erwehren kann“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend. Weil die Bundeswehr über keine großen Bestände mehr verfüge, die sie abgeben könne, arbeite man eine von der ukrainischen Regierung erstellte Liste ab, was die deutsche Industrie liefern könne. Scholz betonte dabei die enge Abstimmung mit den Nato-Verbündeten.
Doch wie groß ist die deutsche Unterstützung tatsächlich im Vergleich zu jener aus den verbündeten Staaten? Aufschluss dazu gibt der vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) erstellte „Ukraine Support Tracker“. Erste Auswertungen aus dieser Mitte der Woche vorgestellten Datenbank für staatliche Unterstützungsleistungen an die Ukraine ergeben: Hilfen an die Ukraine seit Kriegsausbruch sind sehr ungleich verteilt zwischen den Staaten, und ihr Umfang richtet sich meist nicht an der Wirtschaftsleistung der Geberländer aus.
USA sind der größte Geldgeber für die Ukraine
Die USA sind den öffentlich bekannten Zahlen zufolge mit umgerechnet 7,6 Mrd. € seit Kriegsausbruch der größte Unterstützer der Ukraine (Datenstand 27. März 2022). Alle EU-Länder zusammen kommen auf 2,9 Mrd. €, plus 1,4 Mrd. € aus den EU-Institutionen und 2 Mrd. € von der Europäischen Investitionsbank. Großbritannien, Kanada und Japan haben zusammen genommen Hilfen im Wert von 1 Mrd. € zugesagt. „Es ist beachtlich, dass alleine die USA deutlich mehr gibt als die gesamte EU, in deren unmittelbarer Nachbarschaft der Krieg tobt“, sagt Christoph Trebesch, Forschungsdirektor am IfW Kiel. Der Ukraine Support Tracker erfasst systematisch den Wert der Unterstützung, die Regierungen von 31 westlichen Ländern der Ukraine seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 im ersten Kriegsmonat zugesagt haben.
Sieben Videoempfehlungen zum Ukrainekrieg
Deutschland steht bei den Zahlungen für humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe mit knapp einer halben Milliarde Euro auf Platz vier der untersuchten 30 Staaten, wobei der größte Teil auf humanitäre Zwecke entfällt.
Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist Estland der größte Unterstützer der Ukraine, gefolgt von Polen und Litauen. Die USA sind hier auf dem sechsten Rang, Deutschland steht erst auf dem zwölften Rang, wobei hier indirekt über die EU geleistete Hilfen nicht enthalten sind. „Die räumliche Nähe zu Russland oder der Ukraine spielt offensichtlich eine große Rolle für das Engagement einiger osteuropäischer Länder. Aber auch Großbritannien sticht sowohl absolut wie relativ zur Wirtschaftsleistung als Unterstützer der Ukraine hervor“, so Trebesch.
Die US-Regierung hatte erst kürzlich ein Waffenpaket im Umfang von 800 Mio. € genehmigt. Das weite Spektrum der Waffen reicht von Hubschraubern russischer Bauart über 200 gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ M113 bis zu Sprengstoff vom Typ C-4. Er kommt zum Einsatz bei Brückensprengungen oder in Sprengfallen gegen russische Nachschubkonvois.
Tschechien hatte als erstes Nato-Mitglied bereits Anfang April aus der Sowjetzeit stammende Kampfpanzer des Typs T-72 und Schützenpanzer aus der gleichen Ära in die Ukraine geliefert. Erst am Dienstag hatte das tschechische Verteidigungsministerium angekündigt, dass der Rüstungskonzern Czechoslovak Group (CSG) im Gefecht beschädigte Panzerfahrzeuge der ukrainischen Streitkräfte reparieren werde. Das Nachbarland Slowakei hatte das Flugabwehrsystem S-300 in die Ukraine geliefert, um die absolute Luftüberlegenheit der russischen Luftstreitkräfte zu verhindern.
Großbritannien lieferte NLAW an die Ukraine
Die unter anderem von Großbritannien überlassenen schultergestützten Panzerabwehrsysteme des Typs NLAW ermöglichten den ukrainischen Kämpferinnen und Kämpfern, die russischen Nachschublinien so wirksam zu unterbrechen, dass die russischen Streitkräfte die Einkreisung von Kiew abbrachen.
„Wir können nicht das volle Bild liefern, weil gerade militärische Hilfen an die Ukraine nicht immer transparent sind. Aber wir haben akribisch öffentlich bekannte Hilfen erfasst und bewertet“, sagt Forschungsdirektor Trebesch. „Damit können wir die Hilfen an die Ukraine systematisch vergleichen.“ Dass die Auswertung öffentlicher Quellen an Grenzen stößt, macht etwa die Aussage von Annalena Baerbock deutlich. Die Bundesregierung, erklärte die Außenministerin während ihrer Baltikumreise, habe sich dafür entschieden, nicht alle Waffen, die sie zur Unterstützung der Ukraine geliefert habe, öffentlich zu machen.
Dieses Video des österreichischen Bundesheeres analysiert die Abwehr eines russischen Panzerangriffs bei Kiew.
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Der in den USA lehrende Politologe Georg Löfflmann erkennt in den von Nato-Land zu Nato-Land unterschiedlichen Typen der gelieferten Waffen ein Muster: „Es scheint, dass Länder, die westliche Panzertypen im Einsatz haben, sich darauf konzentrieren, die Ukraine mit Artilleriesystemen wie Haubitzen, Granatwerfer, Artillerieaufklärungsradar auszustatten. Die osteuropäischen Länder liefern Kampfpanzer und Schützenpanzer aus Sowjetzeiten.“ Das habe den Vorteil, dass die Ukraine Letztere ohne vorheriges Training einsetzen könnten und die Logistikkette gesichert sei. Die Nato-Artillerie wiederum sei einfach zu bedienen. Wenn die osteuropäischen Staaten ihre an die ukrainische Armee abgegebenen Bestände durch westliches Material ersetzen, treibe dies wiederum die Standardisierung in der Nato voran.
Deutschland bildet ukrainische Soldaten an Panzerhaubitzen 2000 aus
Doch unter dem Druck der russischen Großoffensive in der Ostukraine hat die Nato offensichtlich diese Arbeitsteilung aufgegeben. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht zufolge will Deutschland sich an der Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten und der Ausstattung mit Munition von Panzerhaubitzen 2000 beteiligen. Die Artilleriesysteme aus deutscher Fertigung wollen die Niederlande an die Ukraine liefern.
Die Drohnen des Ukrainekrieges
Die bisherige Strategie der Bundesregierung, Waffen für die Ukraine zu finanzieren, aber keine schweren zu liefern, hatte der Münchner Politologe Frank Sauer zu Beginn der russischen Offensive so kommentiert: „Jetzt wird sich zeigen, ob man russische Panzer abwehren kann, indem man sie mit Geldbündeln aus Deutschland bewirft.“