Streit um Gas im Mittelmeer
Das östliche Mittelmeer ist reich an Kohlenwasserstoffdepots. Doch politisches Gerangel behindert bisher die Ausbeutung der Gasfelder. Jetzt macht ein 15-Mrd.-$-Deal Hoffnung, vor allem für Israel.
Mitte Februar: Das vom italienischen Öl- und Gaskonzern ENI gechartete Explorationsschiff „Saipem 12 000“ sollte bei Zypern Bohrungen abteufen. Nur: Es kam aus dem Hafen von Larnaka nicht ins Zielgebiet, weil türkische Kriegsschiffe dies verhinderten. So harsch wurden die Streitigkeiten um die Gasfelder im östlichen Mittelmeer bislang nicht ausgetragen. Es ist schwierig in der Region: Ägypten, Israel, der Libanon, Zypern, die Türkei – sie alle haben Interessen im östlichen Mittelmeer.
Die Gasfunde im östlichen Mittelmeer könnten für Europa und Nordafrika den Weg zu einer verlässlichen Energiequelle öffnen. Doch bisher haben politische Gegensätze, Querelen über Eigentumsrechte und Finanzierung, den Transport oder die Verflüssigung immer wieder den Produktionsbeginn verzögert.
Zumindest lässt ein 15-Mrd.-$-Exportvertrag hoffen. Israels Delek-Gruppe und ihr Partner Noble Energy aus Texas haben mit Ägyptens Dolphinus-Holding die Lieferung von 64 Mrd. m3 Erdgas über zwölf Jahre kontrahiert. Yuval Steinitz, Israels Energieminister, preist dies als „wichtigsten Deal beider Länder seit dem Friedensvertrag von 1979“.
Doch es wäre kaum so weit gekommen, wenn nicht im riesigen Gasfeld Zohr vor der Küste Ägyptens (s. Grafik) ENI zu produzieren begonnen hätte – nur drei Jahre nach der Entdeckung von Zohr. Bei Leviathan, dem bereits vor sieben Jahren entdeckten Gasfeld vor der israelischen Küste, hat Konsortialführer Noble Energy erst vor Kurzem vom israelischen Parlament grünes Licht für das 3,75 Mrd. $ teure Projekt erhalten.
BP hält in Ägypten mit ENI nahezu Schritt und hat seit Kurzem im westlichen Nildelta die Produktion aufgenommen. All das geht darauf zurück, dass Ägypten über eine voll entwickelte Gasinfrastruktur und genügend Bedarf verfügt.
Derzeit zwar noch Netto-Importeur, hat Ägypten nun die Chance, sich ganz selbst zu versorgen. Claudio Descalzi, Vorstandschef von ENI, ist optimistisch für das 12-Mrd.-$-Projekt: Zohr könne „Ägyptens Energielandschaft total verändern, das Land nicht nur zum Selbstversorger, sondern zum Gasexporteur machen“.
Die Entwicklung der Gasreserven im östlichen Mittelmeer berge zwar riesige Chancen, könne aber auch die politische Landschaft der Region dramatisch verändern, warnt Emmanuel Karagiannis, Spezialist für Energiesicherheit am King’s College in London. Dabei sieht er die politischen Probleme als mindestens ebenso groß an wie die wirtschaftlichen.
Ägypten spiele, so Karagiannis, die Schlüsselrolle. Denn mit zwei derzeit zwar eingemotteten, aber betriebsbereiten Gasverflüssigungsanlagen könne sich das Land jederzeit entscheiden, das im Inland nicht benötigte Gas künftig via Pipelines durch das Mittelmeer nach Europa zu schicken – oder es als LNG (Liquefied Natural Gas: Flüssigerdgas) durch den Suezkanal weltweit zu verkaufen.
Für Israel und dessen Leviathan-Feld ist der Verkauf via Ägypten die wirtschaftlich und politisch akzeptabelste Lösung. Zwar gibt es auch politische Unterstützung für ein auf 6 Mrd. € geschätztes Pipelineprojekt von Israel via Zypern und Griechenland nach Italien. Aber Experten zweifeln an der Lösung – wegen der Kosten.
Eine kürzere Leitung via Türkei müsste libanesisches und syrisches Seegebiet queren – wegen der arabisch-israelischen Spannungen kein Weg. Eine Route nahe Zypern scheitert an politischen Problemen, in diesem Fall zwischen Ankara und Nikosia. ENI-Chef Descalzi rechnet auf jeden Fall damit, 2018 nicht nur reichlich Gas aus Zohr fördern zu können, sondern es verflüssigen und exportieren zu können. Vorerst braucht Ägypten aber das Gas noch selbst. Die Energiemarktberater von Wood Mackenzie erwarten, dass Kairo 2019 noch 6 Mio. t Erdgas importieren muss, um den Eigenbedarf zu decken. Danach könne ENI aber so viel Gas aus Zohr fördern, dass dies auch für den Export reiche.
Ägypten als größerer Konkurrent – diese Aussicht hat jetzt das israelische Parlament nach Jahren politischen Gerangels dazu gebracht, über das bereits 2010 entdeckte Leviathan-Feld zu entscheiden: Mit 59 zu 51 Stimmen genehmigte es einen Kompromiss mit den beiden Energiekonzernen, die das Gas aufspürten und aus kleineren Feldern schon fördern. Delek und Noble Energy müssen ihre Beteiligung an den Gasfeldern Tamar, Karish und Tanin binnen sechs Jahre auf je ein Viertel reduzieren. Im Gegenzug dürfen sie Leviathan entwickeln.
Damit bleibt aber die Transportfrage ungeklärt. Zwar begannen die Projektpartner mit der Planung der mit 2200 km extrem langen Pipeline quer durchs Mittelmeer, aber aus der israelischen Wirtschaft wie auch aus der EU kommen Zweifel. Einen Vorvertrag hatten Israel, Griechenland, Italien und Zypern im April 2017 feierlich unterschrieben. Israels Energieminister Yuval Steinitz gab sich euphorisch: „Wir starten das wundervolle Projekt, Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer nach Westeuropa zu exportieren“.
Die israelische Wirtschaft argumentiert, die auf 6 Mrd. $ bis 7 Mrd. $ veranschlagten Baukosten seien zu hoch angesichts der heute niedrigen Gaspreisen. Der Bau von Verflüssigungsanlagen und der Transport über LNG-Tanker seien nicht nur wirtschaftlicher, sondern erlaubten mehr Flexibilität. Zudem sei nicht klar, wer eigentlich welche Kosten des Projekts tragen solle.
Die Wirtschaft zweifelt auch an der Sicherheit der Gasversorgung. Ein Rechtsstreit mit dem Libanon über die Frage, in wessen Hoheitsgebiet Leviathan liegt, ruht zwar, könnte aber aufflackern. Das bei Zypern 2011 entdeckte Aphrodite-Feld kam bisher über die Exploration nicht hinaus. 2015 hatten der russische Präsident Wladimir Putin und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu die Vergabe umfangreicher Konzessionen an Gazprom vereinbart, um Leviathan zu entwickeln. Das steht im Gegensatz zum Ziel der der EU, mit dem Gas aus Israel und Zypern die Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu mindern.